Straßenkunst in Kiew

08. August 2017, 11:14 Uhr

Zwischen Sowjet-Erbe und moderner Street Art: Ein Straßenkunstprojekt will der Ukraine eine neue Identität geben. Riesige Wandmalereien ziehen sich durch das Kiewer Stadtbild - eine Freiluft-Galerie für alle. Und ein zutiefst politischer Prozess.

Graffiti in Kiew 4 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
4 min

Mo 07.08.2017 14:03Uhr 03:51 min

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Riesengroß, bunt und unter freiem Himmel: In ganz Kiew haben internationale Künstler die Fassaden der sowjetischen Plattenbauten neu gestaltet. Mehr als 50 großflächige Wandmalereien sind bisher entstanden. Einer der Künstler ist Emanuel Jarus aus Kanada.

Emanuel Jarus
Graffiti-Künstler Emanuel Jarus in Kiew Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Er hat ukrainische Wurzeln und will dabei helfen, das Stadtbild Kiews neu zu gestalten und den alten Sowjetmief abzustreifen: "100 Jahre war das einfach nur eine Wand. Jetzt sind die Leute offener. Hier entsteht eine Wandmalerei, wie ein Fenster, als Symbol für die Offenheit im Land", so Emanuel.

Kunst für alle

Es ist eine Ausstellung unter freiem Himmel. Die Wandmalereien sind also nicht in Galerien versteckt, sondern öffentlich. Emanuel ist stolz, diesen Prozess der Öffnung mitgestalten zu können. Es ist, als tätowiere man eine neue Identität auf die Wand - als eine Form der Abgrenzung von Russland und der gemeinsamen sowjetischen Geschichte. Der Krieg in der Ostukraine ist hier in Kiew zwar weit weg, doch er hat diesen Abnabelungsprozess vorangetrieben.

Street Art von Emanuel Jarus
Emmanuel Jarus: Eine Frau schaut aus dem Fenster Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Die Organisatoren

Das Künstler-Kollektiv "Kunst vereint uns" hat viele der großen Wandmalereien initiiert. Wenn es nach den Organisatoren geht, sollen in der Ukraine mehr als 100 Wandmalereien entstehen und von Kiew aus in die Welt getragen werden, als Zeichen gegen Krieg und Gewalt - ganz im Sinne der Revolution auf dem Maidan. Und den gilt es auf den riesigen Wänden zu verewigen. Wir dürfen nicht an unserer sowjetischen Vergangenheit kleben bleiben, so die Künstler. Und die Wandmalereien helfen dabei.

Es ist wichtig für Kiew, dass hier eine neue Identität entsteht die nichts mit historischen Ereignissen, Kostümen, Kossaken und Soldaten zu tun hat. Es entsteht etwas neues. Eines neues Kapitel der Geschichte.

GEO (Künstlername) "Kunst vereint uns"

Hier geht's zu den Bildern:

