Auszeichnung "Persönlichkeit des Jahres": Viktor Orbán
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09. September 2016, 13:48 Uhr
Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán wurde auf dem Wirtschaftsforum der osteuropäischen Staaten in Krynica zur "Persönlichkeit des Jahres" gekürt. Im Westen umstritten, erfährt Orban im Osten hohe Wertschätzung.
Viktor Orbán ist die "Persönlichkeit des Jahres" 2016. Auf dem 26. Wirtschaftsforum der osteuropäischen Staaten Anfang September im polnischen Krynica-Zdrój nahm der ungarische Regierungschef die gleichlautende Auszeichnung aus den Händen der polnischen Ministerpräsidentin Beata Szydło entgegen. In seiner Dankesrede forderte Orban, die nationalen und historischen Identitäten der osteuropäischen Völker zu bewahren. In Zukunft würden allein die Gesellschaften erfolgreich sein, die eine starke Identität besäßen.
Inszenierung als Verteidiger des Abendlandes
Der Verteidiger europäischer und christlicher Werte, der Underdog, der den Mächtigen in Brüssel auch mal kräftig die Meinung sagt: So inszeniert sich Viktor Orbán gern, und für diese Rolle wird er im Osten Europas geschätzt und gefeiert. Hier ist die Opposition gegen die Flüchtlingspolitik Angela Merkels am größten, die Regierungschefs der Viségrad-Gruppe wehren sich dagegen, dass ihre Länder Flüchtlinge nach fixen Quoten aufnehmen müssen. Hier gibt es Applaus, wenn Orbán die Flüchtlingspolitik der deutschen Kanzlerin als "moralischen Imperialismus" geißelt und Geflüchtete als "Invasoren" verunglimpft. Zudem wird manch ein polnischer Regierungspolitiker neidvoll nach Budapest blicken, hat doch Orbán erfolgreich die Pressefreiheit beschnitten und das Verfassungsgericht entmachtet.
Je mehr Gegenwind aus Brüssel, desto besser für den Volkstribun
Je schärfer der Gegenwind aus den Hauptstädten im Westen, desto besser für Orbán. Der glänzende Rhetoriker bedient geschickt die Ressentiments seiner Zuhörer und beschwört den nationalen Zusammenhalt, indem er etwa behauptet, die ungarische Lebensweise sei durch Feinde von außen und innen in Gefahr. Wenn es nicht gerade Flüchtlinge oder Brüsseler Eliten sind, sind es die Linken, die Intellektuellen oder die Liberalen. Für Minderheiten oder Kritiker ist kein Platz. Sie sind in den Augen Orbáns schlicht keine "wahren" Ungarn. Die Wir-gegen-die-Rhetorik verfängt: "Orbán setzt nur um, was das Volk will. Demokratischer geht es doch gar nicht", ist ein Satz, dem man in politischen Diskussionen in Ungarn häufig begegnet.
Die Zustimmung für Orbán stützt sich jedoch nicht allein auf seine markigen Aussagen. Gerade die schuldengeplagte ungarische Mittelschicht ist froh, dass sie dank Orbáns teils recht unorthodoxer Methoden etwas mehr Geld in der Tasche hat. Auch die zahlreichen - wohlgemerkt von der EU finanzierten - Bau- und Infrastrukturprojekte geben den Ungarn das Gefühl, es ginge nun endlich voran.
Despot oder Volkstribun?
Trotz hoher Zustimmungswerte für Orbán und seine Politik gibt es auch Unmut in der Bevölkerung: Die zahlreichen Korruptionsskandale innerhalb der Regierung ärgern viele Ungarn und seit Wochen protestieren Lehrer und Schüler gegen die jüngste Bildungsreform. Die demokratische Opposition ist allerdings zu zerstritten und mit sich selbst beschäftigt, um davon zu profitieren. Und während Viktor Orbán für viele noch immer eine Lichtgestalt und für deutlich weniger Ungarn ein Despot ist, haben sich große Teile der Bevölkerung mit einem frustrieren Achselzucken von der Politik abgewandt.
Verteidiger des ungarischen Volkes
Doch Orbán wäre kein echter Volkstribun, wenn er den Blick der Ungarn nicht dorthin lenken könnte, wo er ihn hin haben will. Für den 2. Oktober 2016 hat der Regierungschef ein Referendum zur Flüchtlingsfrage angesetzt; seit Wochen wird von Plakatwänden herab mobilisiert und Beobachter haben keinen Zweifel daran, dass es in Orbáns Sinne ausgehen wird. Dann kann Viktor Orbán wieder die Rolle spielen, in der er sich am besten gefällt: die des Verteidigers des ungarischen Volkes.