Biografie Karl Höcker und das Privatleben des SS-Personals in Auschwitz
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19. Januar 2017, 16:27 Uhr
Karl-Friedrich Gottlieb Höcker stammt aus einem Dorf in Westfalen im heutigen Landkreis Minden-Lübbecke. Der Vater, im 1. Weltkrieg gefallen, war Mauer. Die Mutter bringt sich und ihre sechs Kinder mit einer Landwirtschaft durch. Karl-Friedrich Gottlieb Höcker, geboren im Dezember 1911, ist das jüngste Kind in dieser Familie. Er macht in den 1920er-Jahren eine Banklehre und arbeitet danach erst in einer Bank, dann als Buchhalter, bis er 1930 arbeitslos wird. 1933 findet er erneut Arbeit bei einer Bank und tritt zunächst der SS, und später auch der NSDAP bei.
Höckers SS-Karriere
Ab 1939 ist Karl-Friedrich Höcker in Danzig stationiert, ab 1940 gehört er zur Lagermannschaft Neuengamme und steigt dort zum Adjutanten des Lagerkommandanten Martin Weiß auf. Nach einer militärischen Ausbildung in der SS-Junkerschule Braunschweig, klettert Höcker auf seiner Karriereleiter weiter.
Als SS-Untersturmführer kehrt er 1943 ins KZ Majdanek zurück, wieder als Adjutant von Martin Weiß. Der befehligt inzwischen "sein" drittes Konzentrationslager - nach dem Aufbau des Lagers Neuengamme, folgt das Lager Dachau und nun das KZ Ljubin-Majdanek. Hier kreuzen sich die Wege der beiden Männer erneut. 1944 wird Höcker, inzwischen SS-Obersturmführer, ins Konzentrationslager Auschwitz abkommandiert, hier ist er Adjutant des letzten Lagerkommandanten, Richard Baer.
Im Januar '45, nachdem das KZ Auschwitz geräumt und die Gefangenen auf Todesmärsche geschickt werden, verwaltet Höcker zusammen mit Baer das KZ Mittelbau Dora in Thüringen. Kurz vor Kriegsende setzen sich die beiden SS-Männer ab und fliehen nach Hamburg. Richard Baer taucht erfolgreich unter. Bis zu seiner Verhaftung 1960 lebt der ehemalige KZ-Kommandant als "Karl Neumann" unerkannt in der Nähe von Hamburg und verdingt sich jahrelang unbehelligt als Holzfäller.
Höcker dagegen gerät in Hamburg in englische Kriegsgefangenschaft. Seine Tätigkeiten und seine Stellung im KZ Auschwitz kann er jedoch verheimlichen. Schon 1947 kehrt er aus der Kriegsgefangenschaft zurück nach Westfalen und schlüpft wieder in sein altes, bürgerliches Leben als Bankangestelllter und zweifacher Vater.
Höckers Selbstanzeige und das Straffreiheitsgesetz von 1949
1952 allerdings zeigt sich Karl Höcker selbst bei der Staatsanwaltschaft Bielefeld an. Tatsächlich wird er wegen Zugehörigkeit zu einer verbrecherischen Organisation zu neun Monaten Gefängnis verurteilt. Die Strafe muss er aber nicht antreten: Dafür sorgt das Straffreiheitsgesetz von 1949, das das Bundesverfassungsgericht im Oktober 1954 bestätigt.
Das Gesetz unterfüttert den gesellschaftlichen Wunsch nach einem Schlussstrich, einem Deckmantel des Schweigens über die Gräuel der Vergangenheit, von denen keiner gewusst haben, nicht daran beteiligt gewesen sein will und über das ganze Kapitel der Geschichte am liebsten schweigen würde. Doch das Deckmäntelchen wird Mitte der 1960er-Jahre in den Frankfurter Auschwitz-Prozessen gelüftet: Vor Gericht stehen 21 SS-Männer und ein Funktionshäftling. Sie alle sind nach Kriegsende unerkannt ins bürgerliche Leben zurückgekehrt und arbeiten als Kaufmann, Ingenieur oder Verwaltungsangestellter bei der Bundeswehr - scheinbar unbescholtene Männer, von deren Vergangenheit und Taten die eigenen Familien oftmals nichts ahnen oder wissen.
