Porträt Gerhard Richter - aus Dresden in die Welt hinaus
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03. Januar 2023, 12:57 Uhr
"Einfach, ordentlich, strukturiert – die Mutter spielte Klavier, und der Vater verdiente das Geld": So beschreibt Gerhard Richter rückblickend seine Familie. Kein Mensch ahnt, dass der Junge, der am 9. Februar 1932 in Dresden zur Welt kommt, später ein weltberühmter Künstler wird und seine Bilder die teuersten der Welt.
Seine Mutter Hildegard ist eine Buchverkäuferin und begeisterte Piano-Spielerin und sein Vater Horst – ein Oberschullehrer. Er ist es auch, der die Familie aus Dresden aufs Land bringt: Zunächst zieht die Familie nach Reichenau, wo der Vater eine neue Stelle angenommen hat. Gerhard Richter ist damals drei Jahre alt. Nach dem Krieg und der Rückkehr des Vaters aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft zieht die Familie noch weiter weg vom Stadtleben – in das noch kleinere Waltersdorf unweit der tschechischen Grenze im Zittauer Gebirge.
Richters Familie und der Krieg
Was bedeutet der Zweite Krieg für den jungen Gerhard Richter? Er wächst quasi vaterlos auf, denn Horst Richter kämpft erst an der Ost-, dann an der Westfront und gerät anschließend in amerikanische Kriegsgefangenschaft, aus der er erst 1947 zurückkehrt. Gerhard erlebt indessen daheim mit, wie der Krieg seine Opfer auch aus seiner unmittelbaren Umgebung reißt – und wie verzweifelt seine Mutter trauert: Zwei ihrer Brüder sterben an der Front und eine Tante in einer der Euthanasie-Anstalten der Nazis.
Richter wird ihnen 1965 eigentümlich berührende Bilder widmen – just in der Zeit, in der in Deutschland die Frankfurter Auschwitz-Prozesse eine schwärende, unbehandelte Wunde im Herzen der Gesellschaft aufreißen: Die Vergangenheit mit all ihren Tätern, Opfern und dem Schweigen über all das Erlebte, Gesehene, Ignorierte. Diese Vergangenheit war dank Straffreiheitsgesetz von 1954 und allgemeinem Schweigen über die Unmenschlichkeit der NS-Zeit notdürftig ruhiggestellt.
Der Außenseiter mit dem falschen Dialekt
Der junge Gerhard Richter bleibt ein Außenseiter in der dörflichen Umgebung. Er spricht anders als die Dorfkinder, er gilt als extrem begabt, bringt aber schlechte Noten nach Hause, selbst im Fach Kunst. Er wechselt die Schule, lernt Stenographie, Russisch und Buchhaltung. Ab 1947 belegt er Abendkurse als Vorbereitung für ein Kunststudium an der Hochschule der Bildenden Künste in Dresden. 1950 wird seine Bewerbung abgelehnt, er solle zunächst in einem VEB arbeiten und sich dann erneut bewerben. Nachdem sich Richter als Schildermaler bei der DEWAG in Zittau verdingt hat, wird er 1951 an der Dresdner Akademie aufgenommen.
Gerhard Richter als Student
Das fünfjährige Studium folgt einem striktem Studienplan, Unterrichtsbeginn ist acht Uhr früh. Neben den klassischen Fächern wie Akt-Malerei, Stilleben, Ölmalerei und Kunstgeschichte stehen neue wie Russisch, Politik und Wirtschaft. In seinem letzten Studienjahr soll Richter als Teil seiner Abschlussarbeit eine Mauer für das Deutsche Hygiene-Museum bemalen.
Sozialistische Ästhetik – die einzige Art von Kunst!?
Nach seiner Abschlussarbeit folgen weitere Aufträge, die der Auftakt seiner Karriere hätten sein können. Richter wird für großflächige Arbeiten an öffentlichen Orten angefragt, aber auch für die SED. Doch Richter will mehr und fühlt sich unwohl mit der sozialistischen Ästhetik muskulöser, hammerschwingender Männer, wie er sie einst an die Wände des SED-Sitzes in Dresden malt. Die Aufträge, die er während seines Stipendiums an der Akademie erhält, reichen ihm nicht.
Der Besuch der "Documenta II"-Ausstellung 1959 in Kassel bestärkt den 27-Jährigen in seinem Unwohlsein – und dem Wunsch, künstlerisch unabhängig von politischen Vorgaben und ideologiebefrachteten Aufträgen zu arbeiten. Im März 1961 macht Richter ernst: Von einer Reise nach Moskau und Leningrad fährt er zuerst durch nach West-Berlin, deponiert dort sein Gepäck, fährt dann zu seiner ersten Frau Ema nach Dresden und verlässt zusammen mit ihr über West-Berlin die DDR.
Der Neuanfang: Gerhard Richter im Westen
An der Kunsthochschule Düsseldorf startet Gerhard Richter seinen künstlerischen Neuanfang. Über die Jahrzehnte entwickelt er sich zu einem der heute weltweit berühmtesten Künstler. Er selbst lebt seit vielen Jahren in Köln.
Seit 2006 gibt es in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden das Gerhard-Richter-Archiv mit Briefen und Manuskripten, die Richters Beziehungen zu Freunden und Künstlern aus den 1960er- und 1970er-Jahren dokumentieren. Zu seinem 90. Geburtstag präsentierten die Staatlichen Kunstsammlungen 2022 auch eine sehr persönliche Ausstellung in Dresden. Sie wurde von Gerhard Richter selbst konzipiert und kuratiert. Zu sehen gab es ausgewählte Kunstwerke, die dem Maler etwas bedeuten und einen intimen Blick gewähren: Gemälde seiner Familie, Selbstportraits, abstrakte Bilder sowie besondere Glaskunst. Auch das Dresdner Albertinum widmet Gerhard Richter zwei Ausstellungsräume, die einen Überblick über sein Werk geben.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | 06. Februar 2022 | 22:15 Uhr