Interview "Die Kirche übt auf brutale Weise Druck aus!"
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25. Mai 2016, 16:14 Uhr
Stanislaw Obirek ist Theologe und ehemaliger Jesuiten-Priester. Im Gespräch mit HEUTE IM OSTEN erklärt er, wie die Kirche in Polen mit der Politik verbunden ist und mit welchen Methoden sie ihre Ziele verfolgt.
Sie sehen das Wirken der Kirche in Polen sehr kritisch. Weshalb?
Eine autoritäre Partei, Jaroslaw Kaczynskis Recht und Gerechtigkeit (Pis), hat dem fundamentalistischen Katholizismus die Hand gereicht. Die Kirche ist zu einem politischen Akteur geworden.
Wie sieht das in der Praxis aus?
Eine deutliche Mehrheit des Klerus ruft ganz offen dazu auf, die Pis zu wählen. Auch in den Predigten. Und dann gibt es da noch das so genannte Rydzyk-Imperium des Paters und Medienunternehmers Tadeusz Rydzyk. Dazu gehören die Tageszeitung "Nasz Dziennik", "Radio Maryja" und "TV Trwam". Sie sind eindeutig für die Pis und haben die Partei in den Wahlen unterstützt.
Wie beurteilen Sie die Tätigkeit von Radio Maryja?
Dieses Radio arbeitet vor allem mit negativen Botschaften. Es ist anti-europäisch, anti-demokratisch, anti-ökumenisch. Und es gibt sogar sehr starke Elemente des Antisemitismus. Dieses Radio schreckt nicht vor einer Sprache des Hasses zurück. Dinge, die in Westeuropa selbstverständlich sind, etwa gleichgeschlechtliche Beziehungen, werden dort als satanisch stigmatisiert. Ich halte das für sehr gefährlich. Radio Maryja gibt Ideen Raum, die von Grund auf unchristlich sind.
Aber Radio Maryja hören doch vor allem alte Leute. Hat es wirklich so viel Einfluss auf die Gesellschaft?
Radio Maryja hat ein Angebot für unterschiedliche Altersgruppen, auch für junge Leute. Außerdem hat Ojciec Rydzyk eine Medien-Hochschule in Torun. Viele ihrer Absolventen haben jetzt Arbeit in den "nationalen Medien" gefunden – so nennt die Pis die ehemals öffentlich-rechtlichen Medien. Viele der Absolventen finden auch eine Anstellung in den staatlichen Institutionen. Von daher sehe ich eine Ausweitung des Einflusses. Die Rydzyk-Medien haben eine sehr große Bedeutung gewonnen. Ojciec Rydzyk ist der sichtbarste Vertreter der katholischen Kirche geworden und er ist mit der Regierungspartei verbunden ...
Gibt es nicht auch kircheninterne Kritik an Pater Rydzyk?
Früher gab es einige Bischöfe, die ihre Distanz gegenüber Rydzyks Radio Maryja ausgedrückt haben, etwa der verstorbene Józef Glemp. Aber heute könnte ich keinen Bischof nennen, der offen dagegen ist. Eine deutliche Mehrheit der polnischen Bischöfe unterstützt dieses Radio.
Gibt es alternative Strömungen in der polnischen Kirche?
Ja, es gibt Zentren des sogenannten offenen Katholizismus. Ihre Medien sind zum Beispiel "Tygodnik Powszechny" oder das Magazin "Znak". Sie distanzieren sich von der Pis und von Pater Rydzyk, aber sie haben medial eine deutlich geringere Bedeutung.
Auch Sie waren lange Zeit als Jesuiten-Priester Teil der katholischen Kirche. Wann hat bei Ihnen ein Sinneswandel eingesetzt?
Ich war sogar Rektor des Jesuitenkollegs in Krakau. Für mich hat das alles gut funktioniert bis zum Jahr 1989. Die Wende hat auch Veränderungen in der Kirche mit sich gebracht, sie ist ziemlich schnell zu einem politischen Akteur geworden. Ich war lange in Opposition zu dieser Hauptströmung. Schließlich wurden für mich Praktiken wie Kontrolle und Zensur so sehr zum Problem, dass ich mich vor zehn Jahren entschieden habe, die Kirche und den Orden zu verlassen.
Sie sprechen von der Kirche als "politischem Akteur". Wie sie die Pis unterstützt, haben Sie schon erklärt, aber übt sie auch selbst direkten Einfluss auf die Politik aus?
Ja. Die Mittel, mit denen die Kirche Druck auf die Politik ausübt, sind sehr brutal. Noch zur Zeit der Vorgängerregierung wurden zum Beispiel Stimmen einiger Bischöfe laut, die sagten, dass ein Politiker, der für die künstliche Befruchtung mit der Methode "in vitro" ist, nicht zur Kommunion zugelassen werden sollte. Oder es werden Listen der Abgeordneten veröffentlicht, die für die Anerkennung homosexueller Beziehungen sind. So sollen Politiker eingeschüchtert werden. Die Kirche schließt diejenigen aus, die anders denken als sie.
Wie steht der Papst dazu?
