Geboren zwischen 1930 und 1945 Daten, die die Generation der deutschen Kriegskinder beschreiben
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05. Mai 2020, 19:10 Uhr
Sie sind zufrieden im Alter, gehen immer wählen und verwöhnen ihre Enkel - Datenjournalist Martin Kopplin analysierte im Auftrag des MDR verfügbare Daten, die Einstellungen und Werte der "Kriegskinder" genannten Generation wiedergeben. Das entstandene Bild haben die Historikerinnen Barbara Stambolis und Lu Seegers anhand ihrer Forschungsergebnisse interpretiert.
Die Daten zur Analyse stammen vor allem aus den European Values Studies/World Values Studies 1981 - 2017, den Shell Jugendstudien, dem Social Indicators Monitor 1950 - 2013 und dem Zeitreihendatensatz Deutschland 1834 - 2012. Zu beachten ist, dass die Erlebnisse der Kriegskinder sehr unterschiedlich gewesen sind. Die Belastungen, die ein jüdisches Kind, das ein Konzentrationslager überlebt hat, mit sich trägt, lassen sich nicht mit denen vergleichen, die ein in Berlin ausgebombtes Kind schultern musste. Es spielt auch eine Rolle, ob jemand Anfang der 30er-Jahre geboren wurde und damit eine nationalsozialistische Prägung erhielt oder erst in den 40er-Jahren und den Krieg als Kleinkind erlebte. Die Geburtsjahrgänge 1930 bis 1945 werden allgemein als "Kriegskinder" bezeichnet.
In der nun vorliegenden Auswertung der Studien geht es vor allem um gesellschaftliche Einstellungen und in dem Zusammenhang relevante persönliche Werte im Vergleich mit der Generation der Kinder der Kriegskinder (geboren 1955 bis 1970) und der Enkel (geboren ab 1980). Ihre Einstellungen zur Arbeit, zum Familienleben, zum politischen System, Kindererziehung und gesellschaftlichen Themen zeigen die besondere Prägung der in den Kriegsjahren geborenen bzw. aufgewachsenen Menschen.
Arbeit über alles
Die Kriegskinder gelten als maßgeblich für den Wiederaufbau im zerstörten Deutschland. Sie sind leistungsorientiert, aber auch rigoros in ihren Werten: Geld muss selbst verdient sein, wer nicht arbeitet, gilt schnell als faul. Keine der verglichenen Generationen gibt in so einer hohen Zustimmungsrate an, dass Arbeit immer an erster Stelle im Leben kommen und notfalls die Freizeit zurückstehen müsse. In diesem Punkt unterscheidet sich die Generation der Kriegskinder signifikant von ihren Enkeln: Die Kriegskinder stellen insgesamt weniger Ansprüche an die Bedingungen für ihre Arbeit. Vergütung, Urlaubsregelungen, Arbeitszeiten sind ihnen weniger wichtig, als den nachfolgenden Generationen. Allerdings folgen sie, die nun schon seit Jahren in Rente sind, dem allgemeinen Wandel. Ihre Einstellungen verändern sich in der gleichen Dynamik, wie die der anderen Generationen hin zu einer ausgeglicheneren Work-Life-Balance.
An anderen Werten halten die Senioren jedoch fest. Fast alle empfinden Arbeit als eine "Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft". Gleichbleibend zwei Drittel geben an, dass es "demütigend" sei, Geld zu erhalten, für das man nicht gearbeitet habe. Ebenso gleichbleibend meinen Dreiviertel von ihnen, "Menschen, die nicht arbeiten, werden faul". Sie definieren ihren Wert im Leben über die Leistung, die sie erbringen können.
Entspannte Omas und Opas
Der Fokus auf Leistung und materielle Werte manifestierte sich insbesondere in Partner- und Berufswahl, oft auch bei den eigenen Kindern. Schließlich gibt über die Hälfte der Kriegskinder an, dass ihre eigenen Eltern Probleme hatten, mit ihrem Einkommen auszukommen. Die von den eigenen Kindern später oft kritisierte emotionale Kühle ist mit dem Altwerden gewichen. Beide Historikerinnen berichten von der Beschäftigung mit dem Leben, und dass die Alten nun jene Gefühle zulassen, die sie als Kinder unterdrücken mussten. Sie sehen ihre Enkel und denken an ihre eigene Kindheit zurück. Belegt ist, dass sie im Alter eine neue Zufriedenheit mit ihrem Leben erreicht haben. Dieser Wert ist in den letzten 30 Jahren gestiegen, von weniger als der Hälfte auf aktuell ca. 70 Prozent. Damit sind sie die zufriedenste Generation der drei verglichenen.
Obwohl sie mit den Enkeln entspannt umgehen, werfen sie ihre alten Erziehungsziele nicht über Bord. "Gutes Benehmen" finden über 90 Prozent ihrer Generation, ist im Elternhaus zu vermitteln. Auch in den nachfolgenden Generationen findet dies mit Werten zwischen 80 und 90 Prozent hohe Zustimmung. Fleiß und Sparsamkeit zu Hause zu lernen ist den Ältesten wesentlich wichtiger als den Jüngeren. Lediglich bei der Unabhängigkeit ändert sich das Bild: Diese im Elternhaus zu lernen, finden 80 Prozent der Kinder- und Enkelgeneration wichtig, aber nur 60 Prozent der zwischen 1930 und 1945 geborenen.
Verlässliche Wähler
Für die "Kriegskinder" ist die Demokratie ein sehr wichtiger Wert, fast alle stufen sie als "absolut wichtig" oder "wichtig" ein. Ihre Kinder sehen das noch ähnlich, bei den Enkeln verringern sich die Zustimmungswerte. Demzufolge gehen die Alten auch zuverlässig zu den Wahlen - 84 Prozent gehen immer zu den Kommunalwahlen, 89 Prozent zu den Bundestagswahlen.
Passend dazu geben sie ein hohes Interesse für Politik an, ein Viertel diskutiert regelmäßig mit Freunden über Politik. Das sind mehr als in den nachfolgenden Generationen. Auch sind sie diejenigen, die mit dem höchsten Anteil in Parteien organisiert sind, jedoch holen die Enkel gerade auf.
Dennoch gibt es auch eine Sehnsucht nach einem starken, von Parlament und Wahlen unabhängigen Staatschef bei den Alten: 25 Prozent wünschen sich eine derartige Figur.
Bei den gesellschaftlichen Zielen steht das materielle Wohlergehen aller für die Kriegskinder dauerhaft im Vordergrund. Hohes wirtschaftliches Wachstum ist ihnen wichtig, individuelle Mitbestimmung weniger. Die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Land ist ihnen ebenfalls ein großes Anliegen. Auch sagen über 80 Prozent, dass Einkommensunterschiede beseitigt werden müssen.
Und: Sie sind stolz, Deutsche zu sein. Ein Gefühl, dass sich in den letzten Jahrzehnten stärker entwickelt hat, auf inzwischen 85 Prozent Zustimmung bei den Kriegskindern, während die beiden nachfolgenden Generation mit jeweils 74 Prozent darunter liegen.
Dieses Thema im Programm: Kriegskinder | 05. Mai 2020 | 22:05 Uhr