Ein Mann mit Headset
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Vorratsdatenspeicherung in Russland "Eine große Gefahr für die Demokratie"

Gespräch mit Joerg Heidrich vom Computermagazin "c't"

29. Juni 2016, 16:08 Uhr

Der russische Föderationsrat hat nach der Staatsduma grünes Licht für eine Vorratsdatenspeicherung im großem Stil gegeben. Die Inhalte von Telefonaten, E-Mails oder Chats sollen demnach künftig sechs Monate gespeichert werden, Verbindungsdaten drei Jahre. Experten halten es für die größte Vorratsdatenspeicherung der Geschichte. Das Gesetz ebne den Weg für eine totale Internet-Überwachung. Joerg Heidrich, Justiziar beim Computermagazin "c't", sieht darin eine Gefahr für die Demokratie.

Gab es so einen Vorstoß in Sachen Vorratsdatenspeicherung wie in Russland schon mal? Und darf man sich darüber empören?

Ich denke, dass wir uns empören dürfen und müssen – so etwas gab es meiner Kenntnis nach noch nicht. Das stellt alles, was mir bekannt ist, in den Schatten. Man muss sagen, dass die Vorratsdatenspeicherung an sich ja schon einen starken Eingriff in die Grundrechte aller Bürger darstellt, egal ob in Russland oder bei uns, da ja jeder Bürger damit potentiell verdächtig ist. Und in Russland wird das jetzt auf die Spitze getrieben. Es ist eine Form von Überwachung, die die kühnsten Vorstellungen weit hinter sich lässt.

Wie stark wird der russische User damit im Netz eingeschränkt?

Ich denke, man kann nicht mehr von Freiheit reden. Man muss sich vorstellen, dass der User bei jeder Form der nicht persönlichen Kommunikation davon ausgehen muss, dass er überwacht wird. Alles wird mitgeschnitten: jeder Telefonanruf, jede E-Mail, jede SMS. Wenn ich als User das weiß, dann achte ich ganz besonders darauf, was ich sage. Das führt zu erheblichen Kollateralschäden. Für die politische Opposition wird es wahnsinnig schwer sein, sich zu organisieren.

Wie unterscheidet sich der Vorstoß von der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland?

Auch in Deutschland ist die Vorratsdatenspeicherung sehr umstritten, und wir haben zwei sehr eindeutige Vorgaben, vom Bundesverfassungsgericht und vom Europäischen Gerichtshof, die die Vorratsdatenspeicherung sehr stark einschränken.

Und es gibt viele Experten, die sagen, dass die Vorratsdatenspeicherung in ihrer jetzigen Form auch in Deutschland verfassungswidrig ist – da wird es entsprechende Verfahren geben. Aber unsere Regelungen sind weit von dem entfernt, was in Russland geplant wird. Hierzulande werden nur die so genannten Metadaten gespeichert, nicht aber die Inhalte. Man weiß also, wer mit wem und wann gesprochen hat, aber man weiß nicht worüber. In Russland dagegen können auch die Inhalte mitgezeichnet werden.

Der Whistleblower Edward Snowden, der in Russland Asyl bekommen hat, rät Putin davon ab, zu unterschreiben. Er bezweifelt, dass die Speicherung so vieler Daten technisch überhaupt möglich ist. Was meinen Sie?

Ich bin von Hause kein Techniker, aber es würde mich sehr wundern, wenn es ohne weiteres möglich wäre, so viele Inhalte über so lange Zeit zu speichern. Hier in Deutschland rechnet man mit mindestens 600 Millionen Euro Kosten für die Speicherung – und das sind, wie gesagt, nur die Metadaten. Die Inhalte zu speichern, wäre technisch also eine riesige Herausforderung und irrsinnig teuer. Man darf gespannt sein, ob das technisch überhaupt möglich ist. Aber selbst wenn, man würde es dann wahrscheinlich für einen kürzeren Zeitraum speichern, bevor man es ganz sein lässt.

Wenn die Provider in Russland alle über ihre Kanäle übertragenen Daten ein halbes Jahr lang speichern müssen – was heißt das für die Freiheit des Internets?

Die Freiheit des Internets entwickelt sich leider weltweit in keine gute Richtung. In Russland haben wir es bald mit einem Überwachungsstaat zu tun. In China können wir sehen, dass sich technisch findige Nutzer in Parallelgesellschaften zurückziehen. Wer das kann, der findet eine Möglichkeit über Verschlüsselung, Kryptografie oder das Darknet zu kommunizieren. Aber das sind relativ wenige Menschen. Die breite Masse wird halt zusehen, und das ist wissenschaftlich erwiesen, dass sie ihr Kommunikationsverhalten anpasst und bestimmte Wertungen und Sachen nicht mehr online von sich gibt. Das ist eine große Gefahr für die Demokratie. Ich sehe das mit großer Sorge.