Weihnachtstradition Der Zauber der Rauhnächte im Erzgebirge
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von Nicolá Ramminger
31. Dezember 2023, 11:00 Uhr
Weihnachten hat im Erzgebirge einen besonderen Stellenwert. Da sind zum einen die christlich geprägten Traditionen in der Bergbauregion, die stimmungsvolle Beleuchtung in den Fenstern oder die traditionellen Bergaufzüge. Doch zum anderen mischen sich auch in die Zeit zwischen Weihnachten und Silvester viele Mythen und abergläubisch besetzte Rituale. Es ist die Zeit der Rauhnächte.
Sicher hat man schon häufig die Formulierung "zwischen den Jahren" gehört. Diese Bezeichnung geht auf den zwölf Nächte dauernden Unterschied zwischen der Jahreseinteilung nach Mond- und Sonnenkalender zurück. Genau in diese Zeit fallen die sogenannten Rauhnächte. Die dazu gehörenden Tage nennt man Lostage. In einigen Gegenden beginnen sie am 21., in den meisten aber am 24. oder 25. Dezember. Auch den Begriff "Internächte" (in erzgebirgischer Mundart "Innernächt'") oder Unternächte kennt man im Erzgebirge. Jede Nacht steht jeweils für den zugehörigen Monat des neuen Jahres und lässt unter anderem einen Blick auf das Wetter zu. Auch das sogenannte Zwiebelorakel soll geeignet sein, um das Wetter vorauszusagen.
Was sind Rauhnächte?
Die Rituale um diese besonderen Nächte nur ins Erzgebirge zu verorten wäre falsch. Auch im Norden und Westen Deutschlands, in der Schweiz und in Österreich sind Bräuche verbreitet, die auf die Rauhnächte zurückgehen. Im früheren Ostpreußen nahm man den Aberglauben ebenfalls sehr ernst und selbst in Griechenland kennt man den Brauch, zwischen Weihnachten und Neujahr keine Bett- und Tischwäsche zu waschen und das Haus auszuräuchern. Das hängt damit zusammen, dass der alte Aberglaube seinen Ursprung teilweise schon in der Antike hat, weshalb er auch in anderen europäischen Ländern anzutreffen ist. Gleichwohl wird die Tradition eben besonders im Erzgebirge nach wie vor gepflegt. Doch welche sind diese Bräuche und was sollen sie bewirken oder wovor schützen?
Woher kommt das Wort "Rauhnächte"? Sprachwissenschaftlich ist nicht genau geklärt, woher das "rauh" oder auch "rau" in dem Wort Rauhnächte kommt. Es könnte vom Räuchern kommen, da am Jahresende das Haus häufig durch Räuchern gereinigt wird. Es könnte aber auch auf einen Begriff aus der Kürschnerei zurückgehen. Dort kennt man das Wort "Rauhware" für Pelzwaren. Es würde außerdem einen Hinweis auf mit Fell bekleidete Dämonen geben, die in diesen Nächten in der "Wilden Jagd" ihr Unwesen treiben sollen und heute noch als Perchten im Alpenraum traditionell eine Rolle spielen.
Der Zeitraum zwischen Weihnachten und dem 6. Januar trägt auch die Bezeichnung "tote Tage". Von diesen Tagen wird in der Mythologie angenommen, dass die Gesetze der Natur außer Kraft gesetzt würden und die Seelen der Verstorbenen und Geister Ausgang hätten. In einigen Gegenden heißt es sogar, die Tiere könnten in diesen Nächten sprechen. Die geistige Welt soll in den Rauhnächten Verbindung zur realen Welt suchen. Auch darum sollen die Träume in diesen zwölf besonderen Nächten in Erfüllung gehen. Die Bräuche selbst unterscheiden sich von Ort zu Ort, doch einige tauchen überall auf.
Interview mit Anett Hering, Autorin des Buches "Die Rauhnächte - Im Fluss der Zeiten"
Wie wurden Sie mit den Rauhnächten vertraut gemacht?
Mein Opa war Schmied. Ich liebte es, bei ihm am Schmiedefeuer zu sitzen und seinen Geschichten über Elfen, Kobolde und andere Naturwesen zu lauschen. In den Rauhnächten hat er sich nachts den Wecker gestellt, um nachzusehen, wie das Wetter ist. Diese Beobachtungen hat er sich notiert, ebenso wie die Begegnungen oder Begebenheiten am Tag. Dieses Büchlein hat er immer wieder im Laufe des Jahres hervorgeholt und wusste für mich als Kind immer, was das neue Jahr bringt.
