Die Frau, die den Hanswurst aus dem Theater verbannte

(1697-1760)

05. Dezember 2005, 15:52 Uhr

Am 9. März 1697 (nach anderen Quellen am 8. März) im vogtländischen Reichenbach geboren, waren Kindheit und Jugend der Caroline Neuber voller Entbehrungen. Der aus Zwickau stammende Vater, Daniel Weißenborn, war Gerichtsdirektor in Reichenbach und musste 1702 seinen Beruf krankheitsbedingt aufgeben und nach Zwickau zurückkehren. Der einstige Gerichtsdirektor war am heimischen Herd eine Katastrophe: Jähzornig und unbeherrscht schlug er nicht nur seine Frau, deren frühen Tod er mitverschuldete, sondern auch sein einziges Kind Caroline. Mit dem Gehilfen Gottfried Zorn, den der Vater eingestellt hatte, verband Caroline bald eine Liebesbeziehung. zusammen flohen die beiden 1712 aus Carolines Elternhaus.

Verfolgt: Carolines vermeintlicher "Ver-" und "Entführer"

Carolines Vater ließ Zorn per Steckbrief als "Verführer und Entführer" seiner 15-jährigen Tochter suchen und verhaften. In einem langwierigen Prozess nahm Caroline alle Schuld auf sich, um ihren Geliebten vor der Entführungsklage zu retten. Schließlich wurden beide vom Gericht freigesprochen. Allerdings ging ihre Beziehung in die Brüche: Es stellte sich nämlich heraus, dass Zorn verheiratet war und Ehebruch begangen hatte. Das traurige ende vom Lied: Caroline musste zurück zu ihrem gewalttätigen Vater.

Carolines zweiter Fluchtversuch

Fünf Jahre später flüchtete sie erneut mit zwei Zwickauer Lateinschülern. Einer von ihnen war Johann Neuber. Ihn und Caroline verband außer tiefer Zuneigung die gemeinsame Liebe zum Theater. 1717 schlossen sich beide in Weißenfels der Spielbergischen Komödiantenbande an. Ein Jahr später heirateten sie in Braunschweig.

1727 gründeten Caroline und Johann Neuber eine eigene Truppe, in der sie die besten Schauspieler der sich auflösenden Hoffmann-Haakeschen Truppe aufnahmen. Die Neuberin war nun Prinzipalin. Mit mütterlicher Güte und Strenge verlangte die inzwischen 30-Jährige gute Zucht und ordentlichen Lebenswandel der Mitglieder. So kam der Schauspielerstand, vorher gesellschaftlich eher verachtet, zu Ansehen.

Theater-Privileg in der Handels-Metropole

Mit dem Erwerb des sächsischen Aufführungs-Privilegs kam Caroline Neuber nach Leipzig, das als Knotenpunkt des Handels und Verkehrs, als Stadt weltberühmter Messen und des deutschen Buchhandels auch für das Theater wichtig war. Hier entdeckte Johann Christoph Gottsched, der Literaturprofessor der Leipziger Universität, die Neuberin 1727. Gottsched verfolgte die Idee einer einheitlichen deutschen Literatursprache und eine Reform des Theaters nach französischem Vorbild. Die Zusammenarbeit mit der Neuberin brachte ihn seinem Ziel näher; etliche Übersetzungen von Gottsched und auch Arbeiten seiner Frau kamen so auf die Bühne.


Dem alten Theater samt Hanswurst geht es an den Kragen

Gemeinsam arbeiteten Caroline Neuber und Johann Christoph Gottsched an einer Reform des Theaters: Sie ersetzten die alten Spektakelstücke durch dichterische Kunstwerke von ästhetischem und moralischem Format. Für Aufsehen in doppelter Hinsicht sorgte die Aufführung, in der die Neuberin den Hanswurst von der Bühne verbannte: Sie verbrannte eine Strohpuppe der Kunstfigur. Dieser ein Seitenhieb auf Neubers direkten Theater-Konkurrenten Müller, einen berühmten Hanswurst-Darsteller, wird sich jedoch bald rächen. - Während zuvor die Schauspieler die literarischen Vorlagen verdrehten, schufen Gottsched und die Neuberin eine Einheit zwischen Dichtung und Bühne. So blieben die Absichten des Stückeschreibers erhalten.

