Analyse Das Geschäftsmodell "Republik Moldau"
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11. November 2016, 16:41 Uhr
Die Republik Moldau wird in Deutschland oft "Moldawien" genannt und gilt als "Armenhaus Europas". Zudem spitzt sich auch in Moldau der Konflikt über eine weitere West-Integration oder eine Orientierung an Russland zu – nicht zuletzt durch der Streit um die abtrünnige Provinz Transnistrien, die selbst von Russland nicht offiziell anerkannt wird. Eine Situation, die wenig Raum für Illusionen lässt, meint unsere Kollegin Mila Corlateanu, die in der Hauptstadt Chisinau lebt und arbeitet.
Es gibt sie im gesamten postsowjetischen Raum. Ihr Markenzeichen: Zynismus und Missachtung moralischer Normen. Die Privatisierung des Staatseigentums sehen sie als Quelle persönlicher Bereicherung und sie sind der Meinung, dass das Interesse des Gemeinwohls hinter ihrem eigenen Privatinteresse zu stehen hat. Sie mögen es nicht, "Oligarchen" genannt zu werden, denn dieses Wort ist heute zu einem Synonym für "Dieb" geworden. Stattdessen sehen sie sich lieber als "Geschäftsleute". Wir, die normalen Bürger, nennen sie trotzdem so.
Staat wurde in kürzester Zeit zum Geschäft
Die Republik Moldau ist gerade mal ein Vierteljahrhundert alt. Doch in dieser Zeit haben es die Oligarchen geschafft, aus einem jungen, unausgereiften Staat ein regelrechtes Business-Projekt zu machen. Finanziert wird dieses Projekt vom moldauischen Volk, das gleichzeitig selbst kurz vor dem Bankrott steht. Und die Politik? Für mich persönlich gibt es da keinerlei Zweifel: Wer dieses Land regiert, tut das aus Geschäftsinteresse heraus. Jeder möchte sein eigenes Stück vom Profitkuchen abhaben. Korruption, Amtsmissbrauch und Demagogie sind somit zu Schlüsselqualifikationen moldauischer Politiker geworden – egal, ob Kommunisten, Sozialisten oder Pro-Europäer.
Die ersten Jahre nach der Staatsgründung waren schwer. Der Transnistrien-Konflikt, an der Sprachenfrage entzündet, hat die Gesellschaft gespalten und friedliche Nachbarn zu Feinden gemacht. Viele Industriebetriebe wurden geschlossen. Viele Menschen, die plötzlich ohne Arbeit waren, sind auf der Suche nach neuem Glück teils legal, teils illegal ins Ausland gegangen. In den frühen 2000er-Jahren kam dann die Partei der Kommunisten Moldaus wieder an die Macht und hat versucht, ein doppeltes Spiel zu spielen – einerseits gute Beziehungen mit Moskau aufrechtzuerhalten, andererseits aber auch eine langsame Annäherung an Brüssel zu versuchen.
Im April 2009, nach dem erneuten Sieg der Kommunisten, kam es zu Unruhen, Tausende Oppositionsanhänger gingen auf die Straße und protestierten gegen gefälschte Ergebnisse. Junge Menschen wollten neue führende Persönlichkeiten sehen. Neuwahlen brachte die aus drei Rechtsparteien gegründete "Allianz für Europäische Integration" an die Macht. Und mit ihr Vlad Filat, der auf Ticket der Liberaldemokraten Ministerpräsident wurde – die FAZ nannte ihn einmal "... einen der reichsten und skrupellosesten Unternehmer des Landes". Auch Vlad Plahotniuc, der wahrscheinlich einflussreichste Oligarch Moldaus, sicherte sich in dieser Zeit (2010) die entscheidende Rolle in der "Demokratischen Partei". Beide waren damals schon erfolgreich in ihren Geschäften: Filat mit Immobilienunternehmen und Tabakwaren, Plahotniuc mit Import und Handel mit Erdölerzeugnissen, Banken, Luftfahrt, Hotels, Medien.
EU-Perspektive als Lockmittel
Zu dieser Zeit brach bei uns der Größenwahn aus: Die EU begann damals ihr Programm der "Östlichen Partnerschaft", zu der Moldau zählt – wie auch Armenien, Aserbaidschan, Georgien, die Ukraine und Belarus. Eine Ära hochtrabender Erwartungen begann, die von unseren Politikern/Unternehmern ausgenutzt wurde. Während man den Begriff "Europäische Integration" rücksichtlos ausschlachtete, wurde das Land in eine tiefe politische Krise geführt. Für mich ist der Begriff seither ein Schimpfwort und genauso inhaltsleer wie "Stabilität", "Identität" und "Mentalität". Diese Worthülsen benutzt unsere sogenannte Elite in unterschiedlichsten Kontexten – nur, welche reale Bedeutung haben diese Worte, so lange der monatliche Durchschnittslohn im Land 250 Euro beträgt und Auslandsüberweisungen unserer Arbeitsmigranten an ihre Familien daheim fast ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts ausmachen? Da hilft es auch nichts, dass an allen möglichen öffentlichen Gebäuden neben der moldauischen Flagge die EU-Fahne hängt.
