Schlösser im Osten Adelshäuser als Kuhställe oder Trinkerheilanstalten
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04. Dezember 2014, 11:35 Uhr
Schlossherren wurden 1945 im Osten enteignet, ihre Häuser entweder gesprengt oder später als Trinkerheilanstalten und Kuhställe genutzt. Eine Restitution sah der Einigungsvertrag 1990 nicht vor. Mittlerweile befinden sich etliche Adelshäuser in betrüblichem Zustand. Ein Interview mit dem Bauforscher Dr. Matthias Donath.
Schlossherren und überhaupt Grundbesitzer galten in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und später in der DDR als Ausbeuter, Reaktionäre und Wegbereiter des Faschismus. Wie war es dazu gekommen?
Diese ideologische Ansicht, Schlossherren als Reaktionäre und gar als Faschisten zu brandmarken, geht zurück auf die Faschismustheorie, die die Kommunistische Partei Deutschlands seit den 1920er Jahren verfolgt hat. Dort wird formuliert, dass die Herrschaftsform des Faschismus nur eine verschleierte Form des Monopolkapitalismus sei und diese beruhe unter anderem auch auf der Ausbeutung der Landbevölkerung durch die Großgrundbesitzer, Junker und Schlossherren. Nach 1945 wurde diese Faschismustheorie durch die neuen Machthaber in der SBZ beziehungsweise der DDR übernommen. Die Junker und Schlossherren galten nun als Wegbereiter des Faschismus, als Verbrecher recht eigentlich.
Der Umgang mit Schlössern und Schlossherren in der SBZ und späteren DDR lässt sich nicht trennen von der "Bodenreform“ 1945/1946. Großgrundbesitzer, die mehr als 100 ha Acker besaßen, wurden entschädigungslos enteignet. "Junkerland in Bauernhand", hieß die Parole…
Damals ging es auch um das ideologische Prinzip, die Macht der sogenannten Junker und Großgrundbesitzer zu brechen. Im Grunde hat man ertragreiche landwirtschaftliche Großbetriebe zerschlagen und winzige Kleinstbetriebe geschaffen, indem man jedem Bauern ein Stückchen Land gab. Und so musste es zwangsläufig später zur Kollektivierung kommen, weil diese Neubauern mit ihren kleinen Äckern allein nicht überlebensfähig waren. Sozialgeschichtlich hat die Bodenreform nur in einem einzigen Sinne etwas Sinnvolles gebracht, weil die Tausenden Flüchtlinge, oder wie man in der SBZ und DDR sagte, Umsiedler, durch die Schaffung von Neubauernstellen im Zuge der Bodenreform eine wirkliche Chance des Neuanfangs und einer Eingliederung in die Gemeinschaft hatten.
Am 9. September 1947 veröffentlichte die SMAD Stalins "Befehl 209". Was besagte er?
Der Befehl besagte, dass durch Abbrüche von Schlössern und Landhäusern Material für neue Bauernhäuser und Unterkünfte für Flüchtlinge gewonnen werden soll. Man muss sich vergegenwärtigen, dass die vielen Neubauern nichts hatten. Es gab keine Häuser für sie und sie besaßen nichts: weder landwirtschaftlichen Geräte noch irgendwelchen Hausrat. Man brauchte dringend Baumaterial für Wohnraum.
Das war das eine. Mit Stalins Befehl hatte man aber auch ein Instrument in die Hand bekommen, mit dem man die verhassten Zeugnisse der Vergangenheit auslöschen konnte…
Ohne Frage, klar. Es ging tatsächlich darum, die Zeugnisse die Vergangenheit auszulöschen. Da gab es nun verschiedene Wege: Das war zum einen eine Komplettzerstörung. Es konnte aber auch sein, dass man nur einen Turm abriss oder das Wappen entfernte.
Haben Sie Zahlen? Wie viele Schlösser wurden abgerissen?
