"Bonnie und Clyde aus Pskow"
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30. November 2016, 15:53 Uhr
Der Tod zweier Jugendlicher bewegt Russland. Haben sie sich selbst umgebracht und dabei gefilmt oder wurden sie von Sicherheitskräften erschossen? Im Netz avancieren sie gerade zu zweifelhaften Helden.
"Komm raus, Denis! Es reicht jetzt mit den Dummheiten", ruft eine Männerstimme durch ein Megafon. Maskierte Spezialkräfte stürmen das Haus, wenige Sekunden später fällt ein Schuss, der den Schnee vom Vordach des braunen Holzhauses rutschen lässt, dann bricht das Video ab. Wer den Schuss abgegeben hat, darüber rätselt das russische Netz. Fest steht nur: Zwei Teenager sind tot.
Katja und Denis berichten live im Netz über ihre Pläne
Katja und Denis, beide 15 Jahre alt, verschanzen sich am 11. November 2016 in der Datscha von Katjas Stiefvater in der Nähe der Stadt Pskow, drei Tage harren sie dort aus, brechen den Waffenschrank mit den Jagdgewehren auf, schießen auf Fernseher, Hunde und ein Polizeiauto vor der Tür. Ihr Kick: Sie filmen sich dabei. Fast zwei Stunden lang, über den Livedienst "Periscope".
"Zum heutigen Tag kommen die vorläufigen rechtsmedizinischen Untersuchungen zu dem Schluss, dass die tödlichen Verletzungen von einer aus nächster Nähe abgefeuerten glattläufigen Jagdwaffe stammen", sagt der Sprecher der Ermittlungsbehörde in Pskow, Anton Dobrochotov, laut russischen Medien. Doch auch das zweifeln viele an, denn im Video sagen Denis und Katja, dass sie ihre Waffen aus dem Fenster geworfen hätten, und zwar nach Aufforderung der Einsatzkräfte. "Sie haben sowas gesagt wie: 'Sie geben uns Zeit, es uns noch mal zu überlegen'", sagt Katja. Denis ergänzt: "Wir können uns also nicht mehr umbringen." Trotzdem lautet die offizielle Version der Polizei, dass Denis zunächst Katja und dann sich selbst erschossen habe.
Wie die beiden Jugendlichen tatsächlich gestorben sind, wird wohl nicht mehr geklärt werden können. Sie sind längst beerdigt. Doch ihr Tod bewegt Jugendliche in ganz Russland. Bei "VKontakte", dem russischen Facebook, haben sich Gruppen gegründet, die "Bonnie und Clyde aus Pskow" feiern. Viele werfen den Sicherheitsbehörden Mord vor und fragen, ob man die Tragödie nicht hätte verhindern können.
Helden im Netz
Sowohl Katjas Oma als auch ihre Mutter haben wohl versucht, das Mädchen zum Aufgeben zu bewegen. Ohne Erfolg, denn Katja lag im Streit mit ihrer Mutter; sie behauptet im Video gar, sie sei geschlagen worden. Sie habe bei einer Freundin übernachten wollen, die Mutter sei dagegen gewesen und es sei daraufhin zu Handgreiflichkeiten gekommen. Katja behauptet, deswegen sei sie von zu Hause weggelaufen. Nicht das erste Mal, berichten jetzt Klassenkameraden. Es bleiben wenigstens Ungereimtheiten...
Opfer häuslicher Gewalt, Opfer der Polizei – Katja und Denis avancieren mittlerweile zu wahren Helden und – so befürchten Kinderschutzorganisationen – zu Vorbildern, die im schlimmsten Fall Nachahmer finden.