1959 Testflug des Düsenjets "152" misslingt Gerhard Güttel - Testpilot des DDR-Düsenjets 152
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22. Oktober 2021, 17:41 Uhr
Ende der 1950er-Jahre hatte Walter Ulbricht den Flugzeugbau zur Chefsache erklärt und gab den Startschuss zum Bau eines modernen Düsenflugzeugs für den Passagierverkehr. Geld spielte keine Rolle. 1959 misslang der erste Flug der "152". Erst mit Gerhard Güttel als Testpilot glückte 1960 der Flug.
Im März 1959 erfährt Gerhard Güttel, dass er Testpilot des DDR-Düsenjets "152" werden soll. Der Grund: Sein Vorgänger ist tot. Der Prototyp des neu entwickelten Flugzeuges war in der Nähe von Dresden abgestürzt.
Das war schon ein mächtiger Schock, den wir da gekriegt haben. Dass wir die nächste Maschine fliegen sollten, das war eigentlich gar nicht so der Vordergrund. Wir haben uns gefragt: 'Mensch, wie konnte das passieren?'
Zum Zeitpunkt der Katastrophe befindet sich Gerhard Güttel in der Sowjetunion und erwirbt eine Flug-Lizenz für Düsenmaschinen. Mit der Lizenz in der Tasche reisen er und seine Mitstreiter zunächst zurück nach Moskau, um dann von dort nach Hause zu fliegen. In Moskau werden sie in der DDR-Botschaft empfangen. Sie erfahren, dass der Prototyp der "152" abgestürzt ist und sie sich schon mit dem Gedanken vertraut machen sollen, dass sie die nächste "152" fliegen müssen. Schon von klein auf hatte sich Gerhard Güttel für das Fliegen begeistert.
Den Ausschlag hat die Segelfliegerausbildung gegeben. Es war ein wunderschönes Gefühl, dort oben in der Luft zu sein. Und plötzlich war der Wunsch da, Pilot zu werden.
1954 schlägt Gerhard Güttels große Stunde. Als Pilot soll er am Aufbau der Flugzeugindustrie in der DDR mitwirken. Walter Ulbricht hat den Flugzeugbau zur Chefsache erklärt. Geld spielt keine Rolle. In kürzester Zeit soll die DDR nicht nur den eigenen Bedarf an Verkehrsflugzeugen decken, sondern auch 60 Prozent des Bedarfs der UdSSR. Die Genossen in Moskau unterstützen Ulbrichts Pläne. Nach acht Jahren Zwangsaufenthalt schicken sie eine Gruppe deutscher Spezialisten um den Flugzeugkonstrukteur Brunolf Baade in die Heimat zurück. Hier sollen sie das erste deutsche Passagierflugzeug mit Düsenantrieb bauen – die "152". In der Nähe von Dresden entstehen dafür die ersten Produktionshallen.
Dieses Gefühl, dass da was Großes gebaut wurde, war in uns allen. Das hat alle beflügelt, sich dort auch restlos einzusetzen. Kein Feierabend. [...] Das war schon begeisternd.
Während im Entwicklungswerk die "152" entsteht, arbeitet Gerhard Güttel im Serienwerk nebenan. Dort werden sowjetische Flugzeuge gebaut, die er als Pilot testen soll. Um eine Fluglizenz für die Iljuschin-14 zu erwerben, wird er von seinen Kollegen nach Moskau geschickt.
Ich habe beim ersten Mal in Moskau zugenommen bis auf 95 Kilo. Früh gab’s das Frühstück, um zehn gab’s das zweite Frühstück - das war eine halbe Gänsekeule. Dann gab’s das Mittagessen um drei. So sind wir gefüttert worden.
Der "hallenfertige" Flieger
Zum Zeitpunkt seiner Rückkehr ist die Entwicklung der "152" bereits weit fortgeschritten, jedoch nicht weit genug. Um den neuen Düsenjet am 30. April 1958 fristgerecht der Öffentlichkeit vorstellen zu können, erfinden die Konstrukteure den Begriff "hallenfertig". Denn die "152" hat zu dem Zeitpunkt noch gar keine Triebwerke. Als sie ein Jahr später fertig ist und prompt abstürzt, ist das für alle unfassbar. Doch gerade die Flugzeugbauer wollen deswegen noch lange nicht aufgeben. Sie bauen eine weitere "152". Am 26. August 1960 sitzt der Pilot Gerhard Güttel am Steuer der neuen Versuchsmaschine.
Ein Angstgefühl kann man sich gar nicht leisten. Da kann man die Messungen nicht machen, weil man nicht die Ruhe hätte. Wir wurden wahrscheinlich ausgesucht, weil wir dafür auch die richtigen Typen waren. Ruhige Typen, die die Ruhe behalten, wenn irgendwas eintritt.
Gerhard Güttels Flug mit der "152" dauert exakt 22 Minuten. Probleme gibt es keine. Als er seinen Flug beendet und aus der Maschine steigt, klatschten alle auf einmal. Gerhard Güttel genießt den Beifall und fliegt einige Tage später ein zweites Mal. Es bleibt sein letzter Flug mit einer "152". Der Grund: Niemand will die Maschine kaufen! Entgegen allen Versprechungen, ist die Sowjetunion als wichtigster Kunde abgesprungen. 1961 wird der Passagier-Flugzeugbau in der DDR eingestellt.
Da bricht erst einmal eine Welt zusammen. Was machen wir denn jetzt? Was wird denn überhaupt? Wer hat denn noch Arbeit? Was wird denn jetzt kommen?
Gerhard Güttel bleibt in Dresden – dort wo die legendäre "152" entwickelt worden ist. Bis 1970 arbeitet er weiter als Testpilot. Die Leidenschaft fürs Fliegen ist ihm geblieben. Bis zur Rente 1988 ist er Abteilungsleiter in der Technischen Kontrollorganisation in der Flugwerft. 2019 stirbt Gerhard Güttel im Alter von 95 Jahren.