Roter Stern Belgrad - vom Triumph zur Tragödie

05. März 2018, 10:22 Uhr

1991 gewinnt Roter Stern Belgrad mit einer Mannschaft voll namenloser Stars den Europapokal der Landesmeister. Doch gleich danach zerfällt das Team und der jugoslawischen Bürgerkrieg nimmt seinen Anfang.

Es ist der 29. Mai 1991. Im Stadion von Bari wird das Finale im Pokal der Landesmeister (dem Vorläufer der Champions Lague) zwischen den Mannschaften von Roter Stern Belgrad und Olympique Marseille ausgetragen. Nach Ablauf der regulären Spielzeit und der Verlängerung steht es unentschieden, 0:0. Nun folgt: Elfmeterschießen. Der erste Schütze ist der Belgrader Spielmacher Robert Prosinecki. Er trifft. Und nach ihm seine vier Mannschaftskameraden. Olympique Marseille hingegen verschießt zwei Elfmeter. Die Belgrader rennen jubelnd zur Mitte des Feldes und nehmen eine halbe Stunde später den Pokal für die beste Mannschaft Europas entgegen. Es ist der größte Triumph von Roter Stern Belgrad und auch der größte des jugoslawischen Fußballs. "Europas hellster Stern", jubeln die europäischen Zeitungen am nächsten Morgen über die Truppe aus filigranen Technikern und robusten Abräumern.

"Seidenfüße"

Auf dem Weg ins Finale hatte Roter Stern Belgrad unter anderem den DDR-Meister Dynamo Dresden ausgeschaltet. Im Halbfinale waren sie auf Bayern München getroffen. Keiner zweifelte an einem Sieg der Bayern über die jungen und als "Seidenfüße" verspotteten Ballkünstler aus der jugoslawischen Metropole. Nach einem 2:2 im heimischen Stadion gewann Roter Stern nach einem furiosen Auftritt im Münchner Olympiastadion mit 2:1 gegen die Bayern. Die Sensation war perfekt, der Weg ins Finale frei.

Namenlose Stars

Es ist eine blutjunge Mannschaft, ein Team namenloser Stars, die noch kein Spielervermittler im Westen auf dem Zettel hat. Da ist der gerade einmal 21-jährige Mittelfeldregisseur Robert Prosinecki, genannt "Zuti" (der Blonde), der das Team dirigiert; neben ihm spielt der nur wenig ältere Montenegriner Dejan Savicevic, ebenfalls ein glänzender Stratege; den Torjäger des Teams gibt Darko Pancev, der 1991 auch noch den "Goldenen Schuh" als bester Torschütze Europas gewinnt; in der Abwehr steht Sinisa Mihajlovic, einer der erbarmungslosesten Verteidiger Europas und ein famoser Freistoßschütze.

Und dann ist da noch der Abwehrchef Miodrag Belodedici, ein Mann mit einer verrückten Biografie: Belodedici, der der serbischen Minderheit im rumänischen Banat angehört, beginnt bei Steaua Bukarest Fußball zu spielen, 1986 gewinnt er mit dem Team den Europapokal der Landesmeister. Belodedici ist auch rumänischer Nationalspieler. Doch es gefällt ihm in Rumänien nicht und er bittet in Jugoslawien um Asyl. Roter Stern Belgrad nimmt ihn sofort in seine Reihen auf, sein Name wird vorher allerdings in Belodedic geändert. In Rumänien wird Belodedic(i) "auf Lebenszeit" gespert. Belodedic jedenfalls dirigierte die Verteidigung jener beiden osteuropäischen Vereine, die jemals den Pokal der Landesmeister gewannen.

Das Team zerfällt

Der Erfolg des Teams fordert allerdings umgehend seinen Tribut. Die vermögendsten Clubs Europas sind auf die brillanten Kicker aus dem Osten aufmerksam geworden und bieten teils horrende Summen für sie. Beinahe die komplette Mannschaft von Roter Stern begibt sich 1992 auf teils bizarre Reisen durch die Fußballwelt. Robert Prosinecki geht zunächst zum FC Barcelona, wechselt dann zu Real Madrid und gilt 1995 als bestbezahlter Fußballer der Welt. Dejan Savicevic wird von Silvio Berlusconi für eine riesige Summe für seinen Verein AC Mailand eingekauft. Nach nur wenigen Spielen nennen ihn die Fans nur noch "il Genio", das Genie.