Welche der alten Rituale begehen Sie? Welches ist Ihnen besonders wichtig?
Es ist mir sehr wichtig, die Wohnung vor Beginn der Rauhnächte zu putzen und die Betten neu zu beziehen, weil natürlich zwischen Weihnachten und dem 6. Januar keine Wäsche gewaschen wird. Besonders wichtig ist mir das Ausräuchern der Wohnräume. Meistens erledige ich das am 28. oder 29. Dezember mit weißem Salbei, um schlechte Erfahrungen und Krankheiten des alten Jahres aufzulösen. Außerdem notiere ich mir - wie mein Opa - meine Träume und Begegnungen der zwölf Nächte und Tage. Außerdem orakel ich ein bisschen, z.B. beim Bleigießen in der Silvesternacht.
Sie ergänzen in Ihrem Buch die althergebrachten Bräuche durch eigene. Warum?
Ställe ausräuchern, eines der alten Rituale, halte ich für nicht mehr so zeitgemäß. Darum verbinde ich beispielsweise jeden Tag der Rauhnächte mit einem Edelstein, auch um Menschen heute zu erreichen. Das passt besser in unsere schnelllebige Zeit, hilft, sie zu durchbrechen. Auch ziehe ich ab und zu eine Tarotkarte.
Glauben Sie, dass die teils altmodisch anmutenden Bräuche noch in unser modernes Leben passen?
Geister austreiben vielleicht nicht mehr. Aber Vergeben und Loslassen ist heute genauso wichtig, ebenso die Dankbarkeit. Man muss das alte Brauchtum in die neue Sprache übersetzen, um es für uns in die neue Zeit hinüberzuretten.
Wilde Jagd und Tanz der Engel
Wie es im Brauchtum häufig geschieht, mischen sich christliche Rituale und alter Volksglaube miteinander. Letzterer bietet den Menschen in früheren Zeiten oft Erklärungen für die Naturerscheinungen, mit denen sie es in ihrem alltäglichen Leben zu tun hatten. Sturm, der nachts unheimlich klingt, wird dann eben manchmal mit übersinnlichen Erscheinungen erklärt - einmal mehr in den als magisch geltenden Tagen und Nächten. Pfiff beispielsweise der Sturm laut durch die Wälder, Wiesen oder Dachböden, erscheint das "Wilde Heer", das draußen umhertobt, nicht weit hergeholt. In diesen besonderen Nächten soll demnach also eine Horde wilder Reiter mit lautem Getöse durch die Lüfte ziehen. Wer die Wilde Jagd hört, muss der Überlieferung zufolge mit Unheil rechnen. Der Legende nach ziehen in der wilden Jagd böse Geister und Menschen mit, die eines gewaltsamen Todes gestorben sind. Der Anführer des Zuges ist territorial unterschiedlich. Oft soll es im Erzgebirge Wotan bzw. Odin oder Frau Holle sein.
Warum darf man in den Rauhnächten keine Wäsche waschen?
Aus diesem Grund darf in den Internächten keine Wäsche, insbesondere keine weiße Tisch- und Bettwäsche gewaschen und aufgehängt werden. Die bösen Geister könnten sich in den auf der Leine hängenden Wäschestücken verfangen und im neuen Jahr bleiben. Eine andere Auslegung besagt, dass die weißen Tücher im neuen Jahr als Leichentücher benutzt würden, also jemand sterben werde. Andernorts heißt es nur, dass die Wäsche den Tanz der Engel auf dem Dachboden stören würde.
