Mindestlohn in Polen Nicht zu hoch und nicht zu niedrig
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05. Januar 2016, 09:33 Uhr
Einen gesetzlichen Mindestlohn gibt es seit Anfang der 1970er-Jahre. Auch nach dem Ende der sozialistischen Ära wurde er nicht abgeschafft, sondern der Versuch gestartet, ihn behutsam den wirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen. - Ein Gespräch mit dem Wirtschaftswissenschaftler Witold Orłowski.
Wie hoch ist der Mindestlohn in Polen?
Der polnische Mindestlohn liegt umgerechnet bei ca. 400 EUR pro Monat. Wenn man allerdings die Kaufkraftunterschiede zwischen Polen und Deutschland berücksichtigt, sind das etwa 600 bis 700 Euro, weil die Preise in Polen niedriger sind.
Ein eher karger Betrag, oder?
Aus deutscher Sicht erscheint das sicher sehr wenig, aus polnischer Sicht ist es nun auch nicht gerade die Welt, aber nur so viel kann sich die polnische Wirtschaft im Moment leisten. Bedenken Sie: Auch die Durchschnittslöhne in Polen werden für deutsche Verhältnisse eher niedrig erscheinen. Aber die Polen sind bescheidene Menschen, sind kein feudales Leben gewöhnt und daher wohl auch in der Lage, mit weniger einigermaßen anständig über die Runden zu kommen.
Was gilt es, bei der Einführung eines Mindestlohnes in Deutschland unbedingt zu bedenken?
Das wichtigste beim Mindestlohn ist: Es muss ein kluger Kompromiss der Verhandlungspartner gefunden werden, sowohl was die Gewerkschaft betrifft, die sich natürlich einen möglichst hohen Mindestlohn wünscht, als auch auf seitens der Arbeitgeber, für die der Mindestlohn nicht niedrig genug sein kann. Hier stoßen rein ökonomische Argumente, die besagen, je niedriger der Mindestlohn umso besser, mit sozialen Argumenten zusammen. Denn nach sozialen Gesichtspunkten sollte der Mindestlohn einen gewissen Lebensstandard absichern, und außerdem Leute belohnen, die arbeiten gehen wollen, statt zu Hause zu sitzen und Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe zu empfangen.
Welche Risiken drohen bei einem festgesetzten Mindestlohn?
Wenn man einen Mindest- oder Lebenslohn einführt, der aus Sicht der Arbeitgeber zu hoch ist – und denen wird naturgemäß beinahe jeder Betrag zu hoch erscheinen -, steigt automatisch das Risiko von Schwarzarbeit und Mauscheleien, zum Beispiel wenn Arbeitgeber Menschen mit Werksverträgen statt mit Arbeitsverträgen beschäftigen.
Deswegen muss der Mindestlohn sich in einem vernünftigen Rahmen bewegen, andernfalls wird daraus ein Kampf gegen Windmühlen ...
Inwiefern?
Mit dem Mindestlohn ist es so: Wenn er höher ist, als die Wirtschaft ihn sich leisten kann, vernichtet er Arbeitsplätze. Aber in jedem Falle lohnt es sich für die Unternehmen dann, den Mindestlohn zu umgehen, nach Schlupflöchern zu suchen, weil die Kosten einer legalen Anstellung im Vergleich mit Schwarzarbeit so viel höher sind, dass Schwarzarbeit sehr profitabel wird. Und wenn der Gewinn durch Schwarzarbeit groß genug ist, wird es immer Arbeitgeber geben, die bereit sind, das Risiko einzugehen, gegen die gesetzlichen Bestimmungen zu verstoßen.
Über Witold Orłowski Orłowski, geboren 1962 in Łódź, ist einer der namhaftesten Wirtschaftswissenschaftler Polens. Er ist Leiter der Business School der TU Warschau, Mitglied des Wirtschaftsbeirates des Ministerpräsidenten Donald Tusk und Chefökonom der polnischen Niederlassung von PricewaterhouseCoopers.