Hoheneck
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DDR-Strafvollzug Mythen rund um berüchtigtes Frauenzuchthaus Hoheneck

12. März 2021, 15:07 Uhr

"Frauenzuchthaus Hoheneck" - unter diesem Beinamen ist das berüchtigtste Frauengefängnis in der DDR bekannt. Bis zu 23.000 Frauen sollen die Haftzeit im sächsischen Stollberg bis 1989 durchlebt haben. Heute wird das Areal der ehemaligen Haftanstalt zum Gedenkort umgebaut. Der Historiker Sebastian Lindner plädiert dafür, die Erinnerung wach zu halten und berichtet im Interview mit MDR ZEITREISE über seine Forschungen zum "Komplex Hoheneck".

"Die wird ja nicht umsonst im Frauengefängnis gesessen haben." Bis heute sehen sich viele politische Gefangene aus Hoheneck mit Vorwürfen wie diesen konfrontiert. Der Historiker Sebastian Lindner sammelt in seiner Doktorarbeit die Aussagen von Frauen, die in Hoheneck einsaßen. Er spricht aber auch mit der Gegenseite, dem Personal aus Hoheneck. Am Ende soll ein Gesamtbild des DDR-Strafvollzugs stehen und auch der neuen Gedenkstätte zugutekommen.

MDR ZEITREISE: Zu Hoheneck gibt es sehr viele Veröffentlichungen, sehr viele Zeitzeugenberichte, sehr viele Meinungen. Gefühlt ist schon alles gesagt zu diesem Frauengefängnis. Welchen Ansatz verfolgen Sie in Ihrer Doktorarbeit?

Sebastian Lindner: Da würde ich natürlich vehement widersprechen, dass da alles gesagt ist. Wenn man sich Veröffentlichungen zum DDR-Strafvollzug anschaut, steht ausschließlich die politische Haft im Mittelpunkt: Wie ist die DDR mit politischen Gegnern und Dissidenten umgegangen? Und oft ist es die Stasi-Haft, die beleuchtet wird. Mein Ansatz ist etwas globaler. Bei mir ist es so, dass ich Hoheneck von Inbetriebnahme als DDR-Gefängnis bis zum Ende 1990 in den Blick nehme und über diese 40 Jahre alle Akteure einbeziehe. Also, die politischen Gefangenen, die kriminellen Häftlinge und das Personal.

Untersucht habe ich einfach die Fragen: Wer hat dort gearbeitet und wer hat dort gesessen? Welche Altersgruppen? Welche Delikte sind überhaupt geahndet worden? Zu welcher Zeit? In den 1970er- und 1980er-Jahren zum Beispiel war es sehr oft die "Republikflucht" bei den politischen Gefangenen. Aber es gab auch immer etwa ein Drittel Frauen, die wegen Diebstahls einsaßen. Und Mörderinnen saßen auch immer in Hoheneck. Darüber hinaus schaue ich, wie war die bauliche Substanz des Ortes, wie lief der Alltag ab. Das lässt Rückschlüsse auf den gesamten Strafvollzug der DDR zu, weil nach Hoheneck ja Frauen aus der ganzen Republik gebracht worden sind.

Sie haben sowohl mit Inhaftierten als auch mit ehemaligem Personal gesprochen. Auf welche Widerstände sind Sie gestoßen?

Ich habe mit insgesamt fünf ehemaligen Mitarbeitern sprechen können. Es gibt einige, die wollen das nicht, weil sie die negative Erfahrung gemacht haben, dass ihre Geschichte sehr schwarz-weiß dargestellt wird. Die Leute, die mit mir gesprochen haben, nehmen von sich an, dass sie keine Grenzen überschritten haben. Etwas blumig ausgedrückt: Sie sprechen mit reinem Gewissen. Ich habe zugesagt, die Aussagen anonym zu nutzen, weil es Personen gab, die noch aktiv im Strafvollzug tätig sind.