Sinisa Mihajlovic begibt sich auf den Weg zum AS Rom, wo der mittlerweile beste Freistoßschütze der Welt einmal drei Freistoßtore in einem Spiel erzielt - ein bis heute unerreichter Rekord. Der Stürmer Darko Pancev wird von Inter Mailand gekauft. Pancev kann sich aber nicht durchsetzen und wird nur zwei Jahre später zum Bundesligaaufsteiger VFB Leipzig abgeschoben. Damit beginnt für ihn eine lange, traurige Odyssee durch die Niederungen der unteren deutschen Ligen. Miodrag Belodedici lehnt alle Angebote aus dem Westen ab, er möchte in Belgrad bleiben. Der beginnende Bürgerkrieg in Jugoslawien läßt ihm aber keine Wahl und er wechselt nach Spanien, zum FC Valencia. In Valencia ist er aber nur noch ein Schatten vergangener Tage und wird in die mexikanische Liga ausgeliehen. 2006 kehrt er schließlich in den Osten zurück, zu seinem alten Verein Steaua Bukarest.

"Die nächste Kugel wartet auf dich"

Doch bereits vor dem großen Sieg im Finale von Bari hatte sich bei einem Meisterschaftsspiel zwischen Roter Stern Belgrad und Dynamo Zagreb im Mai 1990 eine Tragödie angekündigt. Die schwelenden Nationalitäten-Konflikte im zerbröselnden Vielvölkerstaat Jugoslawien wurden nun zunächst im Stadion von Dynamo Zagreb ausgetragen: Fans beider Vereine gingen brutal aufeinander los, über Hundert von ihnen wurden teils schwer verletzt; der Mittelfeldregisseur Dynamo Zagrebs, Zvonimir Boban, ein Weltklassespieler, trat bei den Prügeleien einen Polizisten auf dem Rasen krankenhausreif.

"Ich habe den Krieg kommen sehen, wegen dieses Spiels in Zagreb", notierte ein Mann, der aus den Hooligans von Roter Stern Belgrad, die er selbst befehligte, nur wenig später eine serbische paramilitärische Truppe schmiedete, die im Bürgerkrieg zahllose Kriegsverbrechen verübte: Zeljko Raznatovic, genannt "Arkan". Und Zvonimir Boban gestand einige Jahre später: "Diese Schlacht von Zagreb war das Signal für den 1991 einsetzenden Bürgerkrieg."

Nur ein einziger Spieler hatte auf dem Rasen dafür geworben, Fußball zu spielen und die Prügeleien zu beenden - der Serbokroate Robert Prosinecki. Tage später schickten ihm Hooligans seines eigenen Vereins einen Briefumschlag mit einer Patronenhülse. Auf einem beigelegten Zettel stand: "Die nächste Kugel ist für dich."

Verbannt von der europäischen Bühne

Die Mannschaft von Roter Stern Belgrad, die im Dezember 1991 in Tokio auch noch den Weltpokal gewinnt, ist nach dem Verkauf fast aller ihrer Spieler nur noch ein zweitklassiges Team. Doch es sollte noch schlimmer kommen: Aufgrund des Balkankrieges wird die Mannschaft nur ein Jahr nach ihrem großen Triumph von Bari von allen europäischen Meisterschaften ausgeschlossen. Es ist das trostlose Ende einer sensationellen Ära. Zwei Jahre ist die Mannschaft von der europäischen Bühne verbannt. Der Gewinn des Pokals der Landesmeister - nur noch eine ferne und allmählich verblassende Erinnerung.

(S.L.)

Über dieses Thema berichtete der MDR im TV auch in "Sport im Osten" 12.03.2011 | 16.30 Uhr