Das ist sicher gegen seine Vorstellung von der Kirche. Vor einigen Tagen hat er der französischen Zeitung "La Croix" ein Interview gegeben, in dem er sich für die Trennung von Kirche und Staat ausspricht. Ich denke, für die polnische Kirche ist das ein großes Problem. Papst Franziskus kommt im Juli 2016 nach Polen zu den Weltjugendtagen. Und das was und wie er es sagt, wird vielleicht den liberalen Flügel stärken.
Offensichtlich gibt es unterschiedliche Strömungen in der Kirche. Wer sind die wichtigsten Akteure und wofür stehen sie?
Die Hauptströmung in der polnischen Kirche ist konservativ. Pfarrer Rydzyk vertritt zum Beispiel diese Gruppe mit einer xenophoben und nationalistischen Tendenz. Das ist der Katholizismus des Polens der Dreißiger, also der Katholizismus der Nationaldemokraten. Nach deren Vorstellung hat ein Pole auch ein Katholik zu sein. Und diese Strömung dominiert zurzeit.
Eine ganz andere, ähnlich einflussreiche Figur ist der Professor und Priester Michał Heller. Für viele Leute ist er eine Alternative zu Rydzyk, denn er ist ein Mensch des Dialoges. Er hat zum Beispiel mit dem Biologen und Religionskritiker Richard Dawkins gesprochen. In Krakau hat er das Copernikus Center gegründet, ein interdisziplinäres Forschungszentrum, das sich mit den Schnittstellen von Naturwissenschaft und Theologie beschäftigt. Der Pis und einer Politisierung der Kirche gegenüber ist er sehr abgeneigt. In intellektuellen Kreisen ist er sehr einflussreich, während Rydzyk die einfachen Leute anspricht.
Wer spielt noch eine bedeutende Rolle in der Kirche?
Stanislaw Gądecki ist der Erzbischof von Posen. Er ist der Vorsitzende des polnischen Episkopates und in dieser Funktion ist er gemäßigt. Er tritt nicht in den Medien von Rydzyk auf und er unterstützt auch nicht eindeutig die Pis. Aber einige seiner Predigten sind sehr konservativ. Andererseits hat er vor kurzem vor den Gefahren des Nationalismus gewarnt. Er unterstützt Papst Franziskus.
Andere Bischöfe sind dagegen ganz eindeutig mit Radio Maryja verbunden: Zum Beispiel Bischof Henryk Hoser. Er ist sehr konservativ, sehr verschlossen und politisiert. Auch der Danziger Bischof Sławoj Głódź unterstützt die Pis und ist für eine starke Macht der Kirche im öffentlichen Raum.
Auch Bischof Józef Michalik hat die Pis unterstützt. In seiner Rede Ostern 2016 beschuldigte er die Gegner der Regierung, dass deren "Anschuldigungen fremde Völker zum Hass gegen Polen mobilisieren." Inzwischen ist er in Rente. Hat das etwas mit seinem politischen Engagement zu tun?
Er hat seinen Rücktritt eingereicht. Interessant ist, dass der Papst diesen so schnell angenommen hat. Ein Grund dafür war, dass Michalik sich eindeutig politisch geäußert hat. Das heißt, wir haben einen deutlichen Anfang einer Einmischung von Papst Franziskus in den polnischen Episkopat. Natürlich macht er das langsam und diskret, aber für vatikanische Verhältnisse ist das ein klares Signal. Der Nuntius des Papstes, Celestino Migliore, der viel zu sagen hat, ist zwar ein Teil des alten Systems. Aber trotzdem hat er schon einige Male interveniert.
Warum unterstützen so weite Teile der Kirche die Pis? Bekommen sie im Gegenzug besondere Privilegien?
Ja. Es wurde gerade ein neues Gesetzt verabschiedet, das sehr strenge Regeln für den Kauf von Ackerland vorsieht und Begrenzungen hinsichtlich der Fläche macht. Nur die Kirche wurde von diesem Gesetzt ausgenommen. Auch beim Religionsunterricht sieht man diese Privilegierung: Der Staat bezahlt zwar den Religionsunterricht, hat aber nicht den geringsten Einfluss darauf, was dort gelehrt wird. Das kontrollieren die Bischöfe.
Das ist aber nicht erst so, seit die Pis an der Macht ist. Warum haben vorherige Regierungen die Privilegien der Kirche nicht abgeschafft oder wenigstens beschnitten?
Nach der Wende hat sich keine Partei auf einen Konflikt mit der Kirche eingelassen. Das ist schwer zu verstehen, aber ich denke, das ist ein Abbezahlen einer Dankbarkeitsschuld - weil die Kirche in der Revolution die Rolle eines Vermittlers gespielt hat. Viele glauben, dass es deshalb in Polen nicht zu einem blutigen Bürgerkrieg gekommen ist.
Ging es da wirklich um Dankbarkeit oder nicht eher um politisches Kalkül? Es wäre sicher riskant gewesen, einen offenen Konflikt mit der Kirche zu wagen.
Für diese These gibt es keine Belege. Viele Wähler haben sich auch wegen eines Mangels an Entschlossenheit gegenüber der Kirche von der liberalen Bürgerplattform (PO) abgewandt. Das heißt, dieses Kalkül, sich nicht mit der Kirche anzulegen, geht nicht auf. Zu der politischen Situation, die wir heute in Polen haben, ist es erst durch die Unterwürfigkeit aller politischen Parteien gegenüber der Kirche gekommen.