Es war natürlich wenig überraschend, dass sich die Aussagen des Personals von denen der Gefangenen deutlich unterschieden. Die Mitarbeiter meinten, sie selbst handelten im Alltag stets nach Recht und Gesetz. Eine gewisse Härte musste sein, um ein gewisses Standing zu haben. Die einzelne politische Gefangene beispielsweise hat das natürlich als übermäßige Härte wahrgenommen, weil sie immer im Hinterkopf hatte: Ich bin ja unschuldig in Haft – und dann noch diese unnötige Härte.

Um Hoheneck ranken sich noch immer gewisse Mythen. Zum Beispiel wollen sich einige Inhaftierte an eine Wasserzelle erinnern. Was haben Ihre Forschungen dazu ergeben?

Die Frage der Wasserzelle ist ein sehr neuralgischer Punkt und ein sehr heftig diskutiertes Thema. Da geht es schon los: Wie definiert man Wasserzelle? Ist eine Wasserzelle schon ein Kellerraum, der sehr feucht ist, weil das Grundwasser eindringt und die Wände sehr feucht sind? Dass es eine Wasserzelle gab, wie es manchmal beschrieben wird, in die Wasser massenhaft eingelassen worden ist – dafür konnte ich keinen Beleg in den Akten finden. Ich habe natürlich auch die ehemaligen Bediensteten gefragt, ob sie davon wussten. Die haben aber alle verneint. Es gibt einige Strafgefangene, die davon berichten. Die berufen sich aber auch nur auf das Hörensagen. Also, niemand, mit dem ich gesprochen habe, hat das persönlich erlebt.

Blick ins Innere des "Frauenzuchthauses" Hoheneck

"Frauenzuchthaus Hoheneck" - unter diesem Beinamen ist das einstige Gefängnis im sächsischen Stollberg bekannt. Zeitweise saßen dort mehr als 1.600 Frauen ein - viele von ihnen aus politischen Gründen.

Hoheneck
Gabriele Stötzer erinnert sich an "Massen von Frauen, 33 in einem Verwahrraum. Kontrollierter Bettenbau, tags durfte man nicht in den Betten liegen, Stühle gab es zu wenig. Waschräume gleich neben den Schlafräumen mit drei offen nebeneinanderstehenden WC-Becken ohne Deckel und an der Wand mehrere Waschkojen, in denen sich die Gefangenen wuschen, während sich andere ihrer Notdurft entledigten. An den leeren Wänden Regale mit kleine offenen Fächern, in denen die wenigen persönlichen Gegenstände, die man besitzen durfte, einsichtig stehen mussten: Zahnbecher, Besteck, Seife, Creme." Bildrechte: MDR/Kathrin Aehnlich
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Gabriele Stötzer erinnert sich an "Massen von Frauen, 33 in einem Verwahrraum. Kontrollierter Bettenbau, tags durfte man nicht in den Betten liegen, Stühle gab es zu wenig. Waschräume gleich neben den Schlafräumen mit drei offen nebeneinanderstehenden WC-Becken ohne Deckel und an der Wand mehrere Waschkojen, in denen sich die Gefangenen wuschen, während sich andere ihrer Notdurft entledigten. An den leeren Wänden Regale mit kleine offenen Fächern, in denen die wenigen persönlichen Gegenstände, die man besitzen durfte, einsichtig stehen mussten: Zahnbecher, Besteck, Seife, Creme." Bildrechte: MDR/Kathrin Aehnlich
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Die ehemalige Gefangene Gabriele Stötzer berichtet: "Als ich 1977 nach Hoheneck kam, lief der Haftbetrieb auf Hochtouren. Überbelegt mit bis zu 2.000 Gefangenen, arbeiteten alle in Dreischichtsystemen ihre Schuld gegenüber Gesellschaft und Staat ab." Bildrechte: MDR/Kathrin Aehnlich
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In Hoheneck gab es Kübel, keine WCs; Strohsäcke, keine Matratzen; keine Waschgelegenheiten, nur eine Blechschüssel, mit der man abends an der Zellentür Wasser bekam. Bildrechte: MDR/Kathrin Aehnlich
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Schon im 17. Jahrhundert wurde das Schloss als Untersuchungsgefängnis genutzt. Bildrechte: MDR/Kathrin Aehnlich
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1950 wurden 1.119 Frauen eingeliefert, die durch sowjetische Militärtribunale verurteilt worden sind. Das Zuchthaus war für maximal 600 Gefangene ausglegt. Bildrechte: MDR/Kathrin Aehnlich
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Ende April 2001 wurde das Gefängnis geschlossen. Der Freistaat Sachsen verkaufte 2002 das ehemalige Frauengefängnis an einen privaten Investor. Bildrechte: MDR/Kathrin Aehnlich
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Gab es Überraschungen für Sie als Historiker im Laufe Ihrer Forschung?

