Der Coup der Jelena Milczanowska Wie eine russische Staatsbürgerin Trump wählte
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15. November 2016, 12:52 Uhr
Amerika ist und bleibt das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Dort können sogar ausländische Staatsangehörige den US-Präsidenten mitwählen, wie die Journalistin Jelena Milczanowska bewiesen hat. Russische Staatsbürgerschaft hin, russische Staatsbürgerschaft her - Milczanowska wählte am 8. November in denselbem Wahllokal wie der spätere Wahlsieger Donald Trump. Wir haben Jelena Milczanowska zum Wie und Warum des außergewöhnlichen Wahlvorgangs befragt.
Jelena, wie ist es Ihnen gelungen, als russische Staatsbürgerin an der US-Wahl teilzunehmen?
Es war schwieriger als ich erwartet hatte, weil wir und die Amerikaner verschiedene Ansichten in dieser Frage haben.
Die Schlange zum Wahllokal war echt groß, ein Kilometer lang oder mehr. Aber ich hatte nicht viel Zeit, ich musste ja noch zu Trumps Wahlparty gehen. Also bin ich einfach an der Schlange vorbeigelaufen und hineingegangen. Drinnen war es sehr chaotisch. Da haben sie Bücher und Kuchen verkauft, Trump hat sich sogar einen Keks dort gekauft. Und da saß eine Frau hinter dem Tisch, Menschen haben ihr etwas gezeigt und sie hat ihnen etwas gesagt oder etwas gegeben. Ich entschied, an dieser Frau vorbeizulaufen. Diese Frau, wie ich später verstanden habe, hatte den Wählern Nummern gegeben. Entsprechend diesen Nummern sind sie dann mit dem Fahrstuhl in die zweite Etage hochgefahren. Ich kam mit allen im Fahrstuhl zu dem Raum, in dem die Wahl stattgefunden hat.
Ein Mann sagte: "Wer hat diese und diese Nummer, der kann jetzt rein." Ich hatte keine Nummer. Ich bin trotzdem reingegangen. Die Atmosphäre war sehr nervös und angespannt. Ich habe Angst bekommen, dass mich jetzt jemand rauschmeißt. Ich wusste nicht, ob ich mich dort befinden durfte oder nicht. Andererseits gab es aber in dem Raum auch Journalisten aus verschiedenen Ländern, also denke ich nicht, dass es nicht erlaubt war.
Ich habe also meinen Pass niemandem gezeigt, ich kam einfach rein, niemand hat mich bemerkt. Ich denke, dass ich nicht gegen das Gesetz verstoßen habe.
Dann hätte ich einen Stimmzettel nehmen, zur Wahlkabine gehen und ihn ausfüllen müssen. Da ich keinen Stimmzettel hatte, habe ich mich einfach in der Wahlkabine versteckt. Ich hatte ein bisschen Angst, dass man mich rausschmeißt.
Die Menschen haben versucht, mich von dort zu vertreiben, weil es eine Schlange gab. Und plötzlich habe ich etwas auf Russisch gehört. Ich hatte Glück: Es war ein Russe aus Samara, der kürzlich die amerikanische Staatsangehörigkeit bekommen hat. Ich bat ihn sofort um seinen Stimmzettel. Er hat mich sofort verstanden. Er hat auch gemeint, dass daran gar nichts unmoralisch oder schlecht sei, nur die Amerikaner verstünden uns irgendwie nicht. "Hier ist mein Stimmzettel", hat er gesagt, "du kannst gerne das Kreuzchen machen". Natürlich, wenn er für jemanden anderen gewesen wäre, hätte er mir nie seinen Stimmzettel gegeben. Aber er wollte auch Trump wählen. Da habe ich den Kreis für Trump ganz dick ausgemalt und bin wie im Nebel zur Abstimmungsurne gelaufen. Niemand hat mich gestoppt. Und danach habe ich sogar einen Aufkleber bekommen.
Sie haben also den Stimmzettel einer anderen Person benutzt?
Ich denke, dass ich nichts Falsches oder Unmoralisches gemacht habe. Ich bin an das sowjetische bzw. russische Wahlsystem gewöhnt. Bei uns kann jeder zum Wahllokal kommen und für eine andere Person wählen oder zusammen mit ihm wählen. Also ich benutze immer den Stimmzettel von meinen Eltern. Meine Eltern haben mir dieses Bürgerbewusstsein beigebracht. Sie sind sehr pflichtbewusste Bürger.
