Ernst Jünger: Insektenforscher und Schriftsteller
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03. August 2020, 12:54 Uhr
Ernst Jünger war nicht nur ein umstrittener Schriftsteller, der mit seinem Kriegstagebuch "In Stahlgewittern" einen Welterfolg gelandet hatte. Er war auch ein anerkannter Insektenforscher, der eine riesige Sammlung besaß und nach dem auch ein Insekt benannt wurde - die "Juengeria". In der DDR waren Jüngers Bücher allerdings verboten.
"Die Jagd konnte beginnen: Der Vater hatte uns zu Weihnachten die Ausrüstung geschenkt. Die Alten sahen es gern, wenn die Söhne Steine, Pflanzen und Tiere eintrugen, wie es seit Generationen Brauch gewesen war", erinnerte sich Ernst Jünger Jahrzehnte später an seine erste Jagd nach Insekten im Jahr 1903. "Es war Dezember, das Steinhuder Meer zugefroren. Schnee lag auf dem Land, das versprach kaum Ausbeute. Uns waren die feinen Methoden der Kenner noch unvertraut. Wir wussten nicht, dass es Schlupfwinkel gibt, die der scharfe Frost erst zugänglich macht. Zu ihnen zählen die Schilfgürtel der großen Seen, an denen das Eis besonders lange brüchig bleibt."
Lebenslange Leidenschaft für Insektenkunde
Diese erste Käferjagd vergaß Ernst Jünger nie. Es war der Beginn einer lebenslangen Leidenschaft für die Insektenkunde, die Entomologie. Überall auf der Welt, ob an der Nordsee, am Mittelmeer, im Nildelta oder in den Mangrovenwäldern Malaysias stellte Ernst Jünger später Käfern und Insekten nach, um sie zu Hause zu untersuchen und zu katalogisieren. Sogar in den beiden Weltkriegen nutzte Jünger Gefechtspausen, um seine Sammlung zu erweitern. Für ihn waren die winzigen und von den meisten Menschen kaum beachteten Lebewesen nichts weniger als die "Krone der Schöpfung".
Der größte Fund seines Lebens
Im Laufe der Jahrzehnte trug Ernst Jünger in mühevoller Arbeit Tausende Insekten aus aller Welt zusammen. Mit seiner umfangreichen Sammlung konnte sich der akribisch arbeitende Entomologe auch in der Wissenschaft einen Namen machen. Jünger galt als ausgewiesener Fachmann.
In Angola gelang ihm in den 60er-Jahren der größte Fund seines Lebens. Er sammelte ein winziges Insekt ein, das noch nirgendwo beschrieben war, eine bis dahin unentdeckte Art. Sie wurde später auch nach ihm benannt: "Juengeria". Für den Insektenforscher eine Sternstunde seines Lebens.
Der Schriftsteller Ernst Jünger
Die andere Leidenschaft des 1895 in Heidelberg geborenen Ernst Jüngers war die Literatur. 1920 erschien sein Kriegstagebuch "In Stahlgewittern", das zu einem Welterfolg wurde. Darin beschrieb Jünger kalt, gnadenlos und ohne moralische Wertung die Grauen des Krieges. Jünger publizierte nun in rascher Folge Essays, Romane und Tagebücher und konnte von den eingehenden Honoraren gut leben. Interessehalber studierte er ab 1923 in Leipzig Zoologie und Philosophie. 1927 zog Jünger nach Berlin und unterhielt dort vielfältige literarische Kontakte, unter anderem auch zu Bertolt Brecht und Erich Mühsam. Doch seine Nähe zum Nationalsozialismus in den späten Jahren der Weimarer Republik trug dem erfolgreichen Schriftsteller schon rasch viel Feindschaft ein.
Ernst Jünger ein Antisemit und Kriegsverherrlicher?
Bis heute wird Jünger von seinen Gegnern als Antisemit und als Kriegsverherrlicher bezeichnet, der überdies den Faschismus herbeigeschrieben und ihm etliche Parolen wie die "totale Mobilmachung" frei Haus geliefert habe. Seine Werke seien auch in Hitlers Deutschland in hohen Auflagen erschienen und hätten sich prächtig verkauft. Jüngers Befürworter führen hingegen an, dass sich Jünger bereits 1933 vom Faschismus distanziert und er als Offizier im besetzten Frankreich vielen Juden das Leben gerettet habe. Auch gehörte er zum Kreis um den Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Jünger, der im Westen Deutschlands lebte, mit einem Publikationsverbot belegt, weil er als "intellektueller Wegbereiter des Faschismus" galt. Nach nur wenigen Jahren wurde das Verbot aber wieder aufgehoben. Bereits 1959 wurde Jünger das "Große Bundesverdienstkreuz", unter anderem für seine oppositionelle Haltung in der Nazi-Zeit, verliehen.