In Sachsen sind von 1.200 Schlössern etwa 200 abgerissen worden. Etwa 20 Prozent also. Die Zahl kann man auf den gesamten Osten Deutschlands hochrechnen: Etwa 20 Prozent der Schlösser in der SBZ sind damals zerstört worden.
Gab es Widerstand?
Widerstand gab es in fast jedem Dorf. Das hatte oftmals ganz pragmatische Gründe. Es war den Einwohnern gar nicht einsichtig, warum die Schlösser verschwinden sollten - die waren zumeist bis unters Dach mit Flüchtlingen voll belegt. Und jetzt sollten diese Bauten gesprengt werden? Wo sollten nun die Umsiedler untergebracht werden?
Einigen Bürgermeistern oder Ortsvorstehern ist es gelungen, durch geschickte Verhandlungen den Abriss abzuwenden; es gab auch Denkmalpfleger, die sich vehement für den Erhalt des historischen Erbes eingesetzten, oft auch mit Erfolg. Es gab sogar hochrangige Parteimitglieder, die Stalins Befehl nicht befolgen mochten, wie das Beispiel des Leipziger Oberbürgermeisters Erich Zeigner belegt. Zeigner argumentierte geschickt, er bräuchte die leerstehenden Schlösser dringend, um darin Kinderheime einzurichten. Er kam aber damit leider nicht durch - die fraglichen Schlösser in seiner Stadt wurden abgerissen.
Gab es in den Volksdemokratien, in Polen etwa, oder in der CSSR, vergleichbare Entwicklungen?
Es gab deutliche Unterschiede. In Polen ging man ziemlich pragmatisch mit den Gutshöfen und Schlössern um. In ihnen wurden Leute einquartiert, die Äcker wurden in Staatsgüter umgewandelt. Durch Verwahrlosung ist da in den folgenden Jahrzehnten viel verlorengegangen. Es wurde nichts in die Erhaltung der Gebäude investiert. Da wurde alles auf verschleiß gefahren.
Auch in der CSSR gab es keine Abrisse von Schlössern. Man hat sie vielmehr erhalten. Die Schlossherren sind freilich wie in der SBZ enteignet worden.
Was geschah mit den Schlössern in den folgenden Jahrzehnten in der DDR?
Man brauchte sie. Deswegen blieben sie stehen. Und sie wurden ganz unterschiedlich genutzt - als Waisenhäuser, Bibliotheken, Jugendclubs, Hotels, Museen, Urlaubsheime, Trinkerheilanstalten, Kuhställe, Gemeindeverwaltungen, Kinderheime, Krankenhäuser, Jugendwerkhöfe, Getreidespeicher, Zuchthäuser, Altersheime, Krippen und Kindergärten, als Dorfkonsum und Nähstuben…
An der Ideologie änderte sich bis zum Ende der DDR nichts. Oder?
Nein, oder sagen wir: nicht viel. Etliche Fakten wurden auch weiterhin verschwiegen, etwa, dass viele Schlossbesitzer 1947 deportiert worden waren. Mit der Geschichte der Schlösser und ihrer einstigen Besitzer durfte sich für gewöhnlich offiziell nur beschäftigt werden, wenn es um soziale Konflikte ging, um den Kampf der Bauern gegen ihre Ausbeuter, die Feudalherren und Junker. Einzig die Geschichte der berühmten Schlösser – Pillnitz, Moritzburg oder Sanssouci - durfte ausführlich beleuchtet werden.
Mit dem Ende der DDR glaubten viele Schlossherren oder deren Erben, dass sie ihre Schlösser und Ländereien zurückbekommen werden. Aber im Einigungsvertrag zwischen der DDR und der BRD wurde fixiert: "Enteignungen auf besatzungsrechtlicher Grundlage sind nicht mehr rückgängig zu machen." Das betraf die Enteignungen in den Jahren zwischen 1945 und 1949.
