Eberhard Cohrs
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Eberhard Cohrs: Das Geheimnis des Komikers

15. Juni 2011, 15:02 Uhr

Eberhard Cohrs bewahrte bis ans Ende seines Lebens ein düsteres Geheimnis. Erst auf dem Sterbebett machte er vage Andeutungen, die von Dokumenten später zweifelsfrei belegt werden: Der sächsische Komiker war ein SS-Mann.

Über seine Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg äußerte sich der sächsische Komiker Eberhard Cohrs auf die ihm eigene Art: "Als ich ausgelernt hatte, musste ich zu einem Stabsarzt wegen Militär. Und der hat gesagt: 'Der Kleene?! Den können mer zurückstellen. An dem ist ja gar nischt dran!' Und dann sagte er, als ich zur Tür ging: 'Was sind Sie von Beruf?' – Ich sagte: 'Bäcker.' – 'Zurück', sagte er, 'die suchen wir!' Und da war ich drinne."

Beichte auf dem Sterbebett

Bei dieser sehr verkürzten und eher anekdotischen Version seiner Kriegserinnerungen, die den Anschein erwecken mussten, Cohrs sei als Bäcker dienstverpflichtet gewesen, blieb Eberhard Cohrs sein Lebtag lang, genauer: bis wenige Tage vor seinem Tod am 17. August 1999.

Erst auf dem Sterbebett vertraute der unheilbar an Krebs erkrankte Cohrs seinem Anwalt Peter-Michael Diestel ein von ihm sorgsam gehütetes Geheimnis an. "Er hatte das Bedürfnis, sein Gewissen in einem düsteren Punkt der Vergangenheit zu erleichtern", erinnerte sich Diestel 2004 in einem Interview mit der "Super Illu". "Er blieb dabei aber sehr allgemein, sagte nur, dass es etwas gäbe, das ihn stark belaste. Welcher Art seine Verstrickungen ins NS-System waren, sagte er nicht, ließ aber durchblicken, dass der DDR-Staatssicherheitsdienst Bescheid wusste."

Geheimakten der Staatssicherheit

Die Staatssicherheit wusste tatsächlich über alles Bescheid. In der Hauptabteilung IX/II, zuständig für die "Erfassung, Archivierung, politisch-operative Auswertung und Nutzbarmachung aller im Ministerium für Staatssicherheit vorhandenen Materialien aus der Zeit des Faschismus bis 1945" existierte seit 1968 eine geheime Akte über Eberhard Cohrs – Kopien von Originalen, die in sowjetischen Archiven lagerten. Aus diesen Papieren geht zweifelsfrei hervor, dass Eberhard Cohrs keineswegs als Bäcker in der Wehrmacht einen harmlosen Dienst versah, sondern dass er als Funker bereits seit 1941 am "Krieg teilgenommen hat" und im August 1944 in die Waffen-SS eingetreten war.

SS-Wachmann im KZ Sachsenhausen

Einen Monat lang war Cohrs Mitglied eines SS-Panzer-Bataillons, bevor er am 6. September 1944 in das Konzentrationslager Sachsenhausen beordert wurde, "SS-dienstliche Verwendung: Wachposten". Bis zum Februar 1945 gehörte Cohrs dem SS-Totenkopf-Wachbataillon des Konzentrationslagers Sachsenhausen an. Zum Schluss war er "Rottenführer", der drittniedrigste Dienstrang bei der SS. Was er in Sachsenhausen erlebte und an welchen Aktionen er beteiligt war, darüber hat Cohrs nichts mehr gesagt. Es wird für immer im Dunkeln bleiben.

Die Staatssicherheit verheimlicht die Dokumente

Als Cohrs am 19. Februar 1977 nach einem Gastspiel in Westberlin nicht in die DDR zurückkehrte, überlegten Mielkes Mannen, ob sie die brisanten Dokumente über Cohrs' Verstrickungen ins NS-System veröffentlichen sollten, um den
"Republikflüchtling" moralisch zu diskreditieren und ihm einen Neuanfang im Westen unmöglich zu machen oder wenigstens zu erschweren. Am Ende sah man davon jedoch ab. Über die Gründe dafür kann man nur spekulieren, sicher scheint aber: Eine Publizierung der Akten hätte schwer am Selbstverständnis der DDR als antifaschistischem Staat gekratzt. Denn schließlich hätte man erklären müssen, wie es passieren konnte, dass ein ehemaliger SS-Mann und KZ-Aufseher in der DDR eine große Karriere macht.

Clown und SS-Mann

Die Rechercheure des MfS stellten in einer abschließenden Einschätzung fest: "Trotz umfassender Prüfung konnten keine Hinweise auf eine Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit erarbeitet werden." Gleichwohl: Cohrs war eben nicht nur der Clown und Witzbold gewesen, der sprichwörtliche "Kleene mit der großen Gusche", sondern auch ein SS-Mann in einem Konzentrationslager. "Wir werden wohl mit dem Widerspruch leben müssen, dass Cohrs mehr war als nur der Komiker, der mit seinem Witz an der DDR-Fassade gekratzt hat", resümierte sein Anwalt Peter-Michael Diestel. "Er war eben als junger Mensch – wie so viele andere – nicht zum Widerstandskämpfer geboren, der es wagte, Nein zu sagen."


(Dossier der Staatssicherheit zitiert nach: "Märkische Allgemeine Zeitung", Potsdam, 17. Juli 2004.)

Über dieses Thema berichtete der MDR im TV auch in "Henne, Cohrs und Co." 15. 07.2017 | 20.15 Uhr