Wie kann eine Milliarde Dollar gestohlen werden?
Einige Dinge in Moldau sind schlicht unmöglich zu verstehen. Wie etwa kann es sein, dass binnen weniger Tage fast eine Milliarde Dollar aus drei großen Banken gestohlen und kaum ein Beteiligter zur Rechenschaft gezogen wird? Sie haben richtig gelesen: Eine Milliarde! Genau das ist im November 2014 passiert – erlaubt und geplant von Oligarchen und ihrer Umgebung. Unsere Zeitungen nennen das Ganze den "Raub des Jahrhunderts". Nur der schon erwähnte Vlad Filat wurde im vergangenen Juni deswegen zu neun Jahren Gefängnis verurteilt. Die Teilnehmerliste derer, die diesen Betrug vorbereitet haben, ist aber viel länger. Und als eigentlicher Drahtzieher wird ohnehin der andere Vlad vermutet: Plahotniuc, der übrigens auch "Der Puppenspieler" genannt wird. Der wäre dieses Jahr fast Premierminister geworden.
Präsidentschaftskandidaten versprechen alles Mögliche
Auch im Wahlkampf für die Präsidentschaftswahlen am 30. Oktober ist der Einfluss von Oligarchen und Lobbyistengruppen deutlich spürbar. Dieses Mal wird der Präsident direkt gewählt und nicht vom Parlament wie in den vergangenen 16 Jahren. Die Kandidaten versprechen alles Mögliche und wollen damit das Land meiner Meinung nach weiter spalten – nicht einen. Einige Kandidaten stehen für die Föderalisierung des Landes, andere dagegen für eine Vereinigung mit Rumänien, wieder andere wollen einen souveränen und zentralisierten Einheitsstaat. Überall hängen ihre Wahlplakate mit entsprechenden Slogans.
Marian Lupu zum Beispiel, Leiter der Demokratischen Partei, die von Vlad Plahotniuc finanziert wird, lächelt seriös vom Plakat und behauptet: "Ich höre zu und löse Ihre Probleme". Eigentlich dient er seit Jahren als Schirm für die Oligarchenpartei, die alle Staatsorgane vereinnahmt hat. Auch der Sozialist Igor Dodon will die Menschen überzeugen, dass er gegen das System kämpfen wird. Umfragen zufolge hat er gute Chancen zu gewinnen. Aber nur, weil es ihm erlaubt wird, "linke Opposition" zu spielen. Einig sind sich die Kandidaten lediglich bei einem Versprechen: Alle wollen die verschwundene Milliarde zurückbringen. Nur glaubt ihnen das niemand.
Wahl von vornherein verloren
Ich denke, die Wahl ist schon jetzt verloren – für alle Beteiligten. Denn am Ende wird es wieder Fälschungen und große Unregelmäßigkeiten geben, eine politische Figur wird ins Amt berufen, die wie eine Puppe aus dem Hintergrund geführt wird. Den Umfragen zufolge gibt es ein zentrales Problem im Land, das vor allen anderen gelöst werden muss: die Korruption. Doch genau damit wird sich ein Präsident, der von Gnaden der Oligarchen an der Macht ist, niemals beschäftigen.
Moldauer - arm, aber nicht mehr naiv
Und kaum einer glaubt noch den Medien im Land. Ich denke, über die Jahre hat die Mehrheit der Moldauer es mitbekommen - den herrschenden Eliten spielt es in die Karten, wenn sich das Volk in einer schweren Lage befindet. Nicht umsonst sprechen die ausländischen Medien von der Republik Moldau als dem "Armenhaus Europas". Und je länger das Land arm und hilflos bleibt, umso deutlicher wird es, dass es allein den Machenschaften Mächtiger dient. Je ärmer die Menschen sind, desto einfacher ist es, sie als Wähler mit wohltätigen Aktionen auf die eigene Seite zu bringen und zu manipulieren. So macht es Plahotniuc mit seiner Stiftung "Edelweiß" – er eröffnet Spielplätze für Kinder, renoviert die Krankenhäuser, fördert junge begabte Menschen und unterstützt die Dorfbevölkerung. Auch so kann man Wähler gewinnen – wenn die Menschen nur arm genug sind.
Nur denke ich nicht, dass das noch lange so funktionieren wird. Langsam fangen die Moldauer an, die Realität hinter der Fassade zu sehen – der einzige positive Nebeneffekt allgegenwärtiger Täuschungen. Eine harte Prüfung für das Volk, die bereits 25 Jahre andauert.
Über Mila Corlateanu Mila Corlateanu wurde 1988 in Chisinau, Republik Moldau, geboren. Sie studierte englische Sprach- und Literaturwissenschaften sowie Soziolinguistik. Erste journalistische Schritte machte sie bei der "Courrier de Moldavie". 2012 war sie Robert-Bosch-Stipendiatin des Programms "Medien-Mittler zwischen den Völkern", 2013 absolvierte sie ein Praktikum im Deutschen Bundestag. Sie arbeitet als freiberufliche Journalistin in ihrer Heimatstadt Chisinau, der Hauptstadt von Moldawien.