Erste deutsche Vogelschutzwarte Sittich Hans von Berlepsch: Erfinder von Vogelhaus und Nistkästen
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18. April 2023, 05:00 Uhr
Der Mann hieß wirklich Sittich mit Vornamen und hatte fünf Halsbandsittiche im Wappen. Sittich Karl Rudolf Hans von Berlepsch aus einem alten thüringisch-hessischen Adelsgeschlecht ist einer der Väter des praktischen Naturschutzes, Erfinder von Nisthöhle und wintersicherem Vogelhaus. Der südamerikanische Dschungel inspirierte ihn zu einem Vogelschutzpark am Wasserschloss Seebach bei Mühlhausen, das er zur ersten deutschen Vogelschutzstation umgestaltete.
Die Angst vor dem stummen Frühling
Artensterben und Artenschwund sind keine Erscheinung des 21. Jahrhunderts. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts beklagen Vater und Sohn Brehm einen radikalen Rückgang der Vögel. Die Gründe sind die gleichen wie heute: Veränderungen in der Landwirtschaft, wie das Ende der Dreifelderwirtschaft und der Einsatz von mineralischem Dünger, Industrialisierung und Bevölkerungswachstum, sagt der Nestor der Thüringer Ornithologie und langjährige Leiter des Phyletischen Museum der Universität Jena, Dietrich von Knorre.
Der Gedanke, dass wir mit der Natur nicht wie bisher umgehen können, war weit verbreitet.
Wie kommt Berlepsch zu seinem Vornamen Sittich?
Der ungewöhnliche Name und das Familienwappen mit Halsbandsittichen gehen auf eine Legende zurück. Nach ihr traf Kaiser Barbarossa einen Ritter von Berlepsch beim Spielen mit Halsbandsittichen an und tadelt ihn wegen dieser unritterlichen Beschäftigung. Der Ritter konterte dem Kaiser: "Ich folgte dir, als Du zum Kreuzzug riefst und von dorten brachte ich mir diese Sittiche mit. Wenn nötig, führe ich mein Schwert, wenn aber Ruhe ist, halte ich auch solche Beschäftigung für erlaubt." Seither tragen die Berlepsche fünf Sittiche im Wappen und Sittich wurde in der Familie ein gängiger Vorname.
Ein Vogeldschungel an der Unstrut
Sittich Karl Rudolf Hans von Berlepsch begeistern seit Kindestagen alle Tiere. Als Schüler hält er in seinem Zimmer in der Klosterschule Roßla Vögel im Bücherschrank, Füchse in der Schublade der Kommode und zieht ein Rehkitz mit der Flasche auf. In seinem Tagebuch notiert er als Zehnjähriger erste Vogelbeobachtungen. Die Offizierslaufbahn bietet ihm ausreichend Zeit für die Natur und für Reisen. Südeuropa und Nordafrika, Spitzbergen und Brasilien bereist Berlepsch. Im Amazonasdschungel entdeckt er Areale, an denen auffällig viele Vögel nisten. Dort ist das Gebüsch besonders dicht und undurchdringlich und hat viele Verästelungen und Gabeln, in denen die Vögel ihre Nester bauen. Zurück im heimischen Seebach bei Mühlhausen überträgt Berlepsch seine Dschungelbeobachtungen auf den Park rings um seine Burg.
Ich versuchte auf künstlichem Wege in relativ kurzer Zeit das Gleiche zu erzeugen. Eine aus bestimmten Holzarten zusammengesetzte Pflanzung, in der durch entsprechende(n) Schnitt die gleichen guten Nistgelegenheiten...geschaffen werden wie in den Urwäldern.
Die Eichen, Weiden, Hainbuchen, Vogelbeeren, Weiß- und Rotdorne rings um seine Wasserburg lässt Berlepsch regelmäßig so kräftig zurückschneiden, so dass die neu entstehenden Triebe ein reich verzweigtes Dickicht bilden. Diese Bäume sind wertlos für Tischler, ideal aber für Vögel.
Berlepsch erfindet die Nisthöhle und Futterhaus
Tiervater Brehm ist sich sicher: Nistkästen sind nutzlos. Eine Erfahrung, die auch Hans von Berlepsch macht. Drei Viertel der Jungvögel sterben in den Tongefäßen und Holzkübeln. Da Meisen, Rotkehlchen und Rotschwänzchen, Kleiber und Wendehals gern verlassene Spechthöhlen nutzen, baut Berlepsch diese in Erlenstämmen nach. Und hat nach 15 Jahren des genauen Beobachten und Ausprobierens endlich Erfolg. Die Berlepsche Nisthöhle ist die Urmutter all der heutigen Meisen-, Spatzen-, Starenkästen, der Halbhöhlen für Rotkehlchen und Rotschwänzchen, der Baumläufer- oder Mauerseglerverstecke. Über hundert bringt er allein an seiner Wasserburg Seebach an, einige tausend im angrenzenden Park und seinem Waldbesitz im Hainich. Als dieser 1905 und 1921 von einer Insekteninvasion heimgesucht wird, bleiben Berlepschs Bäume weitgehend verschont.
Man wird hoffentlich nun allgemein zur Einsicht kommen, dass wir in einem naturgemäßen Vogelschutz überhaupt die einzig wirklich erfolgreiche Schädlingsbekämpfung besitzen.
Auch das regen- und windgeschützte Futterhäuschen für die Winterfütterung geht auf Berlepsch zurück. Ebenso die Beobachtung, dass Vögel im nahrungsarmen Winter auf Fett angewiesen sind. Damit ist Berlepsch der Ideengeber für Meisenknödel.
Vogelschutz im Staatsauftrag
Der Freiherr ist als "Vogelbaron" eine Institution. Sein Buch "Der gesamte Vogelschutz" erlebt zwölf Auflagen und wird in viele Sprachen übersetzt. Förster und Bauern kommen zu Vorträgen und Seminaren nach Seebach, übernehmen Vogelschutzhecken und Nistkästen. Die Uni Halle ernennt den Autodidakten zum Ehrendoktor. 1908 erklärt die Preußische Regierung in Berlin das Seebacher Wasserschloss zur "Staatlich anerkannte(n) Versuchs- und Musterstation für Vogelschutz". Das ist Seebach bis heute geblieben. Wenn auch in den 1970/80er-Jahren mit einer kruden Auslegung des Themas Vogelschutz. Da werden am Wasserschloss Versuche mit Japanwachteln gemacht, denen Pflanzenschutzmittel ins Futter gemischt wird. So will man herausfinden, wie sich der hohe Pestizideinsatz auf den Feldern auf Vögel auswirkt. Heute dient die Vogelschutzwarte Seebach wieder dem Schutz der Vögel. Und wie zu den Zeiten ihres Gründers Sittich Hand von Berlepsch werden Seminare und Schulungen angeboten, Vögel gezählt und beringt, verletzte und kranke Tiere in Obhut genommen und aufgepäppelt.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Weltgeschichte vor der Haustür | 16. April 2023 | 13:00 Uhr