Zeit der Veränderung - Junge Ukrainer erzählen
Hauptinhalt
15. Februar 2019, 12:39 Uhr
Es begann mit Demonstrationen gegen den damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch: Fünf Jahre ist der Euromaidan nun her. Und heute ist das Land mehr denn je gespalten. Trotzdem haben die Ereignisse von damals Einfluss auf das Leben von heute. Erstmals zwei Jahre nach den Protesten im Jahr 2015 fragten wir junge Ukrainer: Was hat sich in eurem Leben verändert? 2018 - fünf Jahre danach - stellen wir diese Frage denselben Menschen erneut.
Dima - der Brückenbauer
Dima liebt Technik. Er erzählt von Robotern zum Selberbauen mit genauso leuchtenden Augen wie von einer Sonde, die sein Kumpel zum Mars schießen ließ. Von ihm lässt man sich leicht anstecken. Und so war es wohl auch nicht verwunderlich, dass er die Aufbruchsstimmung nach dem Maidan für sich nutzte: Er gründete 2015 ein kleines Start-Up, um Jugendliche für Technisches zu begeistern.
Seit dem Maidan hat es eine große Bewegung gegeben, Leute zu vernetzen: Aktive Menschen kommen zusammen und lösen Probleme. Viele gehen auch weg aus der Ukraine. Und verrückte Enthusiasten bleiben hier. Ich bin auch so einer.
Doch wie das Leben so spielt: Alles kam anders, als Dima es erwartet hatte. Er zog mit seiner polnischen Frau nach Warschau. Sie wollte lieber wieder zurück in ihre Heimat, da die beiden einen Sohn erwarteten. Jetzt fühle er sich wohl in Warschau, zumindest was das Wohnen angeht. Es gebe aber eine große Kluft zwischen Polen und seiner Heimat. Und die Frage, ob Dima die Ukraine vermisst, ist für ihn schnell beantwortet: "Ja, ich vermisse die Ukraine. Meine Landsleute, die Landschaft, die Natur."
Auf der anderen Seite habe ich nun die Stabilität Polens kennengelernt. Und wenn ich tief in mich hineinhöre, dann beängstigt mich die Instabilität der Ukraine.
Es sei dieses Gefühl, wenn man sich nicht auf Grundlegendes wie eine funktionierende Gesundheitsversorgung oder Arbeitsverträge verlassen könne. Wenn allein nur die Intuition hilft.
Doch trotz der krassen Veränderungen in seinem Leben ist sich Dima treu geblieben: Er gründete zum zweiten Mal - dieses Mal in Polen - sein eigenes Unternehmen und vermarktet nun Simulatoren für Virtual Reality Spiele. Der Ukraine hat er dabei keineswegs den Rücken gekehrt: Das Mutterunternehmen sitzt nämlich in Kiew. Außerdem ist er Mitorganisator der größten Hightech Messe der Ukraine "Kiew - die Stadt der Zukunft". Dima glaubt nämlich noch immer an das Potential der ukrainischen High-Tech-Branche. Er habe gelernt, wie man in der EU ein eigenes Unternehmen aufbaue und seinen Weg gefunden, Brücken zwischen der Ukraine und der EU zu bauen.
Anton - der IT-Spezialist
Anton Stremovskiy ist IT-Spezialist. Er stammt ursprünglich aus der Industriestadt Saporaoshia und lebt zurzeit als IOS-Entwickler in der Hauptstadt Kiew.
Anton hat zehn Jahre in Israel gelebt, bevor er sich entschloss 2014 – also ein Jahr nach den Maidan-Protesten - in die Ukraine zurückzukehren. "Es war keine leichte Entscheidung aus einem zivilisierten Land wie Israel in ein recht unzivilisiertes Land wie die Ukraine zu ziehen", sagte er vor drei Jahren. Aber er hat es bis heute nicht bereut – auch weil er als IT-Entwickler in der Ukraine eine gefragte Fachkraft ist. Heute, fünf Jahre danach, findet er:
Das Leben in der Ukraine verbessert sich stetig. Aber nichts geht von heute auf morgen. Ich beobachte, dass viele neue Straßen gebaut werden und ständig Cafés aufmachen. Aber die Menschen verändern sich nur langsam. Ich glaube trotzdem fest daran, dass wenn sich jeder einzelne Ukrainer an sich arbeitet, dass sich dann auch das Land zum Positiven verändert.