Essen, das Glück und Wohlstand bringt
Die meisten Rituale werden am Heiligabend zelebriert: Unter der Tischdecke des festlich gedeckten Tischs liegt das Heiligabendstroh, das an die Geburt des Kindes in einem Stall erinnern soll. Unter den Tellern werden Heiligabendmünzen gelegt in der Hoffnung darauf, dass dies im kommenden Jahr einen reichen Geldsegen bringt. Das Heiligabendlicht gehört unbedingt auf die Tafel. Der Leuchter, auf dem es steht, wird meistens von Generation zu Generation weiter gegeben. Erst wenn die Familie zu Bett geht, wird die Kerze gelöscht. Der Rest des Heiligabendlichtes wird aufgehoben, um es bei Gewitter oder Krankheiten hervorzuholen und im gemahlenen Zustand dem Kranken zu verabreichen. Auch muss darauf aufgepasst werden, dass es nicht zerbricht, denn das bedeutet Unheil, meistens Tod. Ein Gedeck mehr wird in vielen Familien entweder im Andenken für verstorbene Familienmitglieder oder für einen fremden oder armen Gast aufgelegt, der unverhofft noch kommen könnte. In vielen Familien wird das traditionelle Neunerlei (Neinerlaa) gegessen. Jede dieser neun Speisen hat eine Bedeutung für das neue Jahr.
Auch dem Stollen, dem traditionellen Weihnachtsgebäck, kommt eine wichtige Bedeutung zu. Früher wurde der Stollenteig zwar in der eigenen Küche zubereitet, aber in der Bäckerei ausgebacken. Das Abholen der fertigen Stollen musste dann mit großer Vorsicht erfolgen. Es heißt nämlich, wenn das Gebäck bricht, stirbt im neuen Jahr jemand in der Familie. So ist auch heute beim Transport des Gebäcks Vorsicht geboten.
Silvester - der besondere Lostag
Ein Brauch ist das sogenannte "Bibelstechen", das heidnisches Brauchtum mit dem Christentum verbindet. Das kann an jedem beliebigen der zwölf Tage geschehen, oft jedoch wird es am Silvestertag praktiziert. (Silvester ist nämlich neben dem Heiligabend der wichtigste Lostag.) Dabei wird mit einem flachen Holzspan eine Seite der Bibel "angestochen". Der entsprechende Bibelspruch ist dann ein Hinweis auf bevorstehende Ereignisse im neuen Jahr. Bevor das Jahr jedoch beginnen kann, müssen alle offenen Rechnungen beglichen, Streitigkeiten geschlichtet, das Haus geputzt und die Dinge - noch vor Beginn der magischen Nächte und Lostage - geordnet sein. Damit sollen die bösen Geister des alten Jahres vertrieben werden. Das geschieht außerdem mit Lärm. Das hat sich bis heute in Form von Feuerwerk und Böllern erhalten.
Bleigießen und Fischschuppen
Silvesterkarpfen ist bis heute ein traditionelles Essen für den letzten Tag des Jahres. Man hebt eine Schuppe des Fisches auf und bewahrt sie in der Geldbörse auf. Das soll Glück bringen und das Geld nie ausgehen lassen. Auch in der Silvesternacht gießt man Blei. Dabei werden traditionell kleine Bleistücke mit einem Löffel über der Flamme einer Kerze erhitzt, bis das Metall vollständig geschmolzen ist. Das verflüssigte Metall wird schnell in eine Schale mit kaltem Wasser gekippt. Durch den Temperaturunterschied erstarrt das Blei und es bilden sich verschiedene Figuren. Weil Blei als gesundheitsschädlich gilt, wird heute meistens Zinn verwendet. Im Handel sind seit 2018 Zinngieß-Sets erhältlich, die ähnlich ausgestattet sind wie die aus Blei, aber eben Rohlinge aus Zinn verwenden. Man kann das Ritual ebenso mit Wachs begehen, denn in einigen Gegenden ist alternativ auch Wachsgießen verbreitet. Aus den entstehenden Figuren und Gebilden glaubt man, die Zukunft für das neue Jahr lesen zu können.
Was bringt das neue Jahr?
Räucherrituale, Feuerwerk, Glockenläuten oder Böllerlärm - wenn das alte Jahr endet, ist der Wunsch nach Gesundheit und Glück im neuen Jahr groß. Für einen Blick in die Zukunft waren die Menschen früher erfinderisch und sind es noch. Nicht umsonst sind viele der alten Rituale im Erzgebirge erhalten geblieben. Spaß machen die meisten Bräuche allemal. Manche sind außerdem auch allein ein wahrer Glücksfall. Wer will schon zwischen den Feiertagen Wäsche waschen?
Der Artikel war erstmals im Dezember 2021 online.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Dok: Stollen | 18. Dezember 2022 | 23:00 Uhr