Bulgarien Viel Frustration und nur wenig Hoffnung
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04. November 2016, 08:30 Uhr
Ein kleines armes Land steht vor Präsidentschaftswahlen zum gleichen Zeitpunkt wie die USA. Und auch hier haben die größten Chancen eine blonde Frau und ein Mann, der sich bis jetzt nicht mit Politik beschäftigt hat.
Damit enden aber schon die Ähnlichkeiten. Die Bürger von Bulgarien – dem ärmsten Land der EU - verbinden keine großen Hoffnungen mit diesen Wahlen. Erstens hat der bulgarische Präsidenten eher repräsentative Funktionen, obwohl er direkt vom Volk gewählt wird. Zweitens sind viele Bulgaren von der politischen Elite ihres Landes zutiefst enttäuscht. Umfragen zufolge haben lediglich noch ein Drittel der Bürger Vertrauen in Ministerpräsident Boiko Borissov; noch verheerender ist die Ergebnisse bei den verschiedenen Ministern: lediglich 20% der Bulgaren sind der Ansicht, dass diese ihre Arbeit zufriedenstellend verrichten.
Die größten Hoffnungen verbinden die Bulgaren mit zwei Frauen - der Bürgermeisterin von Sofia, Jordanka Fandakova, und der EU-Kommissarin Kristalina Georgieva. Beide haben Zustimmungswerte von etwa 50%. Beide waren auch als eventuelle Kandidatinnen für die bulgarischen Präsidentschaftwahlen für die regierende Partei GERB im Gespräch gewesen, in letzter Minute entschied sich Parteichef Boiko Borissov aber gegen sie und zauberte Cecka Cacheva, Präsident des bulgarischen Parlaments, hervor. Cacheva ist eine grundsolide Politikerin, charismatisch ist sie aber auf jeden Fall nicht, wie auch Kommentare in den sozialen Netzwerken verraten: "Kein Wunder, dass Borissow sie bis jetzt gut versteckt hat", wird zum Beispiel gehöhnt. Cachevas Umfragewerte sind dementsprechend: Sie liegen bei 19%. Damit ist sie immerhin noch aussichtsreichster Kandidat.
Ein Kampfpilot will Präsident werden
Zweitplatzierter mit 15% ist der Kandidat der ehemaligen Kommunistischen, jetzt Sozialistischen Partei - Armeegeneral Rumen Radev. Er hat 30 Jahre den bulgarischen Luftstreitkräften gedient und war zwei Jahre Chef der Bulgarischen Luftstreitkräfte. Auf seiner Webseite findet sich das Leitmotiv des Ex-Generals: "Für mich heißt nationale Sicherheit nicht nur die Verteidigung unserer Souveränität, sondern die Stärkung der demokratischen Institutionen unseres Landes, des Gesundheitssystems, des Bildungssystems, der Wirtschaft und der Kultur. Ohne dies alles, können wir keine nationale Sicherheit garantieren." Solche Sätze können eigentlich viele Bulgaren unterstreichen. Aber das Mißtrauen gegen Radev ist groß. Er gilt als Marionette der einstigen Eliten. Es gibt noch weitere 19 Präsidentschafts-Kandidaten - ein Rekord für Bulgarien und gleichzeitig ein bekanntes bulgarisches Phänomen: Je größer die Frustration im Land, desto mehr Kandidaten gibt es.
Referendum zur Änderung des politischen Systems
In der allgemeinen Frustration gibt es aber etwas, das den Bulgaren eine kleine Hoffnung auf eine Wende verheißt - ein Referendum, dass parallel mit den Präsidentschaftswahlen am 6. November 2016 stattfindet. Organisiert worden ist es vom berühmten bulgarischen Showmaster und Sänger Slavi Trifonov und fordert die Entmachtung der politischen Eliten. Trifonov wirbt unter anderem dafür, dass die finanzielle Unterstützung für die politischen Parteien in Bulgarien gekürzt wird (bis jetzt bekommt jede Partei, die 1% der Wählerstimmen gewonnen hat, 4 Jahre lang einen Lev - etwa 50 Cent - pro Stimme, was in einem Land, in dem die Durchschnittsrente 150 Euro beträgt und der Durchschnittslohn bei etwa 400 Euro liegt, ziemlich viel ist). Auch will Trifonov die Zahl der bulgarischen Abgeordneten halbieren.
Kein Vertrauen mehr
Ob das marode und korrupte politische System Bulgariens mit diesem Referendum reformiert werden kann, bezweifeln viele Bulgaren. Aber Slavi Trifonov hat etwas, was den anderen Kandidaten fehlt: Charisma und Überzeugungskraft. Am 30. Oktober 2016 hatte er ein Konzert organisiert an der Adler-Brücke in Sofia, ein symbolischen Ort der bulgarischen Protestbewegung. Mehr als 100.000 Menschen versammelten sich an der Adler-Brücke. Ob diese neue Protestbewegung tatsächlich eine politische Wende in Bulagrein herbeiführen kann, ist ungewiss. Eines jedoch ist klar: Der jetzigen politischen Elite Bulgariens - und zu der gehören auch die beiden aussichtsreichsten Kandidaten im Rennen um die Präsidentschaft - trauen die Bürger nichts Zukunftweisendes mehr zu.
Lilia Kostova: 1977 in Blagoevgrad geboren, Studium der Journalistik in Sofia, seit 2009 freie Journalistin.