"Die Leute können sehen, wie wir arbeiten" Backen ist Handwerk
Hauptinhalt
Interview mit dem Leipziger Bäckermeister Stefan Wissel
11. Juli 2017, 09:32 Uhr
Werd bloß nicht Bäcker, warnte ihn sein Vater einst. Die Arbeitszeiten seien unsäglich. Doch es kam anders. Mittlerweile führt Steffan Wissel, der zunächst Schlosser wurde und 1991 das Bäckerhandwerk doch noch lernte, die Bäckerei seines Vaters schon seit 1999. Und, darauf ist er stolz, bei ihm ist Backen noch echtes Handwerk.
Lebensmitteltechnologen sorgen mittlerweile auch für "bessere" Backwaren. Große Bäckereien produzieren vom Band. Wie viel Handwerk steckt bei Ihnen noch in Brot, Brötchen und Kuchen?
Wir sind ein kleiner Handwerksbetrieb. Bei uns wird fast zu hundert Prozent alles von Hand gemacht. Abgewogen, die Brotteiglinge selbst gestückelt, gewirkt, also rund oder länglich geformt, und von Hand in den Ofen geschoben. Selbst die Mehlsäcke schleppen wir noch selbst. Wir backen noch beinahe wie zu DDR-Zeiten.
Wodurch unterscheiden sich Handwerksbäcker von Großbäckereien?
Ein Handwerksbäcker verwendet keine Fertigmischungen, sondern backt nach alten und neuentwickelten Rezepten und nur mit natürlichen Zutaten. In den Backwaren stecken keine Konservierungsstoffe. Er arbeitet zwar auch mit Maschinen, macht aber noch sehr viel von Hand. Er führt seine eigenen Sauerteige und schmeckt den Teig vor dem Backen auch mal ab. Außerdem arbeiten Handwerksbäcker mit einer ganz kleinen Belegschaft, die in der Regel sehr lange im Betrieb ist. Das schafft Kontinuität und ein gutes Händchen fürs Produkt. In den Großbäckereien wird dagegen so gut wie alles von Maschinen erledigt. Das ist ein computergesteuerter Produktionsprozess. Die Teige sind an die Produktion angepasst. Was den Backwaren oft nicht so gut bekommt. Brotteige werden beispielsweise oft sehr fest geführt. Das ist gut für die Produktion aber schlecht für Aussehen und Geschmack. Und in vielen Backwaren stecken Konservierungsstoffe. Beim Brot merkt man den Unterschied oft sehr deutlich. Häufig ist die Kruste bei Broten vom Fließband sehr weich und hell. Die Brote haben weniger Aromen und sind nicht selten sehr salzarm. Handwerksbäcker fahren die Teige in der Regel weicher, deshalb werden unsere Brote auch vom Volumen her schöner.
Was muss ein Bäcker können?
Er muss ein gutes Augenmaß haben. "Augenmaß und Handgewicht sind Bäckers erste Pflicht", heißt es ja in einem Gedicht. Einige Kenntnisse in Chemie und Biologie sind nötig, um beispielsweise Gärvorgänge oder die Reaktionen mit Zutaten wie Pottasche beim Stollenbacken zu verstehen und zu beherrschen. Wie bei den meisten Handwerksberufen, muss man von der Pike auf lernen und braucht einen reichen Erfahrungsschatz, um gut zu sein.
Wie sieht bei Ihnen ein typischer Arbeitstag aus?
Wir starten früh um 3 Uhr. Beginnen mit dem Feingebäck, machen dann Brötchen- und anschließend den Brotteig. Und dann wird gebacken. Anschließend laufen Vorbereitungen für den nächsten Tag. Geputzt muss auch werden. In der Regel haben wir bis 11 Uhr zu tun. Mein Sohn, er ist Konditormeister und Junior-Chef, und ich hängen oft auch noch eine neunte und zehnte Stunde dran.
Wie ermitteln Sie, welche Mengen Sie backen müssen?
Das sind reine Erfahrungswerte. Man kann das nie hundertprozentig genau abschätzen. Ich persönlich kalkuliere immer etwas knapper. Mir ist es lieber, es fehlt zum Feierabend etwas, als das ich Überschuss produziere.
Ein Blick zurück. Wie erging es Ihrem Geschäft in der DDR?
