Eberhard Cohrs "Es tut mir leid, dass ich abgehauen bin"
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15. Juni 2011, 14:57 Uhr
1977 kam Eberhard Cohrs von einem Gastspiel in Westberlin nicht in die DDR zurück. Aber im Westen konnte kaum jemand über die Witze des kleinen Sachsen lachen – man verstand ihn einfach nicht.
Im "Neuen Deutschland" fand sich am 25. Februar 1977 eine dürre Meldung:
"Der 56-jährige Conferencier Eberhard Cohrs hat nach einem Gastspiel in West-Berlin seine Frau und sein Kind verlassen. Westlichen Pressemeldungen zufolge soll ihn die Westberliner Polizei in ein Notaufnahmelager eingeliefert haben." Natürlich war Cohrs nicht in ein "Notaufnahmelager" eingewiesen worden, sondern logierte in einem Westberliner Hotel, doch richtig war an der Meldung immerhin: Der berühmte sächsische Komiker hatte einen Auftritt vor den Beschäftigten der Westberliner S-Bahn genutzt, um der DDR den Rücken zu kehren. Frau und Kind durften ihm einige Tage später folgen.
Drohendes Berufsverbot
In der DDR hatte Eberhard Cohrs im Winter 1977 ein Berufsverbot gedroht. Seine Witze über Versorgungsmängel, SED-Alleinherrschaft und Alltagsnöte der DDR-Bürger wollte sich die Staatspartei nicht länger bieten lassen. "Das Auftreten von Eberhard Cohrs können wir uns in dieser Form nicht länger leisten", schrieb Politbüromitglied Albert Norden an den Rundfunk- und Fernsehfunktionär Gerhart Eisler. "Wenn er nur unpolitischen Humor bringen will, dann bitte sehr, aber wenn er politische Witze losschießt und sie ausschließlich gegen die DDR richtet, dann ist das unmöglich." Allerdings wollte ihm Albert Norden eine Art Bewährungsfrist einräumen. "Wir sollten alles tun, um uns diesen außergewöhnlichen Komiker zu erhalten. Es wäre großartig, wenn Du Dir eine halbe Stunde Zeit nehmen würdest, um ihm zu helfen, über seine Nasenspitze hinaus den Verlauf der Dinge in ganz Deutschland und der Welt zu erkennen."
"Cohrs wäre nicht mehr Cohrs gewesen"
Jahrelang hatte sich Eberhard Cohrs in der DDR erfolgreich "durchgewurschtelt": "Wir hatten immer dreimal so viel Material eingereicht wie wir brauchten. Egal, wie viel sie uns rausgestrichen haben, wir hatten immer noch genug. Und oft haben sie auch was übersehen." Doch damit war es 1976 vorbei. Die Zensoren strichen seine Programme unbarmherzig zusammen. "Was ich sagen durfte, darüber hat niemand gelacht und worüber mein Publikum gelacht hätte, das durfte ich nicht sagen." Cohrs sollte nun auch noch ein Mentor an die Seite gestellt werden und es wurde sogar erwogen, prinzipienfeste Satiriker seine Sketche schreiben zu lassen. Cohrs resignierte: "Da wäre der Cohrs nicht mehr der Cohrs gewesen ... Und so ging erst der Biermann, dann der Müller-Stahl, dann ging Manne Krug und dann ging och der kleene Cohrs."
"Die haben keen Sächsisch verstanden"
Seinen ersten Auftritt im Westen hatte Eberhard Cohrs nur wenige Monate nach seinem Fortgang aus der DDR in der ARD-Samstagabend-Show "Am laufenden Band". Showmaster Rudi Carrell hatte ihm viel Platz für einen Soloauftritt eingeräumt, um Cohrs auch in der Bundesrepublik bekannt zu machen. Doch was folgte, war ein Fiasko. Cohrs erzählte zwar in gewohnter Manier einen Kalauer nach dem anderen, bei denen das Publikum in der DDR Tränen gelacht hätte, doch hier blieb alles still. Die Zuschauer guckten sich peinlich berührt an und zuckten mit den Schultern. "Ich hab damals eenen großen Fehler gemacht", erklärte Cohrs später. "Die Rudi-Carrell-Show war in Bremen. Und die haben dort keen Sächsisch verstanden. Da hätt ich een Dolmetscher gebraucht."
Gagschreiber und trauriger Clown
Cohrs Fernsehkarriere war zu Ende, noch bevor sie überhaupt begonnen hatte. Keiner wollte dem zwar irgendwie drolligen, aber leider in seiner sächsischen Mundart unverständlichen Komiker noch einmal ein größeres Podium bieten. Cohrs verdingte sich fortan als Gagschreiber für Rudi Carrell, für Diether Krebs oder Harald Juhnke. "Ich war vom Fernsehen weg, und deswegen sagten die Leute, der ist weg, von dem hört man nischt mehr. Aber der Kleene hatte vollauf zu tun", resümierte Cohrs Jahre später nicht ohne Stolz.
Manchmal schrieb er sich auch kleine Rollen ins Drehbuch von Comedy-Serien wie "Ein verrücktes Paar" oder "Sketch up", spielte neben Pierre Brice einen Sommer lang in Bad Segeberg den ulkigen Sam Hawkens im "Winnetou", trat auf Betriebsweihnachtsfeiern oder in Möbelhäusern mit Soloprogrammen auf: "Da hatte ich immer meine Pointen bereit, wo die Leute gelacht haben über meine Größe und so was ..." In der DDR war Cohrs ein Star gewesen, den jedermann kannte. In der Bundesrepublik blieb er dagegen ein Niemand, ein einsamer trauriger Clown: "Das hat mir doch drüben gefehlt, dass mich jemand mal anschubst und sagt: 'Na, Kleener, wo warste, wo gehste hin?' Da stand ich sehr isoliert da."
"Es tut mir leid, dass ich damals abgehauen bin"
1989, gleich nach der Maueröffnung, zog Cohrs wieder in den Osten zurück, in sein Haus am Rand von Berlin. Seine erste Veranstaltung hatte er in Dresden, im "Kulturpalast". Vor dem Auftritt beschlich Cohrs ein "mulmiges Gefühl". Er fürchtete, die Leute könnten ihm immer noch übelnehmen, dass er damals in den Westen gegangen war, "so nach dem Motto: 'Wir mussten hier bleiben und du bist abgehauen'". Und in den ersten Minuten, erinnerte sich Cohrs, war es tatsächlich schwierig.
"Doch als ich den ersten Gag losgelassen hatte – 'Es tut mir leid, dass ich damals abgehauen bin, denn am nächsten Tag gab's Tomaten' -, da hatte ich sie gleich wieder alle auf meiner Seite. Das war wunderschön."
(Zitate aus: "Eberhard Cohrs. Der Kleene mit der großen Gusche", MDR 1999.)