Russisches Parlament macht den Weg für den Abriss tausender Plattenbauten in Moskau frei
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09. Juni 2017, 22:11 Uhr
Die Staatsduma hat am Freitag in zweiter Lesung dem sogenannte Renovierungsgesetz zugestimmt. Es macht den Weg für den Abriss tausender Häuser im Zentrum Moskaus frei. Den Bewohnern droht eine Umsiedlung.
Trotz Protesten hat die russische Staatsduma einem gigantischen Bauprojekt in Moskau zugestimmt. Tausende Plattenbauten aus der Nachkriegszeit, vor allem sogenannte Chruschtschowkas, sollen abgerissen werden. Das berichtete die russische Nachrichtenagentur Interfax am Freitagabend. Nach Angaben des stellvertretende Parlamentspräsidenten Pjotr Tolstoi werden jedoch nur Wohnhäuser entfernt, deren Bewohner zuvor mehrheitlich zugestimmt hätten. Das Gesetz zur Erneuerung baufälligen Gebäudebestands in Moskau muss offiziell in einer weiteren Lesung genehmigt werden, das gilt jedoch in der Regel als Formalie. Nach Angaben des Radiosenders Echo Moskwy demonstrierten am Freitag rund 200 Menschen stundenlang vor der Duma. Ein Oppositionspolitiker und drei weitere Teilnehmer wurden kurzzeitig festgenommen. Das Projekt von Bürgermeister Sergej Sobjanin trifft seit Wochen auf Widerstand, viele rechtliche und finanzielle Fragen sind ungeklärt. Viele betroffene Moskauer fürchten zudem, aus der Innenstadt in Hochhausviertel am Rand Moskaus umgesiedelt zu werden. Präsident Wladimir Putin hat die Pläne zwar begrüßt. Doch die soziale Unruhe in Moskau, die Sobjanin ausgelöst hat, kommt für den Kreml ungelegen. Im kommenden Jahr findet sowohl die Bürgermeisterwahl in Moskau als auch die Präsidentenwahl statt, bei der Putin absehbar antreten wird.
Das sogenannte Renovierungsgesetz war bereits Ende April in erster parlamentarischer Lesung angenommen worden. In der Bevölkerung ist das Vorhaben jedoch höchst umstritten. So war zunächst von rund 8.000 Gebäuden die Rede, die abgerissen und deren Bewohner umgesiedelt werden sollten. Dabei sind viele der Wohnhäuser alles andere als sanierungsbedürftig und befinden sich zudem in bester Stadtlage. Deswegen befürchten Betroffene kommerzielle Interessen hinter dem Abrissprogramm und sehen ihr Recht auf Wohneigentum in Gefahr, da sie keine Möglichkeit haben, gerichtlich gegen eine Umsiedlung vorzugehen.
Bei einer Anhörung am 6. Juni 2017 hatten neben Politikern auch 300 Bürger in der Duma die Möglichkeit, sich zum Thema zu äußern. Nach Aussage eines Parlamentariers konnte jeder der 24 Moskauer Abgeordneten aus seinem Wahlkreis bis zu zehn Bürger zur Teilnahme an der Diskussion einladen. Ausgewiesene Gegner des "Revovierungsgesetzes" waren offenbar nicht zur Anhörung zugelassen worden. Außerdem war bekannt geworden, dass Vertreter der Staatsduma 16.000 von 20.000 dort eingereichten Protestunterschriften als gefälscht abgelehnt hatten.
An einer Protestkundgebung gegen das Gesetz am 14. Mai in Moskau waren nach Angaben der Veranstalter mehr als 20.000 Menschen gekommen. Die Teilnehmer forderten, das Gesetz komplett zurück zu nehmen. Mittlerweile hat die Stadtverwaltung darauf reagiert und umfangreiche Änderungen ins Gesetz eingebracht.
Über dieses Thema berichtet der MDR im TV auch in: MDR AKTUELL | 09.06.2017 | 17:45 Uhr