Interview mit Gennadi Gudkow "Er will Macht demonstrieren"

23. September 2016, 17:23 Uhr

"Ich denke, dass Putin […] sich darauf vorbereitet, seine Macht auch mit Waffengewalt zu verteidigen", meint Ex-KGB-Oberst Gennadi Gudkow. Er schließt deshalb die Schaffung eines Großgeheimdienstes nicht aus.

Wie sinnvoll ist eine Zusammenlegung der Geheimdienste zu einem neuen KGB?

Es gibt im Moment sehr viele eigenständige Geheimdienste, die jeweils teilweise unnötige Funktionen und Unterabteilungen haben. Im Sinne der Optimierung der Finanzen ist eine Zentralisierung durchaus sinnvoll, unter einer Bedingung: Wenn es in Russland eine unabhängige Kontrolle über die Geheimdienste durch das Rechtssystem gäbe. In erster Linie meine ich das Parlament, eine zivile Kontrolle. Wenn also die Staatsanwaltschaft tatsächlich funktionieren würde und das Gerichtssystem unabhängig wäre. Aber das System der Geheimdienste in Russland ist nicht nur traditionell sehr verschlossen, sondern auch, und das möchte ich nochmal unterstreichen, absolut ohne Kontrolle. Dazu kommen eine gelenkte Staatsanwaltschaft und eine unterdrückte Gerichtsbarkeit. Unter diesen Voraussetzungen bedeutet die Schaffung eines Supermonsters in Form eines neuen KGB die Verstärkung des Trends hin zu einem gewaltsamen Apparat mit noch mehr repressiven Funktionen. Dieses "Monster" richtet sich vor allem gegen die Opposition aber auch gegen künftige sozial-ökonomische Proteste, die nicht lange auf sich warten lassen werden. Die Regierung hat verstanden, dass die Krise, die sie selbst hervorgerufen hat, nicht so schnell zu Ende ist und sich weiter verstärken wird, denn es ist eine Krise des Systems. Eben erst ist eine Statistik veröffentlicht worden, die zeigt, dass der Lebensstandard der Bevölkerung weiter katastrophal sinkt.

Was bedeutet die Schaffung eines neuen großen Ministeriums für Staatssicherheit?

Es ist nicht nur diese Superstruktur des Geheimdienstes. Schauen Sie, was in letzter Zeit schon passiert ist. Es ist eine drastische Verschlechterung aller Gesetzesnormen zu beobachten. Die Jarowaja-Gesetze (die im Sommer von Putin unterzeichneten  "Anti-Terror-Gesetze", die u.a. die Vorratsdatenspeicherung von Telefonaten, Mails und Verbindungsdaten bis zu drei Jahren erlauben. Anm. d. Red.), die darauf ausgerichtet sind, alle Bürger auszuspionieren; die Schaffung der Russischen Nationalgarde, da sind 230.000 bewaffnete Soldaten, die nicht nur mit Schusswaffen, sondern auch mit Panzern, mit Artillerie und anderen Waffensystemen ausgestattet sind. Diese Garde ist eine Privatarmee Putins, die sogar die Größe der Bundeswehr überschreitet. Dazu kommt eine deutliche Stärkung der Exekutive, was ihre Befugnisse betrifft – heute dürfen  Polizei oder Armee auf Demonstranten und Menschenmassen schießen. Und schließlich geht es um die Schaffung eines sogenannten Ministeriums der Staatssicherheit bzw. zunächst einmal um den Test der öffentlichen Meinung. Was also hält die Öffentlichkeit von so einer möglichen Struktur?

Kann oder will Putin aus seiner Logik als Ex-KGB-Offizier heraus nicht anders handeln, als den KGB quasi wiederzubeleben?

Er will nicht anders. Denn er hat gesehen, was mit Diktatoren passiert, die seiner Meinung nach Schwäche gezeigt haben. Und ich vermute, dass er sich darauf vorbereitet, harte Maßnahmen gegenüber der eigenen Bevölkerung zu ergreifen. Leider. Wenn man sich etwa die Erfahrungen des zaristischen Russlands anschaut, als die Monarchie innerhalb von zwei Tagen verschwunden ist. Wenn man sich die Erfahrungen der Sowjetunion anschaut, als die Kommunistische Partei, die 70 Jahre an der Macht war, innerhalb von drei Tagen spurlos verschwunden ist. In den jeweiligen Situationen sind weder der Zar noch das Politbüro so weit gegangen, auf das eigene Volk zu schießen und wurden abgesetzt. Ich denke, dass Putin diese Lektion sehr gut gelernt hat und sich darauf vorbereitet, seine Macht auch mit Waffengewalt zu verteidigen. Er hat auch gesehen, was Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre in der DDR geschehen ist und ich denke, er meint, dass gerade harte Maßnahmen und eine kompromisslose Haltung notwendig sind, um an der Macht zu bleiben. Ich glaube, dass ist sein Credo.

Ich möchte aber noch ergänzen, dass Putin sicher nicht auf das Volk schießen will. Er will Macht demonstrieren, ohne sie zunächst anzuwenden. Wenn wir momentan von Repression in Russland sprechen, dann haben sie einen selektiven Charakter. D.h., bisher demonstriert Putin, dass er die Grenze von einem totalitären Staat zu einer Diktatur nicht endgültig überschreiten möchte. Doch wenn Putin das Gefühl hätte, dass ihm nichts anderes übrig bleibt, als Waffengewalt einzusetzen, dann wird das eine ganz andere Geschichte und ein ganz anderes Land sein und ganz andere Folgen haben.

Kommt Ihrer Meinung nach so ein Superministerium?

Ich denke, jetzt noch nicht. Denn der Kremlsprecher hat solche Pläne abgestritten. Doch hinter den Kulissen laufen die Vorbereitungen möglicherweise schon. Meiner Meinung nach handelt es sich um eine psychologische Attacke. Putin will testen, wie die Bürger auf die Idee reagieren, so ein Geheimdienstmonster zu schaffen, das auf Repression und gewaltsame Unterdrückung ausgerichtet ist. Denn dieses Monster soll auch juristische Aufgaben übernehmen, ähnlich wie der NKWD (den Vorgänger des KGB), als Gerichte durch sogenannte Troikas abgelöst wurden, die regelrecht am Fließband Urteile produziert haben, darunter auch Todesurteile. Wobei das FSB schon heute dominant ist und die Exekutivorgane schon jetzt beeinflusst. Aber ich schließe die Schaffung eines Großgeheimdienstes nicht aus.

Gennadi Gudkow Gudkow arbeitete elf Jahre für den sowjetischen Geheimdienst KGB bzw. seine Nachfolgeorganisationen. 1992 hat er den Geheimdienst im Range eines Oberst verlassen. Gudkow hat dann eine Sicherheitsfirma gegründet, die zeitweise mehr als 3.000 Mitarbeiter beschäftigte. Gudkow war Mitglied der Partei "Gerechtes Russland" und von 2001 bis 2012 Mitglied der Duma. 2011 organisierte er Demonstrationen gegen die Regierung wegen mutmaßlicher Wahlfälschungen mit.