Handwerk Polnische Restauratoren: Ein Händchen fürs Alte
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27. November 2015, 18:21 Uhr
Polnische Restauratoren sind in aller Welt gefragt – es gibt kaum eine UNESCO-Weltkulturerbestätte, die nicht mit Hilfe der Experten aus unserem Nachbarland restauriert wurde.
Nur wenige Besucher schlendern in der kalten Jahreszeit durch Ostdeutschlands berühmtesten Schlosspark zwischen den blätterfreien Bäumen. Der Park Sanssouci in Potsdam wirkt im Winter verlassen, anders dagegen die alten Werkstatt-Baracken am Rande des Parks: In der Luft liegt ein stechender Geruch nach Farbe, in der Ecke steht allerlei Werkzeug und an der Wand lehnen scheibenlose Fensterrahmen. Überbleibsel von 2013. "Ende des Jahres haben wir einen großen Auftrag angenommen: 200 Fenster im Neuen Palais restaurieren", erklärt Jerzy Chuchracki mit stolz.
Als Geschäftsführer der Werkstätten für Denkmalpflege GmbH Posen (PKZ) sind seine 25 Mitarbeiter nicht nur dafür verantwortlich, dass Besucher des Neuen Palais einen besseren Durchblick haben. Der polnische Handwerksbetrieb aus dem 300 Kilometer entfernten Poznań (Posen) restauriert seit langer Zeit die historischen Gebäude auf dem berühmten Gelände des Unesco-Weltkulturerbes.
Die "anderen" Gastarbeiter
Auf Brandenburgs Äckern gelten polnische Spargelstecher spätestens seit der Wende als besonders fleißig und seit dem EU-Beitritt Polens nehmen polnische Handwerker vielerorts in Sachsen Aufträge an. Doch das erste Engagement der polnischen Restauratoren in Potsdam liegt noch länger zurück und begann zu Zeiten der DDR. "Als entschieden wurde, die historische Substanz von Sanssouci zu renovieren, gab es hier dafür nicht die geeigneten Fachkräfte", erklärt der 60-Jährige Chuchracki. Wie gut, dass im "Bruderstaat" hinter der Oder und Neiße die Restauratoren ein besonderes "Talent" hatten.
Denn wer schon einmal in den Altstädten von Gdansk (Danzig), Wrocław (Breslau) oder Warschau spazieren war, kann sich bis heute davon überzeugen. Die Patrizier- und Bürgerhäuser oder Kirchen schmücken heute farbenprächtig die Gassen und Marktplätze der polnischen Metropolen. Im Krieg beinah vollständig zerstört, stehen sie heute im neuen Glanz wieder da.
Denn die polnischen Machthaber haben schnell nach dem Zweiten Weltkrieg entschieden, die Innenstädte und historisch bedeutenden Gebäude wieder zu rekonstruieren. Anders als etwa in der DDR, wo der Wohnungsbau Vorrang hatte. Nach dem Krieg sollte so viel wie möglich von der eigenen Identität wiederhergestellt werden. Rekonstruktion war die Devise. "Die Menschen identifizieren sich einfach damit, was in der Vergangenheit entstanden ist", erklärt Chuchracki. "Es gab keine Zweifel über den Wiederaufbau."
Wiederaufbau: Aus der Not eine Tugend
"Die ganze Nation baut ihre Hauptstadt", steht noch heute an einem Gebäude an der berühmten Warschauer Straße "Nowy Swiat". Denn die Stadt an der Weichsel traf die Zerstörungswut der Nazis im besonders hohen Maße und als Hauptstadt sollte Warschau "wie der Phoenix aus der Asche" wieder auferstehen. Baumaterial kam aus ganz Polen zusammen, vielerorts wurden gar ganze Gebäude auseinandergenommen, um die Ziegelsteine nach Warschau zu karren.
Kriegsruinen als Mahnung wie die Dresdner Frauenkirche bis zu ihrem Wiederaufbau 2005 oder gar die Sprengung wie die des Berliner Stadtschlosses war zwischen Oder und Bug eine Seltenheit. Fachkräfte wurden dafür nach 1945 händeringend gebraucht, rasch entstanden neue Schulen, die schnell und gut ausbildeten. Die berühmtesten Restauratoren kommen bis heute vor allem aus Toruń (Thorn), "wobei das Renommee der Schule erst die Absolventen mit ihrer Arbeit brachten", sagt Chuchracki, der selbst studierter Ökonom ist. Nur durch einen Zufall landete er nach seinem Abschluss bei dem damals staatlichen Betrieb. Sein Wissen über die Denkmalpflege eignete er sich in seiner fast 40-jährigen Laufbahn an.
Rund 10.000 Mitarbeiter hatte die staatliche PKZ damals, in der Zeit der Volksrepublik, und besaß sogar eine eigene Außenhandelszentrale. Diese entsendete Hunderte damals schon renommierter polnischer Konservatoren zu Renovierungs- und Rekonstruktionsbaustellen in viele Teile der Welt: "Kaum eine Unesco-Weltkulturerbestätte, die nicht auch polnische Restauratoren mitgepflegt haben", weiß der Ingenieur.
Restauratoren als Exportschlager
Ende der 1970er-Jahre kam dann der Ruf aus Potsdam nach polnischen Stuckateuren, Malern und Kunstschreinern. Waren in Spitzenzeiten rund hundert polnische Konservatoren in Sanssouci beschäftigt, stellt die PKZ heute an ihrer deutschen Zweigniederlassung noch 15 Fachkräfte an. Die meisten pendeln am Wochenende zu ihren Familien nach Posen. Chuchracki selbst macht das auch so, seit fast vier Jahrzehnten.
Die Bauwerke des Alten Fritz' - vor allem ihre Restaurierung - waren ausschlaggebend, dass die Auftragsbücher auch nach der Wende voll waren und die Posener Firma den Systemwechsel überstand. Denn nach dem Zusammenbruch des Kommunismus war das riesige staatliche Restauratorenunternehmen nicht mehr überlebensfähig. Einige der regionalen Werkstätten wurden privatisiert, heute existieren neben PKZ Posen nur wenige vergleichbare Betriebe.
Dennoch steht der Branche ein Fachkräftemangel bevor, prognostiziert der PKZ-Geschäftsführer, an dessen Bürowänden zahlreiche Pläne hängen. Zum einen werde in der letzten Zeit die Handwerkerausbildung in Polen vernachlässigt. Zum anderen sind die Anforderungen recht hoch: Neben manuellen müssen die Kandidaten auch künstlerische Fertigkeiten mitbringen. "Wir rekonstruieren hier Dinge, die einst von den größten Meistern geschaffen wurden", schwärmt der Denkmalschützer für seinen Beruf. "Das ist jeden Tag eine neue Inspiration."
Über Markus Nowak Jahrgang 1982, Studium der Neueren/Neusten Geschichte in Berlin, Warschau und Mailand, Redakteursausbildung am Institut zur Förderung des publizistischen Nachwuchses (München) und in der Katholischen Nachrichten-Agentur (Bonn), Autor für Osteuropa, lebt in Berlin