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Lech Walesas Geheimdienstakte Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Lech Walesa - ein Geheimdienstspitzel?

31. Januar 2017, 13:58 Uhr

Lech Walesa, legendärer Chef der Gewerkschaft Solidarność, soll jahrelang als Spitzel für den polnischen Geheimdienst gearbeitet haben. Experten halten diesbezügliche Dokumente für echt. Walesa bestreitet die Vorwürfe.

Lech Walesa, Anführer der mittlerweile legendären Gewerkschaft Solidarność, der maßgeblich zum Sturz des kommunistischen Systems in Polen beigetragen hat, soll für die Geheimpolizei gespitzelt haben. Der Deckname "Bolek" tauchte in Dokumenten auf, die fast ein Jahr lang von Grafologen des Krakauer "Instituts für Nationales Gedenken" (IPN) untersucht wurden.

Polnische Behörde sieht Walesas Spitzeltätigkeit bestätigt

Am 31. Januar 2017 teilte das IPN nun der Öffentlichkeit mit, dass sie die Zusammenarbeit des ehemaligen Präsidenten und Friedensnobelpreisträgers Lech Walesa mit dem kommunistischen Geheimdienst als erwiesen ansieht. Dies gehe aus einer grafologischen Expertenanalyse der vor rund einem Jahr aufgetauchten Geheimdienstakte "Bolek" hervor, sagte IPN-Ermittler Andrzej Pozorski. Man dürfe Walesa mit Fug und Recht einen ehemaligen Geheimdienstspitzel nennen.

Walesa streitet alles ab

Walesa bestreitet die Vorwürfe. In einem Fernsehinterview sagte er noch zwei Tage vorher, am 29. Januar 2017, wohl in Vorahnung des Ergebnisses der Experten-Kommission: "Wenn die Grafologen Dinge bestätigen, die offensichtlich nicht der Wahrheit entsprechen, können sie das nur unter Zwang gemacht haben. Anders kann ich mir das nicht vorstellen." Es sei alles eine Lüge, von Kaczyński und anderen Politikern gesteuert, beteuerte Wałęsa.

Handschriftliche Verpflichtungserklärung

Das IPN gilt als polnisches Pendant zur deutschen Stasi-Unterlagen-Behörde. Die IPN hatte bereits im Februar 2016 erklärt, es sei "eine handschriftliche Verpflichtungserklärung" Walesas gegenüber der Geheimpolizei SB entdeckt worden. Sie sei unterschrieben mit "Lech Walesa" und dem Tarnnamen "Bolek". Auch Quittungen über Honorarzahlungen lägen vor. Die rund 280 Einzeldokumente sollen die Zusammenarbeit von "Bolek" mit der SB im Zeitraum 1970 und 1976 beweisen. Die Dokumente hatte die Witwe von Ex-Innenminister Czesław Kiszczak dem IPN im Februar 2016 für umgerechnet 20.000 Euro zum Kauf angeboten. Die Staatsanwaltschaft beschlagnahmte die Papiere jedoch noch am selben Tag zum Zweck der geschichtlichen Aufarbeitung.

Wie glaubwürdig sind die Dokumente?

Bevor das Gutachten in Auftrag gegeben wurde, erhielt Walesa im vergangenen Jahr die Möglichkeit, die Dokumente einzusehen. Das IPN erklärte im April 2016, Walesa habe deren Authentizität bestritten. Experten halten das Beweismaterial jedoch für stichhaltig. Einstige Weggefährten verteidigten Walesa gegen die Vorwürfe. "Ich glaube nicht an eine Zusammenarbeit oder Spitzeltätigkeit Walesas. Ich bin überzeugt, es kam nur zu Kontakten mit dem Sicherheitsdienst, weil Walesa auf diese Weise seine Gesundheit, sein Leben und seine Familie schützen wollte", sagte der frühere Solidarność-Gewerkschafter Władysław Frasyniuk.

Doch eine große Mehrheit der Polen glaubt, dass sich Walesa sehr wohl mit der Staatssicherheit eingelassen hat. Diverse Buchautoren rückten den Friedens-Nobelpreisträger immer wieder ins Stasi-Zwielicht. In Polen gilt Walesa schon seit einigen Jahren nicht mehr nur als der Nationalheld, der die legendären Streiks der Danziger Arbeiter angeführt und die Gewerkschaft Solidarność gegründet hat.