Die neidische Konkurrenz

Friederike Caroline Neuber hatte immer wieder mit neidischen Konkurrenten zu kämpfen, die sie in ihrer Arbeit behinderten. Müller, der von ihr geschmähte Hanswurst-Darsteller schaffte es schließlich, der Neuberin das Spielrecht in Leipzig abzujagen. - So musste sie mit ihrer Truppe nach Schleswig-Holstein ziehen, wo sie 1736 ein Privileg erhielt. Drei Jahre später erst konnte sie durchsetzen, wieder in Leipzig spielen zu dürfen.

Während einer Gastspielreise in Russland 1740-1741 versuchte ein weiterer Konkurrent der Neuberin ihren Platz streitig zu machen. Dem Theater-Prinzipalen Schönemann gelang es, Gottscheds Übersetzungen für sich zu beanspruchen. Die Neuberin war stinksauer, auch auf den Literaturprofessor selbst und wehrte sich: In einem Vorspiel machte sie Gottsched als die "Nacht mit Blendlaterne und Fledermausflügeln" lächerlich. es kam zum Bruch zwischen der Theatermacherin und dem Theoretiker, dessen "weltfremder und pedantischer Vernunftsdogmatismus dem praktischen Theaterinstinkt" der Neuberin entgegenstand.

Der Niedergang der Neuberin und ihrer Truppe

Inzwischen trieben schlechte Einnahmen den Schuldenberg der Neubertruppe in die Höhe. Dem Druck der Konkurrenz nicht mehr gewachsen, musste sich die Truppe 1743 auflösen. Gerüchten und infamen Schmähschriften über sie zum Trotz versuchte Caroline Neuber, bereits über 50-jährig, 1748 einen Neubeginn mit der erfolgreichen Aufführung von Lessings "Der junge Gelehrte".

Allerdings blieb ihr die wiederholte Vertreibung aus Leipzig durch einen neuen Konkurrenten namens Koch nicht erspart. Bettelarm musste sie 1750 ihre Truppe für immer auflösen. Ihr Wanderleben, das sie in weite Teile Deutschlands geführt hatte, fand ein bitteres Ende. Der letzte Auftritt in Wien wurde zum Fiasko. Der Ausbruch des Siebenjährigen Krieges 1756 machte weitere Aufführungen unmöglich.

Das schmähliche Ende

Beim königlichen Leibarzt Dr. Löber in Dresden fand das Ehepaar Neuber eine Bleibe. Johann Neuber starb hier 1759. Als Löbers Haus durch die Kriegszerstörungen unbewohnbar geworden war und Freunde des Doktors die Unterbringung der Neuberin im nahe gelegenen Dorf Laubegast abgelehnt hatten, nahm sie der Bauer Georg Möhle auf. Bei ihm starb sie, krank und in größter Armut, am 30. November 1760. Weil die Kirche ein Begräbnis ablehnte, sah sich Möhle gezwungen, die Verstorbene heimlich an der Friedhofsmauer zu begraben. 16 Jahre nach ihrem Tod errichtete man ihr in Laubegast einen Gedenkstein. Das Aufstellen eines Grabsteines hat die Kirche bis 1852 abgelehnt.

Unvergessen: Die Neuberin auf Münzen, Briefmarken und Straßenschildern

Alle zwei Jahre vergibt die Stadt Leipzig seit 1998 den Caroline-Neuber- Preis, auch das Schauspiel Leipzig verleiht einen nach ihr benannten Preis. Auch im öffentlichen Raum ist die Neuberin präsent - in Berlin, Braunschweig, Zwickau und Weißenfels sind Plätze oder Straßen nach der Theaterreformerin benannt. In ihrer Geburtsstadt Reichenbach und Dresden lernen Kinder in Caroline-Neuber-Grundschulen das ABC.