Hochaus mit Graffiti.
Kiews alte Platten und Häuser werden bunt: Das ukrainische Projekt "Kunst vereint uns" bringt mehr als 50 Wandmalereien direkt vor die Haustür der Menschen - riesengroß und in Farbe. Ein Großteil der Werke sind so farbenfroh wie dieses Bild von Ernesto Maranjes. Bildrechte: Ernesto Maranjes/Art United Us
Hochaus mit Graffiti.
Kiews alte Platten und Häuser werden bunt: Das ukrainische Projekt "Kunst vereint uns" bringt mehr als 50 Wandmalereien direkt vor die Haustür der Menschen - riesengroß und in Farbe. Ein Großteil der Werke sind so farbenfroh wie dieses Bild von Ernesto Maranjes. Bildrechte: Ernesto Maranjes/Art United Us
Hochhaus mit Graffiti
Der in Miami lebende Künstler ist für seine ausdrucksstarken Tierbilder bekannt. Menschen, Vögel und Blumen werden in diesem Bild eins. Bildrechte: Ernesto Maranjes/Art United Us
Hochhaussiedlung mit Graffiti und eine mehrspurige Straße.
Gegründet wurde "Kunst vereint uns" von den Ukrainern Geo Leros und Iryna Kanishchewa. Beide wollen den Konflikten in der Ukraine mit Kunst entgegentreten und zeigen, dass ihr Land mehr ist als Krieg und Korruption. Manche Bilder sind surreal und methaphorisch aufgeladen, wie dieses Werk des Künstlers Liqen... Bildrechte: Liqen/Art United Us
Ein Mann mit einer Hose voller Farbe hockt vor einem Haus.
...hier mitten bei der Arbeit. Andere Werke beziehen sich auf ganz konkret Anlässe... Bildrechte: Liqen/Art United Us
Ein Herzgraffiti an einem Hochhaus.
Dieses Bild unter dem Titel "Von Russland mit Liebe" zeigt eine digitale Herz-Bombe, geschickt von Moskau nach Kiew. Das Bild spielt an auf Hackerangriffe auf die ukrainische Stromversorgung in den letzten Jahren. Hunderttausende Menschen waren um die Weihnachtszeit stundenlang ohne Strom. Für die Attacke machen ukrainische Behörden russische Hacker verantwortlich. Bildrechte: MTO/Art United Us
 Ein Vogelgraffiti an einer alten Mauer.
Viele Werke forderten Durchhaltevermögen: So hat Alex Maxiow für seine Wandmalerei im ältesten Teil der ukrainischen Hauptstadt - der Kiewer Oberstadt - neun Tage auf einer Hebebühne gestanden. Bildrechte: Alex Maksiov/Art United Us
 Ein Vogelgraffiti an einer alten Mauer.
Auch schwindelfrei mussten die meisten Künstler sein: diese Kohlmeise, die Kopfüber an einer Glühbirne hängt, ist fast vier Stockwerke hoch. Doch es geht noch größer... Bildrechte: Alex MaksiovArt United Us
Graffiti am Hochhaus.
In blau und orange hat der Street Art Künstler Dourone eines der größten Bilder in Kiew gemalt - ganze 14 Stockwerke hoch. Der Titel: "Brüderlichkeit". Bildrechte: Dourone/Art United Us
Graffiti am Hochhaus.
An dem Projekt "Kunst vereint uns" ist auch eine Berliner Künstlergruppe beteiligt. Innerfields haben sich auf der Stirnseite eines Kiewer Plattenbaus vereweigt. Ursprünglich wollte das Team um Jakob Tory Bardou, Holger Weißflog und Veit Tempich ein in Geschenkpapier eingewickeltes Gewehr malen. Als sie jedoch erfahren haben, dass in dem Viertel viele Kriegsveteranen leben, haben sie ihre Pläne verworfen. Nun zeigt das Bild eine Frau und einen Mann, die sich umarmen. Der Mann ist nur in Umrissen dargestellt mit einem Pfeil im Rücken - ein Werk von Zwiespalt und Kontrast, Zusammenhalt und Spaltung, Verlust und Gegenwart. Bildrechte: Innofields/Art United Us
Graffiti am Hochhaus.
In dieser schwierigen Situation will sie den Ukrainern eine Perspektive aufzeigen: die Mexikanerin Paola Delfin. Die Idee ihres Werkes erklärt sie in dem Blog "Streetartunitedstates.com" wie folgt: "Auch ich komme aus einem wunderschönen Land, das jedoch durch schwierige Zeiten geht - wie die Ukraine. Doch welche Konflikte auch vor sich gehen, es gibt immer einen Ort des Friedens, selbst in den dunkelsten Zeiten." Bildrechte: Paola Delfin/Art United Us
Graffiti einer Frau an einem Hochhaus.
Fast alle Graffitis sind in Kiew entstanden, bis auf eine Ausnahme: Dieses Porträt einer ukrainischen Lehrerin in der ostukrainischen Stadt Awdijiwka, wenige Kilometer von Donezk entfernt. Es prangt an einer Häuserwand direkt an der Frontlinie zwischen der ukrainischen Armee und den pro-russischen Kämpfern. Bildrechte: Guido Van Helten/Art United Us
Russischer Text an einem Haus. Ein Armist steht daneben.
Gemalt hat es der Künstler Guido van Helten. Zwei Tage brauchte er dafür, ausgerüstet mit kugelsicherer Weste und einem Helm. Bei ihm war der Krieg ganz nah - vor allem am späten Nachmittag als Maschinengewehr-Schüsse zu hören waren. (Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV am 12.05.2017) Bildrechte: Guido Van Helten/Art United Us
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Ein Blick zurück

Evgeniy Nikiforov - Wandmosaike aus Sowjetzeiten
Ewgenij Nikiforow dokumentiert alte sowjetische Straßenkunst Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Aber es gibt auch die, die gerne zurückschauen, wie der ukrainische Fotograf Ewgenij Nikiforow. Er will das Sowjet-Erbe dokumentieren: die alten Wandmosaike. Dafür reist er durch das ganze Land und fotografiert die Überbleibsel alter Zeiten, bevor es zu spät ist. Manche sind schon sehr mitgenommen. Genau darum sagt er, sei seine Arbeit so wichtig: "Die Mosaike sind Teil unserer Kultur und unserer Geschichte, selbst für meine Generation, die es noch nicht gab, als diese Stücke entstanden sind. Es ist wichtig diesen Teil unserer Geschichte zu erhalten. Wenn nicht physisch, dann eben als Fotos", erklärt Ewgenij.

Die Sowjetzeit bleibt ein Teil der Ukraine. Doch die kommunistischen Symbole verschwinden langsam. Sowjetbauten bekommen einen neuen Anstrich, das öffentliche Stadtbild in Kiew ist im Wandel. Damit geht der Blick in der Ukraine Richtung Westen - künstlerisch und politisch.

Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV: MDR | 12.05.2017 | 17:45 Uhr