Um welchen Zeitraum geht es?

Die Vorwürfe beziehen sich auf die Zeit von 1970 bis 1976: Walesa war damals Ende 20, Elektriker auf der Lenin-Werft in Danzig, der die üblen Arbeitsbedingungen nicht hinnehmen mochte. Er engagierte sich in einem illegalen Streikkomitee und erlebte 1970, wie 80 Arbeiter von der Miliz bei einem Streik ermordet wurden. Nach dieser blutigen Niederschlagung der Arbeiterstreiks soll er mit dem Geheimdienst zusammengearbeitet und dafür Geld erhalten haben. 1976 beendete er vermutlich die Zusammenarbeit, verliert seine Arbeit und wird zum Anführer einer Bewegung, die das kommunistische Regime in die Knie zwingen wird.

Die Vorwürfe sind nicht neu

Die Beschuldigungen sind nicht neu: Seit Jahren gab es Vorwürfe, Walesa habe falsche Angaben über seine Vergangenheit gemacht. Die Vorwürfe kamen vor allem von denjenigen, die im Schatten Walesas standen und mit dem Verzicht auf eine konsequente Abrechnung mit den Kommunisten haderten. In Polen hatte man sich nämlich nach der politischen Wende entschlossen, einen "Schlussstrich" zu ziehen und keine großangelegte "Dekommunisierung" des Staatsapparates durchzuführen.

Das Foto vom 30.08.1980 zeigt Arbeiter, die nach der Unterzeichnung des Abkommens mit der Regierung den Streikführer Lech Walesa auf ihren Schultern zur Lenin-Werft in Danzig tragen.
Nach der Unterzeichnung des "Danziger Abkommens" im August 1980: Arbeiter feiern Lech Walesa Bildrechte: picture alliance/dpa | Jorma Puusa

Nun ist eine Verpflichtungserklärung Walesas da und ihre Echtheit kaum zweifelhaft. Da hilft es auch nicht, dass der ehemalige Gewerkschaftsführer und Ex-Präsident bereits im Jahr 2000 vor Gericht um seinen guten Namen stritt und sogar vom Vorwurf der Spitzeltätigkeiten freigesprochen wurde. Damals gestand er jedoch ein, dass er sich schriftlich zu einer Tätigkeit als Informant bereit erklärt habe. Er habe aber nie Informationen an den Geheimdienst weitergebeben, versicherte er damals.

Kaczynski und Walesa

Lech Walesa und Jarosław Kaczynski sowie dessen 2010 tödlich verunglückter Zwillingsbruder Lech Kaczynski waren einst Weggefährten in der Solidarność-Bewegung der 1980er Jahre. Inzwischen sind Walesa und der PiS-Vorsitzende Kaczynski längst zerstritten. In seiner Autobiografie hat Kaczynski kaum Gutes über Walesa zu berichten. Er beschreibt seinen früheren Chef wie folgt: "Heute weiß ich, dass Walesa meine größte politische Sünde war. Er hat oft Blödsinn geredet, aber er war ein politisches Naturtalent."

Walesa gilt als strenger Kritiker der regierenden Nationalkonservativen sowie des Chefs der PiS-Partei, Jarosław Kaczynski. Er warnte angesichts der Spaltung in der polnischen Gesellschaft unlängst vor einem "Bürgerkrieg".

Die Frage bleibt, warum die Dokumente ausgerechnet zu jetzigen Zeitpunkt auftauchen. Für die regierenden Nationalkonservativen sind die neuen Anschuldigungen höchst willkommen. Schließlich fordern sie seit jeher eine scharfe Abrechnung mit der kommunistischen Vergangenheit.

Lech Walesa während der Eröffnung von "Poland on the Front Page" anlässlich des 25. Jahrestages der Gründung der Solidarnosc in New York
Lech Walesa bei einer Ausstellungseröffnung aus Anlass des 25. Jahrestags der Gründung der Solidarność 2005 in New York. Das Foto zeigt ihn als jungen Gewerkschaftsführer in Danzig. Bildrechte: imago/UPI Photo