5. September 1899 Der erste BH: Eine Revolution made in Sachsen
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05. September 2019, 05:00 Uhr
Der BH ist heute ein modisches Accessoire. Doch ursprünglich sollte er den Damen aus dem Korsett in ein Leben mit mehr Bewegungsfreiheit helfen. Das hatte zumindest Christine Hardt im Sinn. Die Dresdnerin hatte am 5. September 1899 das erste deutsche Büstenhalterpatent angemeldet - eine Revolution.
Christine Hardt wollte mehr, als der Damenwelt einen Gefallen tun. Sie war von Beruf Masseuse und Lehrerin für Heilgymnastik und eine Gegnerin des Korsetts. Das hatte im 16. Jahrhundert seinen Siegeszug angetreten. Das Unterkleid war entweder mit Stahlfedern, Walfischbein oder Büffelhorn verstärkt, wog schätzungsweise um die fünf Kilo und schnürte den Frauen über Jahrhunderte die Luft ab.
Das Korsett: Ohnmacht und Riechsalz
Die Folgen waren Verdauungsprobleme, Organquetschungen, Fehlgeburten und häufige Ohnmacht. Doch das Korsett war das Nonplusultra in der Mode der damaligen Zeit. Frauen mit Sanduhrfigur entsprachen dem modischen Ideal. In den Augen (vor allem männlicher) Zeitgenossen von Christine Hardt war ein hoch gedrückter Busen sexy.
Trotz dieser Aussichten hatte das Korsett Gegner. Gerade der Frauenbewegung war es ein Dorn im Auge. In einer von Männern dominierten Zeit forderte die Bewegung Rechte ein und verlangte nach Befreiung. Dabei ging es vor allem um rechtliche und finanzielle Gleichberechtigung, aber auch um Verbesserungen im Alltag.
Die Gründe gegen das Korsett sind sowohl sozial-emanzipatorischer Art, also dass man sagt: Die Frauen müssen raus aus diesem Zwang. Warum modellieren wir uns eine Frau, die es in der Natur nicht gibt? Und es gibt medizinische Gründe, die sagen: Es ist gar nicht gut, wenn die Frau so eingeschnürt ist. Und das gehört in diesen großen geistigen Hintergrund der Lebensreformströmungen im ausgehenden 19. Jahrhundert.
Dresden: Das Mekka für Freigeister
Dresden ist damals ein Mekka für Lebensreformer wie Friedrich Eduard Bilz. Der Naturheilkundler hatte in Radebeul am 25. Juni 1905 ein Freibad eröffnet. Durch das Baden unter freiem Himmel sollten unter anderem Nervensystem und Abwehkräfte gestärkt werden. Zum Arzt Heinrich Lahmann, der in Dresden ein Sanatorium betreibt, hat Christine Hardt offenbar direkten Kontakt.
Das zeigt sich dadurch, dass Hardt in ihrer BH-Entwicklung einen zentralen Punkt aufgreift, den Lahmann in seiner "Kleiderreform" propagiert hat: Die Kleidung darf nur auf den Schultern ruhen. Eine Hose wird also nicht zugebunden, sondern mit Hosenträgern gehalten. Diese Idee nimmt Christine Hardt auf und verwendet Hosenträger, die sie an einem Stück Stoff befestigt.
Einfach und genial
Für die Erfindung wird in Zeitschriften geworben. Wie viele dieser Wäschestücke produziert worden, ist nicht bekannt, auch von Christine Hardts Leben ist weitergehend nichts überliefert. Allerdings geben die Skizzen der Patentschrift weitere Auskunft und zeigen, wie der BH getragen wurde - nicht auf nackter Haut, sondern über einem Hemd. Der erste Büstenhalter hat außerdem eine eingearbeitete Knopfleiste. Darüber hinaus ist er größenverstellbar und für stillende Mütter leicht zu öffnen. Wenn schon nicht sexy, dann ist der BH doch praktisch, gesundheitlich unbedenklich und für 1899 ein echtes politisches Statement.
Wer hat ihn erfunden?
Bei der Urheberschaft der Erfindung gehen die Fachmeinungen auseinander. Wer hat den modernen Büstenhalter nun wirklich erfunden? Als Favoritin wird immer wieder die Französin Herminie Cadolle genannt, eine Pariser Schneiderin, die 1889 eine "filigranere", eine "den Busen haltende Konstruktion" zum Patent anmeldete. Aber auch Christine Hardt hat es mit ihrem "BH made in Sachsen" und der dazugehörigen Patentanmeldung 1899 in die Zeitschriften und sicher auch in die Herzen der Sächsinnen geschafft.
Über dieses Thema berichtete der MDR im TV auch in "MDR um 2" 04.11.2014 | 14:00 Uhr