Eine Wahl war für uns immer wie ein Feiertag. Wir sind immer zusammen mit der ganzen Familie zum Wahllokal gekommen, in unserem Städtchen Lytkarino. Ich war damals klein und durfte nicht wählen. Aber ich wollte auch für mein Land wählen. Meine Eltern haben mir immer ihren Stimmzettel gegeben und gesagt: Mach ein Kreuzchen hier. Mein älterer Bruder hat immer darauf geachtet, dass ich das Kreuzchen an der richtigen Stelle setze, damit ich nicht die falsche Person wähle. Da habe ich mich immer gefreut. So haben wir alle gewählt: meine Eltern, weil es ihre Pässe waren, und ich, weil es meine Hand war, mit der das Kreuzchen gemacht wurde. Das haben alle immer gesehen: Beobachter, Polizisten, das war ganz offen und ich denke, das ist doch ganz normal. Ich meine, das Kreuzchen habe ich ja nur technisch auf den Stimmzettel gemacht.
Einmal ist mir etwas Schreckliches passiert. Im Jahr 2012 haben wir einen Präsidenten gewählt. Die Wahl war an einem Sonntag. Ich habe meinen Pass im Büro gelassen. Also konnte ich nicht wählen. Also kam ich zu meinem Wahllokal und habe jemanden gefragt, ob er mir seinen Stimmzettel gibt. Wir haben ja nichts gegen das Gesetz gemacht. Der Stimmzettel war auf seinen Namen. Er wollte denselben Kandidaten wählen wie ich, also hat er gesagt: "Ja klar, kannst du ein Kreuzchen für mich machen." Formell war es seine Stimme. Niemand hatte was dagegen.
In Amerika wollte ich das Gleiche machen. Ich habe dann einen jungen Mann gefragt, ob ich mit ihm auf die Wahl kommen kann, in Manhattan. Er wollte auch Trump wählen, so wie ich. Also habe ich gefragt, ob er mit seinem Pass den Stimmzettel holen könnte, und ob ich dieses Kreuzchen für ihn machen kann. Dann würde ich den Stimmzettel in die Wahlurne werfen. Er fand das gar nicht gut. Volle zwei Stunden hat er mir eine Standpauke gehalten, warum sowas absolut unmöglich sei. Das, worum ich gebeten habe, sei schrecklich und unmoralisch. Er könne gar nicht glauben, dass jemand so etwas fragt, das sei doch seine Stimme, die Wahl eine amerikanische. "Ich nehme meinen Stimmzettel, fülle ich ihn selbst aus und werfe ihn selbst rein, und dafür bekomme ich einen Aufkleber. Wie kannst du dich überhaupt einmischen?", hat er gesagt. Aber ich verstehe das nicht: Es ist sein Stimmzettel und sein Pass, nur das Kreuzchen ist von mir. Ich habe ihm sogar vorgeschlagen, dass wir den Stimmzettel zusammen einwerfen, wenn er so wolle. Was ist denn so schlecht daran? Aber er hat Nein gesagt. Ein anderer Mensch, den ich gefragt habe, hat das Telefon aufgelegt und mich sofort in allen sozialen Netzwerken blockieren lassen.
Warum wollten Sie das überhaupt machen? Was wollten Sie damit beweisen?
Ich wollte gar nichts damit beweisen. Ich wollte mich auf dieser Weise an einem großen historischen Ereignis in Amerika beteiligen und auch Trump helfen zu gewinnen.
Ich kam mehrere Tage vor der Wahl nach New York und sah, dass das ganze Land ungeduldig auf diesen Tag wartete, dass es ein großes Ereignis ist, dass alle sich darauf vorbereiten, und ich wollte an so einem historischen Event auch teilnehmen, wenn ich schon dort war. Als Journalistin versuche ich immer, in meinen Reportagen nicht nur zu berichten, sondern auch mitzumachen: Also, wenn ich auf irgendeiner wichtigen Baustelle bin, zum Beispiel für die Fußballweltmeisterschaft in Russland, dann baue ich mit den Bauarbeitern zusammen, egal, ob sie mir das erlauben oder nicht. Ich schaffe das schon irgendwie. Oder wenn ich ein Interview mit einem Tänzer oder Singer mache, dann singe ich oder tanze mit. Hier dachte ich: Wie kann ich an diesem Ereignis teilnehmen? Was kann ich tun, damit es auch zu meinem Ereignis wird? Wahrscheinlich muss ich einfach … wählen!
Hat Ihre Redaktion Sie beauftragt, an der Wahl teilzunehmen?
Nein, die Redaktion würde sich so etwas nie ausdenken. Als ich mich für die Reise nach New York vorbereitet habe, haben sie mir gesagt: "Mach dort, was du willst, und viel Spaß damit. Versuch nur, Trump zu erreichen, und mach mit ihm, was du willst." Und es ist mir gelungen. Ich hatte aber noch anderen Aufgaben: über die Wahl zu berichten und über die Weltmeisterschaft im Schach, die jetzt kommt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Jelena Milczanowska ist Korrespondentin der russischen Zeitung "MK" (Moskovsky Komsomolets). Und mit der Stimmabgabe war ihre Wahlnacht noch lange nicht zu Ende. Sie enterte nämlich noch Trumps Wahlparty - natürlich, ohne eine Akkreditierung zu haben. Ein Gespräch mit Trump? Ein Klacks: