Ein lettisch-russisches Doppelleben
Hauptinhalt
Wie ein lettisch-russisches Paar seinen Alltag meistert
29. Oktober 2013, 10:30 Uhr
Jedes Jahr zwei Mal Geburtstag feiern - wer träumt nicht davon? Für Santa und Arturs aus Riga ist das seit vier Jahren Realität. So lange sind die beiden ein Paar: "Wir müssen einmal mit dem lettischen und dann noch mal mit dem russischen Freundeskreis feiern", sagt die rothaarige Santa und ist alles andere als glücklich darüber. Sie selbst stammt aus einer russischen Familie, ihr Freund Arturs ist Lette. Im Alltag bedeutet das ein kleines Doppelleben: "Wir haben im Prinzip zwei unterschiedliche Freundeskreise, die sich nicht überschneiden."
Sprachbarrieren
Dass eine Beziehung zwischen den beiden Studenten möglich ist, liegt an Arturs. Der 20-jährige Informatikstudent spricht - wie die meisten Letten - auch fließend Russisch. Das baltische Land war bis 1991 eine Sowjetrepublik und noch heute ist mehr als jeder vierte Einwohner Lettlands russischstämmig. Reklametafeln oder Hinweisschilder in Riga sind häufig auch in kyrilischer Schrift, obwohl nur Lettisch die Landessprache ist. Die 22-jährige Santa besuchte dagegen, wie die meisten "russischen Letten", eine russische Schule. Dass sie ihren zwei Jahre jüngeren Freund aus der Schule kennt, liegt am Schwimmunterricht, den manche Rigaer Schulen gemeinsam in den Schwimmhallen der Stadt durchführen. Die lettische Sprache bereitet Santa selbst im Alltag manchmal Probleme: "Ich spreche nicht perfekt Lettisch und an der Uni es fällt mir nicht immer leicht mit der Sprache." Gut, dass ihr Studiengang "Internationale Wirschaft" auf Englisch läuft.
"Bring ja keinen Janis nach Hause!"
Letten gelten wie Skandinavier als distanziert und ruhig, Russen dagegen als warmblütig und temperamentvoll. Doch solche Mentalitätsunterschiede sieht Santa zwischen sich und ihrem Freund nicht. Vielleicht, weil sie in Riga geboren wurde und immer hier gelebt hat. Auch ihr Name "Santa" ist baltisch. Eigentlich sollte sie Aleksandra heißen, doch Mutter Ewelina wollte lieber einen lettischen Namen. Und das, obwohl sie ihrer Tochter immer sagte, sie solle ja keinen Janis nach Hause bringen. Janis ist ein typischer lettischer Jungenname. "Das war natürlich ein Scherz", sagt Santa heute.
Doch ob eine Beziehung mit einem "Janis", der gar kein Russisch versteht, für sie tatsächlich möglich wäre? Er müsste zumindest Verständnis für ihre Kultur haben, glaubt Santa. Etwa wenn Santas Familie am 9. Mai den "Tag des Sieges" feiert. Viele Letten sind dazu nicht bereit, Arturs schon. Der 20-Jährige, der seine langen Haare gerne zu einem Pferdeschwanz zusammenbindet, begleitet seine Freundin dann zum Ehrenmal für die sowjetischen Kämpfer. Ohnehin geht das Pärchen häufig raus, unternimmt viel im Freien. Reisen und Campen, egal wo, das ist beider Hobby. So können sie zumindest gemeinsam "probe-wohnen", denn noch leben sie bei ihren Eltern und wollen erst mit dem Studienabschluss in der Tasche auf gemeinsame Wohnungssuche gehen. Ohne einen guten Job könne man sich eine Wohnung in Riga kaum leisten, sagt Santa. "Aber wir sehen uns ohnehin jeden Tag."
Dass dann irgendwann auch eine Hochzeit ins Haus steht, ist für Santa der nächste Schritt, während Arturs bislang kein Wort darüber verliert. Konsens besteht jedenfalls, was die Erziehung künftiger Kinder angeht. Nur Russisch oder nur Lettisch steht nicht zur Debatte. "Es soll beide Sprachen lernen und perfekt beherrschen."
Über Markus Nowak Jahrgang 1982, Studium der Neueren/Neusten Geschichte in Berlin, Warschau und Mailand, Redakteursausbildung am Institut zur Förderung des publizistischen Nachwuchses (München) und in der Katholischen Nachrichten-Agentur (Bonn), Autor für Osteuropa, lebt in Berlin