Na ja, die DDR war eine typische Mangelgesellschaft. Ich habe damals zwar noch nicht in der Bäckerei gearbeitet, habe das aber alles hautnah mitbekommen. Man musste viel rennen, musste Beziehungen haben, um immer alle Zutaten zu bekommen. Mehl, Hefe, Wasser und Salz, also die Rohstoffe für Brot und Brötchen, waren nicht knapp. Aber Zutaten für die Feinbäckerei wie Nougat, Marzipan, Orangeat, Zitronat schon. Die bezogen wir auch über unsere Genossenschaft. Aber sie waren rationiert und es gab sie auch nicht immer. Da waren die Zulieferer in der DDR ja schon einfallsreich. Zitronat und Orangeat wurde aus grünen Tomaten gemacht ...
Wie frei waren Sie in Ihren geschäftlichen Entscheidungen?
Im großen Ganzen hat man uns machen lassen. Aber natürlich wurden wir immer dazu gedrängt, viel Brot zu backen. Aber mit Brot alleine konnte man ja kein Geld verdienen. Das Brot kostete damals nicht mal eine Mark. Bei Brot und Brötchen als Grundnahrungsmittel schrieb der Staat die Preise vor. Verdienen konnte man nur mit Kuchen. Bei Feinbackwaren hab es einen gewissen Spielraum in der Preisgestaltung. Wir waren ja auch in der DDR angetreten, um Geld zu verdienen und nicht nur, um den Staat zu befriedigen.
Was war das Besondere am angeblich so einzigartigen Ostbrötchen?
Das Ostbrötchen ist aus meiner Sicht ein Mythos. Wenn von mir jemand Ostbrötchen haben will, sage ich: die sind doch längst hart nach 25 Jahren. Wir backen unsere Brötchen noch genauso wie früher: Mehl, Wasser, Hefe, Salz und ein bisschen Backmittel. Das sind dann Brötchen mit einer feinen Porung, die nicht so aufgeblasen sind.
Wie hat sich die Wende auf Ihre Bäckerei ausgewirkt?
Erst ging’s normal weiter, dann kamen die ersten Discounter mit Billigbackwaren. Das haben die Leute natürlich alles probiert. Was aus dem Westen kam war damals ja erstmal alles besser. Drei, vier Jahre hatten wir eine harte Zeit. Wir mussten das Team verkleinern. Wir hatten jetzt die Freiheit, zu tun, was wir wollten. Aber das Ladengeschäft, es ist bis heute unser einziges, konnte uns nicht mehr recht ernähren. Wir mussten andere Abnehmer suchen: Krankenhäuser, Fleischereien, Gaststätten. Nach und nach haben wir die wenigen Maschinen, die wir haben, ausgetauscht gegen modernere. Aber ansonsten sind wir uns treu geblieben. Keine Fertigmischungen. Alles selbst gemacht. Selbst unser Mehl beziehen wir noch von der Engelsdorfer Mühle – wie eh und je. Ab 1997 lief das Geschäft dann wieder besser.
Und heute?
Seit zehn Jahren geht es stetig bergauf. Der Wettbewerb ist zwar hart. So preiswert wie die großen Ketten oder Discounter können wir unsere Backwaren nicht anbieten. Doch wir haben unsere Nische gefunden. Wir haben nur dieses eine Geschäft. Die Leute können sehen, wie wir arbeiten. Die Tür zur Backstube ist immer offen. Wir reagieren unmittelbar und direkt auf Kundenwünsche. Wir bekommen ein sehr direktes Feedback. Positives aber auch negatives. Wenn ein Kunde nicht zufrieden ist, dann wird das direkt in die Backstube durchgereicht und wir können unmittelbar reagieren.
Haben aus Ihrer Sicht Handwerksbäcker eine Zukunft?
Ja. Es werden zwar sicher noch weniger werden. Aber die Bäcker, die beharrlich sind, ihre Schiene weiterfahren und nicht jedem Trend hinterher hecheln, werden überleben, glaube ich.
Wie attraktiv ist der Bäckerberuf für junge Menschen?
Junge Menschen dafür zu begeistern ist schwer. Es gibt viele Berufe, die für Jugendliche attraktiver sind. Wir suchen an allen Ecken und Enden. Bewerbungen sind rar geworden. Und wenn sich jemand bewirbt, dann ist die beste Zensur oft eine vier. In Mathe steht meist eine fünf. Ich gebe trotzdem jedem eine Chance. Für mich ist das wichtigste, dass jemand Lust hat, den Beruf zu lernen. Ich bilde selber aus, habe aber zurzeit keinen Lehrling. In den letzten drei, vier Jahren hat sich niemand mehr beworben ...
(zuerst veröffentlicht am 26.11.2015)
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV: HEUTE IM OSTEN - Reportage | 29.11.2015 | 16:05 Uhr