"Wegbereiter des Faschismus"
In der DDR war Jünger von allen deutschen Dichtern der vielleicht verpönteste. Seine Werke waren verboten. Anfang der 1950er-Jahre hatte der junge Philosoph und Literaturkritiker Wolfgang Harich in der Zeitschrift "Aufbau" gegen Ernst Jünger polemisiert. Harich bezeichnete Jünger als "Wegbereiter und Begleiter des Faschismus". Jüngers Bücher, so Harich weiter, seien vom Ungeist des Faschismus durchzogen. Diese Einschätzung hatte bis zum Ende der DDR Bestand. Widerspruch gab es offiziell nicht. Und so erschien tatsächlich nicht eine einzige Zeile Jüngers im Arbeiter- und Bauernstaat. Zu einer deutsch-deutschen Begegnung war es dann aber doch gekommen.
Außenseiter: Heiner Müller und Ernst Jünger
Heiner Müller, Dramatiker, Lyriker und Regisseur aus Ost-Berlin, besuchte 1988 Ernst Jünger in Wilflingen. Es war das Zusammentreffen zweier literarischer Außenseiter, denn beide waren höchst umstritten. Müller kannte Jüngers Bücher seit der Nachkriegszeit und schätzte sie. Die beiden Männer verstanden sich. Sie tranken Sekt, blätterten in alten Büchern, zogen über gemeinsame Feinde - Wolfgang Harich zum Beispiel - her und Jünger erzählte stolz, dass seine Werke auch in der Bundesrepublik von linksliberalen Zeitgenossen noch immer als gefährlich eingestuft werden und keine Schullektüre sind. Müller sagte später in einem Interview: "Jünger war glücklich, dass er immer noch stört, dass er immer noch böse ist."
Ein Freund Frankreichs
1982 erhielt Ernst Jünger den renommierten Goethe-Preis der Stadt Frankfurt für sein literarisches Lebenswerk. Die Preisverleihung rief allerdings heftige Proteste der Jüdischen Gemeinde und linksliberaler Politiker und Künstler hervor. Sie empfanden die Preisverleihung an Jünger als skandalös. Jünger, so die Kritiker, sei immerhin ein "Vordenker des Faschismus" gewesen. Doch auch in Frankreich wurde Jünger ein ums andere Mal geehrt. Anders als in Deutschland stießen sein Leben und Werk in Frankreich aber allgemein auf große Bewunderung. "Le Figaro" etwa pries Jünger als "scharfsichtigen Beobachter dieses Jahrhunderts".
Helmut Kohl und François Mitterrand besuchten Jünger
Allmählich geriet Ernst Jünger zur lebenden Legende und sein Haus in Wilflingen zu einer Art Wallfahrtsort für Künstler, Wissenschaftler und Politiker. Am 20. Juli 1983, dem Jahrestag des Hitler-Attentats, besuchten der französische Präsident François Mitterrand und Bundeskanzler Helmut Kohl Jünger in Wilflingen. "Macht huldigt dem Geist", schrieb damals die "Zeit". Der Sozialist Mitterrand war ein großer Bewunderer Ernst Jüngers. Er hielt ihn für den "größten Dichter unserer Epoche". 1993 empfing er den greisen Jünger sogar im Elysée-Palast.
Jüngers "Subtile Jagden"
Doch stets war nur vom Schriftsteller Ernst Jünger die Rede. Vom Insektenforscher hingegen wussten nur die Wenigsten. Bereits 1967 hatte der damals 72-jährige Ernst Jünger ein Buch über den "Zauber der Insektenkunde" veröffentlicht. Es sollte eine Art Bilanz seiner wissenschaftlichen Arbeit als Insektenforscher sein. Der Titel: "Subtile Jagden". Es ist ein grandioses Werk, eine Mischung aus Reisebericht, Tagebuch, autobiografischen Notizen und naturwissenschaftlichen Betrachtungen, das damals freilich kaum jemanden interessiert hatte. In den "Subtilen Jagden" jedenfalls haben der Schriftsteller und der Insektenforscher auf ganz wunderbare Art zueinandergefunden.
Ernst Jünger durchschritt ein ganzes Jahrhundert
Ernst Jünger starb am 17. Februar 1998 im beinahe biblischen Alter von 102 Jahren. Bis kurz vor seinem Tod hatte er noch jeden Tag geschrieben und seine Insekten-Sammlung betreut. An seiner Beerdigung in Wilflingen nahmen fast 2.000 Menschen teil. Die Trauerrede hielt der damalige Ministerpräsident Baden-Württembergs, Erwin Teufel (CDU). Er pries Ernst Jünger als "großen Sohn unseres Landes, der ein ganzes Jahrhundert durchschritten und ins Wort gebracht hat". Bundeskanzler Kohl schrieb in einem Brief an die Familie, Jünger habe sich stets "seinen unabhängigen und unbeugsamen Geist bewahrt - auch in Deutschlands dunkelsten Stunden, in denen freies Denken als Verbrechen angesehen wurde".
Dennoch ist Ernst Jünger der wohl umstrittenste deutsche Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, wenn nicht der umstrittenste überhaupt.
Dieses Thema im Programm: MDR um 2 | 06. Juli 2020 | 14:00 Uhr