Wirklich überrascht hat mich tatsächlich, mit welchem Mut und welcher Energie viele der politisch Verfolgten, die ja doch einiges an Übel mitgemacht haben in der DDR und in Hoheneck, noch durchs Leben gehen. Mit wieviel Energie viele zum Beispiel an der Aufarbeitung dieses Kapitels arbeiten und sich da manchmal auch die Zähne ausbeißen. Sie sehen sich bis heute mit Vorwürfen konfrontiert nach dem Motto: 'Die wird ja nicht ganz ohne Grund im Frauengefängnis gewesen sein.' Auch innerhalb der Familien ist die Aufarbeitung oft ein großes Problem: Die Nachfolge-Generation hat sich oft nicht getraut, zu fragen. Die Betroffenen selbst wollten nicht immer wieder damit anfangen. Umso mehr beeindruckt mich die Stärke dieser Frauen, mit welcher Bereitschaft sie über ihre Erfahrungen sprechen.

Weibliche Gefangene im Strafvollzug Hoheneck arbeiten in einer Näherei
Hoheneck gehörte zu den lukrativsten Produktionsstätten des Textilkombinats ESDA Thalheim. Auch das Bettwäsche-Kombinat Planet ließ hier von den Gefangenen nähen. Bildrechte: Archiv Stiftung Sächsiche Gedenkstätten

Derzeit wird Hoheneck umgebaut und soll in etwa zwei Jahren als Gedenkort fungieren. Eine gute Idee?

Das ist auf jeden Fall längst überfällig, aber es ist auch eine Herkulesaufgabe. Das Areal ist riesig. Ich selbst werde an der Ausgestaltung der Dauerausstellung in der Gedenkstätte mitwirken, aber wo fängt man an, welche Erzählstränge will man dort zeigen, wie bringt man die Geschichten auch an den Mann, Frau und Kind? Es mangelt ja in Sachsen auch nicht gerade an Gedenkstätten. Dennoch denke ich, das ist eine absolut notwendige Maßnahme. Auch für die Menschen in Stollberg. Dieses Gefängnis thront ja über der Stadt, also rein geografisch gesehen. Es ist ständig für alle sichtbar, war aber lange Zeit nicht zugänglich. Und man muss hier einfach Aufklärungsarbeit leisten, die den Bürgern vor Ort und allen Interessierten zugutekommt.

Zur Person Sebastian Lindner ist Historiker und arbeitet beim Bundes-Innenministerium. Zuvor war er lange in der Bundesbehörde für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes tätig. Er schreibt seine Doktorarbeit an der TU Dresden mit Unterstützung der Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Geschichte des Frauengefängnisses Hoheneck Seit 1862 in der ehemaligen Ritterburg Hoheneck in Stollberg das "Königlich-Sächsische Weiberzuchthaus" errichtet wurde, wechselten die Gefangenen ihr Geschlecht und die Hausherren ihre Ideologie. Nach Gründung der DDR wurde die Haftanstalt wieder zum Frauengefängnis, in dem sich Mörderinnen und politische Gefangene eine Zelle teilen mussten. Für eine "Einweisung" nach Hoheneck genügte oft schon eine schriftlich formulierte Kritik an der DDR-Politik. Die Politischen wurden unter den Kriminellen verteilt und unterstanden dem Kommando der Schwerverbrecherinnen.

Die Vollzugsanstalt war eigentlich für 230 Haftplätze festgelegt, die wirklichen Belegungen schwankten zwischen 400 und 2.000 Gefangenen. Im Jahr 2001 wurde die Haftanstalt geschlossen.

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR ZEITREISE | 27. September 2020 | 22:20 Uhr