Es war aus meiner Sicht ein strategischer Fehler, die Schlösser und Herrenhäuser nicht zu restituieren. Obwohl es bei dem Beschluss ja weniger um die Schlösser an sich, sondern vornehmlich um den Grund und Boden gegangen war. Aber mit einer Restitution wäre sicher auch einiges an Kapital von den Alteigentümern oder von deren Erben in die Neuen Bundesländer gebracht worden. Nun mussten sie ihre zumeist auch noch ziemlich maroden Schlösser kaufen – das konnten sich viele gar nicht leisten, anderen erschien das nicht lohnenswert.
1994 wurde das "Ausgleichsleistungsgesetz" verabschiedet. Bewegliche Güter mussten an die Alteigentümer oder deren Erben zurückgegeben werden. Und Alteigentümer konnten Ausgleichsforderungen geltend machen…
Das milderte die Ungerechtigkeit, dass die Alteigentümer oder deren Erben gewissermaßen leer ausgegangen waren, ein wenig. Führte andererseits nun aber zu solch abstrusen Fällen wie etwa in Schloss Gaußig in der Oberlausitz, wo nicht nur das Schloss, sondern auch das komplette Inventar in ausgezeichnetem Zustand erhalten war. Das Haus wurde genutzt als Ferienheim der TU Dresden. Dort bekam nun der Alteigentümer 1994 das komplette Inventar zurück - vom Nachttopf bis zum Kronleuchter. Und das alles ließ er umgehend versteigern. Und damit wurde der auch kulturgeschichtlich einmalige Zusammenhang, den es in Schloss Gaußig bis dahin noch gegeben hatte, komplett aufgelöst.
Etliche Schlösser befinden sich seit Jahren in recht betrüblichem Zustand…
In den letzten Jahren gab es eine durchaus ambivalente Entwicklung. Im Umfeld großer Städte - Leipzig, Dresden, Jena zum Beispiel - hat man gute Lösungen gefunden, weil der Immobilienmarkt die Schlösser entdeckt hat; in ihnen wurden luxuriöse Wohnungen eingerichtet. So konnten viele Schlösser gerettet werden. Wenn man sich aber von den großen Städten entfernt, sich etwa ins Leipziger Land oder in die Oberlausitz begibt, wo eine besonders große Dichte an Schlössern existiert, wo die Bevölkerung gleichzeitig aber immer weiter abnimmt, sieht es sehr schlimm aus. Rund ein Drittel der Schlösser dort sind fast unrettbar verfallen. Der Sanierungsbedarf ist beträchtlich, die Kosten dementsprechend exorbitant. Private Käufer finden sich nicht oder nur sehr selten. Das Land sieht sich außerstande, die Kosten für eine Sanierung zu übernehmen. Es gibt auch einfach keinen Bedarf. Keine tragfähigen Nutzungskonzepte für diese vielen Schlösser.
Was bleibt, ist der Abriss?
Eine ganze Reihe von Schlössern sind in den letzten Jahren bereits abgerissen worden. Nicht nur vereinzelt, sondern in großem Stil. Da wurden dann sogenannte "Schandflecken", wie es stets hieß, in Dörfern und Gemeinden beseitigt. Und dort ist jetzt Wiese. Oder Brache.
Ist dieser Prozess aufzuhalten?
Dieser Prozess wird weitergehen. Die Abbrüche von leerstehenden Schlössern und Landhäusern werden einen noch weit größeren Umfang annehmen in den nächsten Jahren. Das ist sehr bedauerlich, aber vermutlich nicht zu ändern.
Biografie Dr. Matthias Donath Matthias Donath, geboren 1975, studierte Kunstgeschichte, Christliche und Klassische Archäologie in Leipzig und Freiburg und promovierte 1998 über die Baugeschichte des Domes zu Meißen. Seither arbeitet er als freiberuflicher Bauforscher und Autor. Er hat zahlreiche Aufsätze und über vierzig Bücher zu Architektur und Denkmalpflege verfasst. Matthias Donath ist Vorsitzender des Dombauvereins Meißen e. V. und des Freundeskreises Schlösserland Sachsen e.V.