Anton tut dafür etwas ganz Persönliches: Er hat das Joggen angefangen und ist nun stolzer Marathonläufer.
Anna – die Wissenschaftlerin
Politisch hat die Wissenschaftlerin Anna nie gedacht. Sie ist durch und durch Biologin und stellte das schon 2015 klar:
Das Meer ist im wahrsten Sinne des Wortes grenzenlos. Für uns Wissenschaftler sind die Kämpfe im Osten sinnlos. Wir sind Biologen. Wir untersuchen, ob das Meer gesund ist – das kann man nur, wenn man sieht, welche Tiere dort leben, wie die Chemie dort ist, wie die Temperaturveränderungen sind. Wenn du gemeinsam Bakterien oder Fische analysierst, wie kann man sich dann über Putin streiten?
Ohne die politischen Veränderungen gäbe es Annas Arbeitsplatz wahrscheinlich nicht. Die beiden Stellen ihrer Chefs des Forschungsinstitut für Meeresbiologie in Odessa wurden erst 2015 geschaffen - also nach den Protesten im Land.
Vor dem Maidan war Odessa immer weit entfernt von Kiew - vor allen in den Köpfen. Aber durch die Annexion der Krim, wurde Odessa auf einmal das Zentrum für Meeresbiologieforschung und für viele Wissenschaftler interessant. Und unser Zentrum für Meeresbiologie hat stark von den Veränderungen profitiert, vor allem finanziell.
Anna ist als Wissenschaftlerin immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen. Zurzeit bewirbt sie sich um eine Stelle in Grasse in Frankreich. Außerdem reist sie viel - dank Visafreiheit ist das für Ukrainer nun auch einfach möglich.
Anton – der Macher
Anton Kulyk hat uns bereits vor drei Jahren sehr beeindruckt: Mit gerade mal 17 Jahren studierte er schon - wie so viele seiner Landsleute - und führte nebenbei ganz selbstverständlich sein eigenes Gewerbe, weil "das Bildungssystem immer noch von Korruption durchzogen ist". Für ihn haben die Maidan-Proteste alles verändert: "Vor 2013 wollte ich auf jeden Fall weg aus der Ukraine. Am besten in die USA, wie viele Ukrainer". Aber durch die Proteste hat sich etwas für den 21-Jährigen verändert, nämlich, dass er selbst aktiver Teil der Veränderung sein kann, sagte er 2015.
Wir können etwas beeinflussen, wir können die politische Agenda mitbestimmen. Die Post-Maidan-Generation ist eine Generation von Menschen, die etwas verändern möchten.
Und auch heute noch ist Anton ein typischer Macher. Aus dem schüchternen Jungen von damals ist ein selbstbewusster junger Mann geworden. Er arbeitet als App-Entwickler und Event-Manager. Und noch immer ist er ähnlich optimistisch wie damals:
Die Menschen hier haben bewiesen, dass wir die Ukraine zu einem Land machen können, in dem es sich gut leben und arbeiten lässt. Wir sollten weitermachen, was wir begonnen haben!
Ähnlich wie viele andere Ukrainer ist Anton aber noch längst nicht zufrieden mit dem Ist-Zustand. Es fehle noch immer an einer liberalen Oppostion. Zu viele Politiker seien autoritär, die politische Szene generell sei zu homogen. Das "Alte" sei immer noch zu spüren. Bestes Beispiel für den jungen Ukrainer sei die Kandidatur von Julia Timoschenko um das Amt als Präsidentin. Timoschenko entstammt dem alten Kader und gilt als fragwürdige Populistin. "Wir sollten uns also auf uns selber verlassen anstatt auf die Regierung", so Anton. Die Regierung sei immer auch ein Spiegel der Gesellschaft. Man habe es auch in der Hand als Wähler.
Über dieses Thema berichtet MDR Aktuell auch im TV:
15.02.2019 | 17:45 Uhr
23.11.2018 | 17:45 Uhr