Milde Aufarbeitung in Ungarn
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30. Oktober 2015, 12:02 Uhr
Die Ungarn waren stets der Ansicht gewesen, dass der Geheimdienst ihres Landes von der Perfektion etwa des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR oder der Brutalität des sowjetischen KGB weit entfernt sei. Mit dieser Annahme lagen sie sicherlich nicht ganz falsch. Doch auch in der "lustigsten Baracke des Ostblocks" wollte die Staatsicherheit natürlich allgegenwärtig und den Bürgern möglichst nahe sein.
Keine flächendeckende Überwachung
Nach der Auflösung des Geheimdienstes Államvédelmi Hatóság (AVH) im Zuge der Entstatlinisierung 1956 wurde ein Staatssicherheitsdienst installiert, der beim Innenministerium angesiedelt war. Und tatsächlich war das Netz der Überwachung ab diesem Zeitpunkt doch eher grob geknüpft und daher auch einigermaßen durchlässig. Dies lässt sich auch an den Zahlen der von der Staatssicherheit überwachten Ungarn ablesen: Hatte der Geheimdienst AVH 1954 noch über 1,5 Millionen Ungarn in seinen Akten erfasst, waren es 1960 nur noch 600.000 und 1966 186.000 Personen. 1989 waren lediglich noch 164.900 Ungarn vom Staatssicherheitsdienst registriert.
Staatssicherheitsdienst wurde nicht aufgelöst
Eine generelle Auflösung des Staatssicherheitsdienstes erfolgte mit dem Ende der sozialistischen Herrschaft nicht. Dies hatte mehrere Gründe: Die Transformation des ungarischen Geheimdienstes begann bereits Ende der 1980er Jahre unter der Ägide des Ministerpräsidenten Miukos Nemeth. Zum andern stand auch kein anderes Personal zur Verfügung, dass statt der alten Kader hätte eingesetzt werden können. Und schließlich soll die Mehrheit der ungarischen Schlapphüte den neuen Verhältnissen durchaus aufgeschlossen gegenübergestanden haben.
Vom Spitzel zum Parteichef
Auf eine verhältnismäßig liberale sozialistische Herrschaft ab den 1960er Jahren folgte in Ungarn ein eher sanftes Hineingleiten in neue Zeiten. Und dementsprechend milde erfolgte auch die Aufarbeitung der Geheimdienstaktivitäten in den Jahrzehnten der sozialistischen Herrschaft. Die Enthüllung einer Mitarbeit für den Geheimdienst konnte etwa politische Karrieren keineswegs verhindern. András Gálszécsy, Geheimdienstkoordinator der ungarischen Regierung in den 1990er Jahren, konstatierte damals durchaus resigniert: "Einmal wurde jemand verdächtigt, ein Spitzel gewesen zu sein, jetzt ist er Parteivorsitzender. Dann stellte es sich von einem anderen heraus, dass er Spitzel gewesen war. Er ist jetzt auch Parteichef. Ein Dritter hat gestanden, Mitglied der Sicherheitspolizei gewesen zu sein. Er ist Ministerpräsident geworden."