Roland Freisler: Hitlers williger Vollstrecker
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Latein beherrschte er so gut, dass er die Konversation eines ganzen Wochenendes damit bestritt. Als Präsident des Volksgerichtshofes zeigte Roland Freisler seine andere Seite: Geifernd beschimpfte er die Attentäter des 20. Juli 1944. Dazu gehörte auch Carl Friedrich Goerdeler, von Haus ebenfalls Jurist und ehemals Oberbürgermeister von Leipzig. Freisler verurteilte ihn zum Tod. Doch wie wurde Freisler, der "Henker in Robe" oder auch "Blutrichter" genannt wird, zu Hitlers willigem Vollstrecker?
7. September 1944, 8 Uhr. In Berlin kommt der Volksgerichtshof zusammen. In einer Einzelzelle im Erdgeschoss wartet bereits der Angeklagte Carl Friedrich Goerdeler. Der ehemalige Oberbürgermeister von Leipzig kauert auf einer Holzbank, er ist mager, nach Vernehmungen durch die Gestapo sind seine Handrücken und Unterarme von Blutergüssen übersät. Goerdeler gilt als einer der Verschwörer des 20. Juli 1944, als Hitler-Attentäter. Wochenlang war sein Steckbrief in den Zeitungen abgedruckt, schließlich wird er verraten.
Psychogramm eines berüchtigten Juristen
Zwei Stockwerke über Goerdelers Zelle wartet Dr. Roland Freisler in seinem Büro auf den Prozessbeginn. Wie immer hat sich der Präsident des Volksgerichts akribisch vorbereitet. "Der Freisler wird das richten", hat Adolf Hitler gesagt und dafür gesorgt, dass die Männer und Frauen des 20. Juli 1944 von seinem Lieblingsrichter verurteilt werden. Wer aber war Roland Freisler? Was trieb ihn an?
Psychologe Andreas Steiner hat sich jahrelang mit der Psychologie des "Dritten Reiches" auseinandergesetzt - besonders mit Freisler. Ein schwieriges Unterfangen, denn über den Richter ist kaum etwas bekannt. Für die MDR-Sendereihe "Geschichte Mitteldeutschlands" erstellt er erstmals ein Profil des berüchtigtsten Juristen Hitler-Deutschlands. Dafür analysiert er unter anderem die wenigen bekannten Filmaufnahmen von Roland Freisler - einen Film, der von Joseph Goebbels in Auftrag gegeben wurde.
"Verräter vor dem Volksgericht"
"Verräter vor dem Volksgericht" heißt der 190minütige Film vom Prozess über die Attentäter des 20. Julis 1944. Der Hauptangeklagte ist Carl Friedrich Goerdeler. Er gilt als einer der Drahtzieher des Stauffenberg-Attentats. Wäre dieses gelungen, dann wäre Goerdeler Reichskanzler geworden. Doch da der Putsch misslingt, muss sich der ehemalige Oberbürgermeister Leipzigs verstecken. Eine Luftwaffenhelferin verrät ihn kurze Zeit später für eine Million Reichsmark. Sein Urteil wird niemand anderes sprechen als Roland Freisler.
Jeder soll wissen, dass wenn er die Hand zum Schlag erhebt, der sichere Tod sein Los ist.
Was beide eint: Sie sind Juristen. Juristen, deren Lebensweg nicht unterschiedlicher sein könnte. In der Gegenüberstellung dieser beiden Biografien wird die Perfidie der nationalsozialistischen Justiz besonders deutlich. Freislers Ziel ist es, jeden, der sich den nationalsozialistischen Zielen in den Weg stellt, so schnell wie möglich zum Tode zu verurteilen. Für ihn ist die Justiz die "Panzertruppe der Rechtspflege". Goerdeler hingegen ist Befürworter jeglichen Widerstands gegen das NS-Regime.
"Feldherr in roter Robe"
Von dem Film "Verräter vor dem Volksgericht" ist heute nur noch eine Kopie erhalten, die im Berliner Bundesarchiv lagert. Das mehrstündige Filmdokument zeigt das gnadenlose Tribunal gegen die Verschwörer vom Stauffenberg-Attentat und erlaubt einen einzigartigen Blick in die Seele des Richters Roland Freisler. Innerhalb von zwei Jahren hat der "Feldherr in roter Robe" über 1.800 Todesurteile verhängt. Darunter auch die von Sophie und Hans Scholl sowie Christoph Probst.
Für den Psychologen Andreas Steiner ist es besonders interessant wie Freisler seine Verhandlungen führt. So ändert er bei Goerdeler kurz vorher den Ablauf: Der Hauptangeklagte soll zum Schluss befragt werden. Freisler will einen "vollkommen zermürbten Goerdeler" vor Gericht stehen haben. Denn der sitzt bereits seit vier Wochen in der Untersuchungshaft der Gestapo.
Feiges Früchtchen, werden Sie hier nicht unverschämt. Mit Ihnen werden wir noch fertig.
Freisler hat nicht nur Kenntnis darüber, dass der Prozess gefilmt werden wird. Er beteiligt sich auch aktiv an den Vorbereitungen. Er weiß, dass Hitler sich diesen Film anschauen wird und er will dem Führer gefallen. Der Propagandafilm soll im Herbst 1944 in die Kinos kommen. "Freisler hatte bei diesem Prozess seinen Auftritt, er zelebrierte das wie ein Star", beurteilt Andreas Steiner das Filmmaterial. "Die Botschaft ist: 'Hier bin ich, seht mich, seht, was ich alles kann'."
Freisler handelt aus niederen Motiven
Die Gesten Freislers basieren alle auf Machtausübung und Unterdrückung. "Er setzte sich oft kerzengerade auf, damit der Angeklagte von unten herauf schauen musste", so Steiner. "Dazu kommt ein blasierter Gesichtsausdruck mit halb geschlossenen Augenlidern, der die Botschaft aussendet: 'Du bist es nicht wert, dass ich Dir meine vollkommene Aufmerksamkeit widme."
"Jemand der Angeklagte dermaßen zusammenschreit und demütigt, der empfindet auch immer eine Lust daran. Diese Lust entspricht einer gleichzeitgen Selbsterhöhung: Je niedriger der andere, desto höher fühlt er sich."
Als Goerdeler vor ihm auf der Anklagebank sitzt und seine Motive schildern will, wird er von Freisler ständig unterbrochen. "Goerdeler war jemandem wie Freisler haushoch überlegen", so Andreas Steiner. "Das ist etwas, für jemanden der innerlich im Grunde ganz klein ist, unerträglich. Solche Menschen mussten in Freislers Weltbild vernichtet werden." Aus diesem Grund wird Goerdeler auch nicht wie die anderen Angeklagten - Wilhelm Leuschner, Josef Wirmer, Ulrich von Hassel - am selben Tag hingerichtet. Er sitzt noch fünf weitere Monate in der U-Haft der Gestapo.
Am 2. Februar 1945 wird Goerdeler in Berlin hingerichtet. Nur einen Tag später - am 3. Februar 1945 - wird Roland Freisler durch einen US-Luftangriff getötet. Der Film "Verräter vor dem Volksgericht" kommt nie in die Kinos. Er wird einem auserwählten Kreis von "Nazi-Gößen" gezeigt, die diesen alle negativ bewerten.
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 19.07.2019 | 16.30 Uhr