März 1968 Die Niederschlagung des Prager Frühlings wurde in Dresden beschlossen
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10. Juli 2022, 05:00 Uhr
Im Frühjahr 1968 versuchte die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei, einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" zu etablieren – in die Geschichte ging dies als Prager Frühling ein. Der Versuch wurde von der Sowjetunion aufs Schärfste verurteilt und mit Hilfe des Warschauer Pakts blutig niedergeschlagen. Die Entscheidung dazu ist auf einer Konferenz am 23. März 1968 in Dresden getroffen worden.
Als Anfang Januar 1968 an der Spitze der Kommunistischen Partei der ČSSR ein Führungswechsel stattfand und Alexander Dubček zum Generalsekretär gewählt wurde, war man in den anderen sozialistischen Stataen noch nicht sonderlich beunruhigt. Erst die darauf folgenden Reformen ließen die Parteiführer in Moskau aufhorchen und gemeinsam mit vier weiteren Staaten des Warschauer Pakts an Gegenmaßnahmen denken. Besonders große Sorgen über die Vorgänge in Prag machte sich die ostdeutsche SED mit Walter Ulbricht an der Spitze. Aus seiner Sicht gefährdeten die Entwicklungen in Prag das grundsätzliche Monopol kommunistischer Parteien in der "sozialistischen Staatengemeinschaft" und spielten auch in der deutsch-deutschen Frage dem "imperialistischen Gegner" in die Hände.
Prager Frühling als "Konterrevolution"
Anfang März 1968 meldete Peter Florin, DDR-Botschafter in Prag, an die Parteiführung: "Die Aktivität der oppositionellen Kräfte hat sich in den letzen Tagen verstärkt und erhält zunehmend offen konterrevolutionäre Züge." Damit sei das Schlüsselwort für eine marxistisch-leninistische Einschätzung der tschechoslowakischen Reformbestrebungen gefallen, urteilte der Historiker Prof. Manfred Wilke vom Institut für Zeitgeschichte in München. Die Bezeichnung als "konterrevolutionär" war gleichbedeutend mit einer Handlungsanweisung – der Prozess musste unbedingt gestoppt werden.
Tatsächlich war die neue tschechoslowakische Führung dabei, die sozialistische Welt auf den Kopf zu stellen. Die Bürger sollten mehr Freiheit und bessere Lebensbedingungen bekommen. Auf allen Ebenen der Partei fand ein Führungswechsel statt. Man forderte eine Auseinandersetzung mit politischen Repressionen der 1950er-Jahre und eine Rehabilitation ihrer Opfer. Doch das Wichtigste – und aus der Sicht der KPdSU sowie der SED auch das Schlimmste – war die Aufhebung der Zensur und der Parteikontrolle über die Medien.
Sozialistische Rüge unter dem Vorwand einer Wirtschaftskonferenz
Ende März 1968 wurde die tschechoslowakische Parteiführung unter dem Vorwand einer Wirtschaftskonferenz nach Dresden gerufen. Es stellte sich jedoch schnell heraus, dass es bei der Veranstaltung um ganz andere Dinge gehen sollte als um Wirtschaftsfragen. Tatsächlich sollten hier die Weichen für die spätere Intervention der Truppen des Warschauer Pakts unter der Führung der Sowjetunion gestellt werden. Anwesend waren neben Leonid Breschnew und Walter Ulbricht auch die Führer der kommunistischen Parteien von Polen, Bulgarien und Ungarn.
Breschnew soll ausdrücklich betont haben, dass die Angelegenheiten, die "wir hier besprechen, so ernst sind, dass ich vorschlage, dass kein Protokoll gemacht wird". Allerdings ließ Walter Ulbricht geheim ein Tonband mitlaufen, so dass der Wortlaut der Dresdener Diskussion überliefert ist.
Für Dubček wurde die Veranstaltung zu einer Lektion in sozialistischer Beistandspolitik. Erst Breschnew und nach ihm auch die anderen Parteiführer gaben ihm unmissverständlich zu verstehen, dass er von seinem Reformkurs abzukehren und das Parteimonopol wiederherzustellen habe, andernfalls würden das die sozialistischen Bruderstaaten in die eigenen Hände nehmen.
Pressefreiheit als Untergang des Sozialismus
Besonders schwerwiegend wurde die Tatsache angesehen, dass Josef Smrkovský, einer der wichtigsten tschechoslowakischen Wirtschaftsreformer, ohne Zustimmung des Zentralkomitees seiner Partei dem westdeutschen Fernsehsender WDR ein Interview gegeben hat, in dem er darlegte, dass man in Prag bestrebt sei, einen demokratisch-freiheitlichen Sozialismus aufzubauen.
Walter Ulbricht äußerte, dies sei gefährliche Munition für die Westpropaganda gewesen: "In einer Situation, wo wir alle daran interessiert sind, dass das sozialistische Lager und die Warschauer Vertragsstaaten einmütig auftreten, jetzt, wo der USA-Imperialismus mit der Globalstrategie in einer schwierigen Lage ist, ausgerechnet in dieser Situation fangt Ihr an, Eure eigene Partei zu diskriminieren, gebt Ihr dem Gegner Material zur Kampagne gegen das sozialistische Lager. Und der westdeutsche Imperialismus nutzt das selbstverständlich aus und führt eine massive Kampagne." Die Einführung von Pressefreiheit führe direkt zu einer Konterrevolution und schließlich zur Abschaffung des Sozialismus überhaupt, so sagte Ulbricht weiter.
Intervention in der Tschechoslowakei
Mit der Konferenz in Dresden wurde somit von der KPdSU die Generallinie für das weitere Vorgehen in Sachen Prager Frühling vorgegeben. Nachdem die tschechoslowakische Führung nicht einlenken wollte, wurde in den Folgemonaten bei weiteren Treffen in Moskau und Warschau der Druck auf sie zunehmend erhöht, bis schließlich am 19. August 1968, zwei Tage vor dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts, die Parteiführer der Sowjetunion, DDR, Polens, Bulgariens und Ungarns in Moskau die Verpflichtung unterschrieben, sich an einer Intervention in der Tschechoslowakei zu beteiligen.
Dieser Artikel ist erstmalig im März 2018 erschienen.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Zeitreise: Die Rückkehr der Panzer | 10. Juli 2022 | 22:00 Uhr