Unter den 360 Zeugen sind 211 Auschwitz-Überlebende. Es liegen unter anderem Dokumente aus dem KZ-Auschwitz vor, in denen Lagerkommandant Höß unterschrieben hat, welche KZ-Häftlinge von wem erschossen wurden. Es ist das erste Mal, dass seit dem Krieg öffentlich über die grausamen Details des Vernichtungslagers gesprochen wird - die Anklageschrift umfasst 700 Seiten. Die Angeklagten verstecken ihre Beteiligung und Verantwortung hinter fremden Rücken, anderen Verantwortungsträgern und befolgten Befehlen. So hält es auch der angeklagte Höcker. Die Angeklagten geben sich unwissend und ahnungslos, so wie Höcker in seinen Schlussworten:
"Herr Präsident, Hohes Gericht. Als ich Ende Mai 1944 nach Ausschwitz zum Lager I versetzt wurde, hatte ich keine Vorstellungen von Auschwitz. Es bestanden dort drei selbständige Lager: 1 Auschwitz, zwo Birkenau, 3 Monowicz. Jedes Lager war unabhängig voneinander und hatte einen eigenen Kommandanten und Adjudanten. Der Kommandant war für den jeweiligen Lagerbereich zuständig und verantwortlich.
Von den Geschehnissen in Birkenau habe ich erst dort im Laufe der Zeit erfahren und hatte damit nichts zu tun. Ich hatte keine Möglichkeit, diese Geschehnisse in irgendeiner Weise zu beeinflussen, noch habe ich sie gewollt oder betrieben. Ich habe keinem Menschen etwas zuleide getan, noch ist jemand durch mich in Auschwitz umgekommen.
Bereits 1952 habe ich mich freiwillig bei der Staatsanwaltschaft in Bielefeld gestellt und alle Angaben über meine Tätigkeiten in den Konzentrationslagern gemacht. Was sollte ich mehr tun? Hätte das jemand gemacht, wenn er sich schuldig fühlt?
Im Übrigen schließe ich mich den Ausführungen meiner Verteidiger Herrn Dr. Eggert und Herrn Dr. Stolding an. Ich lege nun mein weiteres Schicksal in die Hände des Gerichts und bitte um ein gerechtes Urteil. "
Ein Urteil, ein normales Leben und eine weitere Verhandlung
Eine direkte Tatbeteiligung kann das Gericht Höcker nicht nachweisen. Er wird wegen Beihilfe zum Mord an mindestens 3.000 Menschen zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt, die er nicht komplett verbüßen muss. Nach seiner Haftentlassung 1970 arbeitete er weiter als Bankangestellter. Und noch einmal holt ihn seine SS-Vergangenheit ein: 1988 verurteilt das Bielefelder Schwurgericht ihn zu vier Jahren Haft. Höcker wird nachgewiesen, dass er 1943/1944 mehrere Kilo Giftgas für das KZ Majdanek in Hamburg bestellt hatte.
Höckers Freizeitfotos und warum sie den Betrachter verstören
Karl-Friedrich Gottlieb Höcker stirbt zwar im Jahr 2000 im Alter von 88 Jahren. Doch 2006 sorgt er noch einmal für Schlagzeilen: Mit Fotos, die er während seiner Zeit in Auschwitz von seinem Privatleben gemacht hatte. Er hatte sie fein säuberlich beschriftet auf Pappe aufgeklebt. Ein US-Geheimdienstoffizier hatte sie in einem leeren Haus gefunden, mit in die USA genommen und sie vor seinem Tod dem Holocaust-Museum Washington übergeben.
Das fein säuberlich beschriftete Album belegt, wie der SS-Mann Höcker seine Freizeit verbringt, die er sichtlich genießt und für Erinnerungsfotos posiert. Die Bilder zeigen einen jungen, fröhlichen Mann, der mit seinem Schäferhund "Favorit" spielt. Man sieht Höcker fröhlich singend mit anderen SS-Männern, am Tannenbaum beim Kerzenanzünden zum "Julfest", entspannt auf einer Sonnenterrasse im Liegestuhl und beim Blaubeeren-Naschen mit lachenden jungen Frauen.
Das ist das Verstörende an Höckers Album: Es zeigt keine SS-Männer beim Morden oder in Gruppen vor ausgehobenen Leichengruben stehen. Stattdessen sieht man sieht unbeschwert lachende junge Leute. Nichts auf den Fotos im Höcker-Album lässt erahnen, dass, und welchen Anteil jede/r der jungen Männer oder Frauen am systematischen Morden in der Todesfabrik Auschwitz hat und und welche Aufgaben sie dabei übernehmen.