Leipzig und das Parfüm
Hauptinhalt
28. Juni 2018, 09:08 Uhr
Zentrum und innovativer Motor der Parfümherstellung und Duftstoffindustrie. Im Umland riesige Rosen-, Lavendel- und Yasminfelder, auf denen Arbeiterinnen die Zutaten für neue Duftkreationen pflücken….Wer bei dieser Beschreibung an Paris oder Grasse in Frankreich denkt, liegt völlig falsch. Die Rede ist von der sächsischen Stadt Leipzig - im 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts war sie eine der Hochburgen der Parfümindustrie.
Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in der sächsischen Messestadt rund ein halbes Dutzend Firmen, die zum Wohlgeruch der Menschheit beitragen wollten. Denn gut zu riechen, das lag damals voll im Trend:
Im 19. Jahrhundert entwickelt sich eine neue Empfindlichkeit, eine neue Sensibilität für Gerüche in der Stadt, die immer mehr als unangenehm empfunden wurden.
So beschreibt die Historikerin Gisela Mettele, die sich viel mit dem Stadtleben im 19. Jahrhundert beschäftigt hat, die neue Wahrnehmung von Gerüchen zu dieser Zeit. In den engen Arbeiterwohnungen der Stadt gab es keine Badezimmer und wenn, dann konnte sich der normale Arbeiter vielleicht etwas Seife leisten. Parfüm war viel zu teuer. Dabei ging es aber nicht nur darum, einfach besser zu riechen. Historikerin Mettele nennt einen viel wichtigeren Aspekt:
Bis zum Ende des 19. Jahrhundert ist ja die dominante Theorie, dass sich Krankheiten über die schlechten Gerüche über die Ausdünstungen übertragen und da haben dann auch die Wohlgerüche, die Parfüms, nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine medizinische Bedeutung.
Rosen- und Lavendelfelder
Pfiffige Leipziger sahen im 19. Jahrhunderts das große Potential der Riechstoffindustrie - vor allem zwei Leipziger Unternehmen sollten bald an die Weltspitze der Parfümherstellung aufsteigen. 1829 wurde in der Nähe des Leipziger Hauptbahnhofes die Firma "Schimmel und Co" gegründet, die sich auf die Gewinnung von Duftstoffen aus verschiedenen Pflanzen spezialisierte. Das Unternehmen kaufte große Flächen am Rande der Stadt, um dort Rosen und Lavendel anzubauen. Und nutzte noch andere Potenziale der sächsischen Stadt, die der Historiker und 19.-Jahrhundert-Spezialist Ulf Morgenstern so beschreibt:
Die Leipziger Chemie ist wie die anderen Naturwissenschaften am Anfang des 19. Jahrhunderts deutschlandweit und damit weltweit führend gewesen. Sie bekamen Nobelpreise. Hier konnte man das Know-how der Chemiker anzapfen, indem man deren Wissen über die Herstellung von Parfüm nutzbar machte.
Auch der vielseitige Unternehmer und Politiker Karl Heine stieg groß ins Parfümgeschäft ein. Er baute nicht nur Kanäle und Fabriken, sondern gründete 1859 auch eine eigene Firma zur "Destillation von ätherischen Ölen aus einheimischen Pflanzen". Und nutzte dabei eine "Energiequelle", die er sowieso zum Antrieb seiner Maschinen brauchte:
In diesen Fabriken wurden verschiedenste Produkte mit Wasserdampf hergestellt und dieser Wasserdampf wurde eben genutzt um diese ätherischen Öle herzustellen.
Parfüm für den "kleinen Mann"
So schaffte es Heine, kostengünstig Grundstoffe für die Parfümindustrie zu produzieren. Mit Hilfe der Wissenschaft glückte der sächsischen Metropole der Aufstieg zu einem der weltweit wichtigsten Zentren der Riechstoff-Industrie. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Düfte hier erstmals nicht aus Pflanzen gewonnen, sondern rein chemisch nachgebaut. Und mit der synthetischen Herstellung sanken auch die Herstellungskosten. Eine neue Ära begann – eine Ära, in der nun endlich auch der "kleine Mann" und seine Frau angenehm nach Parfüm duften konnten.
Anfang des 20. Jahrhunderts boomte die Branche. Die Heine-Aktiengesellschaft baute 1906 in Gröba an der Elbe ein neues Werk, wenige Jahre später hatte die Firma Niederlassungen in Berlin, Paris, New York und Kalkutta. Das Unternehmen "Schimmel und Co" baute sein neues Werk mit angeschlossener Wohnsiedlung für die Arbeiter schon 1900 in Miltitz bei Leipzig und entwickelte sich zum Weltmarktführer bei der Herstellung von Riechstoffen und ätherischen Ölen.
Düfte für die DDR
Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die Betriebe verstaatlicht. Die Traditionen und das Know-How der sächsischen Riechstoffherstellung wurden jedoch auch in der DDR weitergeführt. Auch im Sozialismus sollte den Bürgern der Luxus von Parfüm und duftenden Kosmetika nicht vorenthalten werden. Aus der der Firma "Heine und Co" wurde der VEB Aromatic Leipzig. Das Unternehmen "Schimmel und Co" wurde in den VEB "Chemische Fabrik Miltitz" umgewandelt. Hier wurden die Duftstoffe für fast alle Kosmetika der DDR hergestellt. Action, Badusan, Frische Brise, Florena-Creme - den Duft bekamen sie alle aus Miltitz.
Bis heute hat sich die Riechstofftradition am Standort Miltitz erhalten. 1993 hatte der amerikanische Duftstoff- und Aromahersteller "Bell Flavors and Fragrances" den Betrieb von der Treuhand übernommen. Zehntausende Rezepturen, die dem Duft der DDR geprägt haben, liegen bis heute in Miltitz im Tresor.
Über dieses Thema berichtet der MDR auch im Fernsehen : Geschichte Mitteldeutschlands | 08.11.2011 | 21:15 Uhr