Streit um "Unabhängigkeitsmarsch" 100 Jahre Unabhängigkeit: Polen feiert entzweit
Hauptinhalt
12. November 2018, 15:29 Uhr
Am Sonntag hat Polen den 100. Jahrestag seiner Unabhängigkeitserklärung von 1918 gefeiert. Das Fest wurde vom Streit um den "Marsch der Unabhängigkeit" überschattet - von Nationalisten organisiert und wegen rassistischer Parolen seit Jahren in der Kritik. Nach vielen Querelen gab es dieses Jahr einen gemeinsamen Aufmarsch der Regierung und der Nationalisten. Opposition und Ex-Präsidenten blieben dagegen fern. Für viele Polen hat sich die nationalkonservative PiS-Regierung damit kompromittiert.
Von Jahr zu Jahr wurde das Problem größer: Der Unabhängigkeitsmarsch - in seiner heutigen Form erstmals im Jahr 2010 veranstaltet - entwickelte sich zu einer Veranstaltung, die dem Ruf des Landes schadete: Bilder von aggressiven jungen Männern mit Rauchkerzen in den Händen, Skimützen über den Gesichtern und rassistischen Hetzparolen auf den Lippen gingen um die Welt.
Im Ausland wurden solche Szenen mit Befremden aufgenommen, aber auch im Inland bereiteten sie vielen Polen Unbehagen, weil die Nationalisten langsam, aber sicher dabei waren, den Unabhängigeitstag für sich zu vereinnahmen. Vor dem 100-jährigen Jubiläum der polnischen Unabhängigkeit wurde der Marsch selbst für die nationalkonservative PiS-Regierung zum Problem, obwohl sie die Nationalisten in früheren Jahren mit verschiedenen politischen Gesten regelrecht umworben hatte.
Ständig neue Wendungen
Es war im Vorfeld offenkundig, dass die Regierung ratlos ist und nicht weiß, wie sie mit dem Unabhängigkeitsmarsch der Nationalisten umgehen soll. Kurz vor dem Fest entwickelten sich die Ereignisse rasant weiter, Pläne und Gegenentwürfe wechselten fast im Stundenrhythmus einander ab. Zunächst ließ die liberale Oberbürgermeisterin von Warschau, Hanna Gronkiewicz-Waltz, den Aufmarsch der Nationalisten verbieten. Präsident Andrzej Duda verkündete dann sofort, dass die Regierung einen eigenen Marsch organisieren werde. Doch nur wenige Stunden später änderte sich die Lage noch einmal: Das von der Oberbürgermeisterin erlassene Verbot wurde von einem Gericht gekippt. Also beschloss man, dass es zwei Aufmärsche geben soll, auf derselben Route, mit einer Stunde Abstand. Doch nur einen halben Tag später kam schon die nächste Wendung: Nationalisten und Regierung verkündeten, es werde einen einzigen, gemeinsamen Marsch geben.
De facto doch zwei Aufmärsche
Damit hoffte die PiS-Regierung offenbar, den Nationalisten die Show zu stehlen, sich selbst als patriotisch präsentieren und die unbequemen Nationalisten innerhalb des gemeinsamen Marsches mäßigen zu können. Doch die Rechnung ging nicht auf. Auch dieses Jahr blieben die befürchteten Hassparolen auf Seiten der Nationalisten nicht aus. Diverse Zwischenfälle sorgten für Schlagzeilen - unter anderem wurde eine EU-Fahne während des Aufmarsches öffentlich verbrannt. Und schon bald nach dem Start trennte sich der angeblich gemeinsame Unabhänigkeitsmarsch in zwei Teile - an der Spitze marschierte die Regierung mit dem Staats- und dem Ministerpräsidenten - am Ende, von Polizeikräften abgetrennt, marschierten die Nationalisten in der gewohnt aggressiven Aufmachung.
Regierung verkündet Erfolg
All das hinderte die Regierung nicht daran, den Unabhängigkeitsmarsch als Erfolg zu bezeichnen. "Der gemeinsame Aufmarsch ist ein riesiger Erfolg, es ist ein wirklich großer Tag", sagte der Vorsitzende der Regierungspartei PiS, Jarosław Kaczyński. "Unter unserer weiß-roten Fahne ist für jeden Platz, unabhängig von seinen Anschauungen, weil jeder Pole sein Vaterland liebt", sagte Staatspräsident Andrzej Duda. Ministerpräsident Matesz Morawiecki verkündete: "Eine Verständigung jenseits des Trennenden ist nötig. Ich erkläre meinerseits die Bereitschaft dazu."
Opposition und Ex-Präsidenten bleiben fern
Doch gerade das, die von den PiS-Vertretern verkündete nationale Einheit, fehlte an diesem Tag. Die Vertreter der wichtigsten Oppositionsfeiern feierten im eigenen Kreis an einem anderen Ort. Auch alle ehemaligen Staats- und Ministerpräsidenten der Nachwendezeit blieben dem Unabhängikeitsmarsch der PiS-Regieurung und der Nationalisten fern. Bürgerplattform-Vorsitzender Grzegorz Schetyna bezeichnete ihn als kompromittierend. "Es ist derselbe Nationalistenaufmarsch, der alljährlich veranstaltet wird. Heute wird er von Präsident Duda salonfähig gemacht, der sich an die Spitze stellt", sagte der Chef der größten Oppositionspartei.
Bei vielen Polen bleibt nach diesem 11. November ein schlechtes Gefühl zurück. Die endlosen Querelen und Streitereien um das Fest empfinden sie als der Würde einer 100-Jahr-Feier nicht angemessen.
Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im: Radio | 11.11.2018 | 03:00 Uhr