Revolutionäres Flugzeug aus Dresden DDR-Luftfahrtgeschichte: Verheimlichter Absturz des Düsenjets 152
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04. März 2024, 05:00 Uhr
Das erste deutsche Verkehrsflugzeug mit Düsenantrieb kam aus dem Osten und war einst das modernste Passagierflugzeug. Das in Dresden gebaute Düsenflugzeug 152 - prestigeträchtig sollte es sein, der DDR-Luftfahrt zum Aufschwung verhelfen und natürlich "den großen Bruder" Sowjetunion beeindrucken. Am 4. Dezember 1958 hob das Flugzeug zum Jungfernflug ab. Nur ein paar Monate später, am 4. März 1959, kam es zur Katastrophe, deren Ursache jahrzehntelang für die Öffentlichkeit verborgen waren.
Die 152, ein Düsenflugzeug, war das erste überhaupt, das seit Junkers, Messerschmidt und Co in Deutschland nach dem Krieg gebaut wurde. Man hatte 1954 in Dresden begonnen, eine volkseigene Flugzeugindustrie aus dem Boden zu stampfen. Die letzten deutschen Flugzeugspezialisten, die nach Russland deportiert worden waren, kamen damals zurück. Die DDR hoffte, mit diesen Spezialisten die Volkswirtschaft ankurbeln zu können - mit Düsenjets aus DDR-Produktion.
Der Weg zum Jungfernflug 1958
Die Zeichen dafür schienen günstig. Sowjetische Militäreinheiten hatten im Oktober 1946 alles, was man zum Flugzeugbau brauchte, deportiert - gen Osten: Angestellte und Angehörige der Junkerswerke, sowie Technik - Heizkraftwerk, Windkanäle, Mobiliar und Lagerbestände. Unter ihnen auch Brunolf Baade, der von 1936 bis 1945 Konstrukteur in den Dessauer Junkerswerken war. 1952 wurde die Zusammenarbeit mit den deutschen Wissenschaftlern beendet. Baade kehrte zurück und entwickelte nun für die DDR in Dresden Düsenflugzeuge. Noch im selben Jahr richtete das Zentralkomitee verdeckt die Verwaltung eines „Sektors Luftfahrzeugbau“ ein und begann mit der Planung des Aufbaus einer DDR-Luftfahrtindustrie. Jegliche Vorhaben und Pläne einer fortgesetzten Zusammenarbeit zwischen sowjetischen und DDR-Luftfahrtspezialisten wurden spätestens nach dem 17. Juni 1953 auf Eis gelegt. Die DDR musste nun aus eigener Kraft den Wiederaufbau der Luftfahrtindustrie bewerkstelligen.
Am 1. Mai 1958 soll der erste Düsenflieger der DDR präsentiert werden. Doch Baade und sein Team kämpfen gegen Windmühlen: Zum einen fehlt Material, das nur unregelmäßig aus der Sowjetunion geliefert wird, zum anderen behindern Sabotageakte wie falsch eingebaute Schrauben, beschädigte Turbinen und Diebstahl die Arbeiten. Erst am 4. Dezember 1958 - nach vier Jahren Bauzeit - ist die 152 fertig: Ihr erster Flug dauert 35 Minuten.
Der, nach dem Vorbild des sowjetischen Bombers 150 gebaute, Düsenjet sollte 24 (später bis zu 72) Passagiere mit knapp 750 km/h über eine Entfernungen von 2.500 km befördern können. Er war ein Prestigeprojekt der jungen DDR. Noch vor dem ersten Testflug erschien eine Briefmarke, auf der das Flugzeug abgebildet war und für Bastler gab es ein Modell aus Plastik.
Düsenjet 152 soll Chruschtschow beeindrucken
Nun hätte der erhoffte wirtschaftliche Aufschwung der jungen Republik durch den hauseigenen Düsenjet kommen können. Allein – es fehlen die Aufträge vom "großen Bruder“ aus Moskau. Doch Moskau schweigt. So setzt man in Ost-Berlin auf einen Befreiungsschlag: Chruschtschow soll 1959 zur Leipziger Frühjahrsmesse den neuartigen Flieger am Himmel sehen. Beim geplannten Überflug um 15 Uhr soll die Besatzung der 152 live "brüderliche Kampfesgrüße" funken. So soll der DDR-Düsenjet die eigentlich zugesagten Geschäfte mit Moskau neu anschieben.
Zeitnot schlägt Sicherheitsmaßnahmen
Am 4. März 1959 rollt in Dresden die 152 aufs Feld, allerdings ohne vorherige Abnahme durch den "Flugzeug-TÜV", die Prüfstelle für Luftgeräte, denn die Zeit war knapp geworden. Johannes Barz, damals Leiter der Prüfstelle, erinnert sich später an seine Reaktion:
Wer hat die denn überhaupt freigegeben? Wer hat das gemacht und warum weiß ich denn nichts?
Doch nicht nur die Prüfstelle wurde aus Zeitdruck übergangen, auch das sonst übliche Prozedere, ein Testflug zur Messung der Flugeigenschaften, wird an jenem Tag ausgesetzt. Zudem hatte Baade den Piloten überredet, schneller und höher zu fliegen als erlaubt, sowie im Tiefflug den Flughafen Dresden-Klotzsche für Fotoaufnahmen zu überfliegen.
Verschwörungstheorien um Sabotage des DDR-Jets 152
Um 12:55 Uhr hebt das Flugzeug ab, ein Bilderbuchstart trotz schlechten Wetters. An Bord: Die Piloten des Erstfluges, Willi Lehmann und Kurt Bemme sowie Bordingenieur Paul Heerling und Versuchsingenieur Georg Eismann. Als das Flugzeug aus 6.000 Meter auf Sinkflug geht, stürzt das Flugzeug über Ottendorf-Okrilla ab. Nach 20 Minuten ist die Feuerwehr an der Absturzstelle. Zu retten ist nichts und niemand mehr, alle vier Insassen sind tot. Fachleute der Flugzeugwerke kämmen die Trümmer durch, um nach Veränderungen an Bauteilen zu fahnden, die vor dem Absturz erfolgt sein könnten. Doch die Spekulationen über Sabotage von Bauteilen bewahrheiten sich nicht.
Unter Verschluss: Die Analyse der Absturzursache
Die wahren Gründe für den Absturz sind banal – die Piloten zu unerfahren für einen Schauflug mit dem Düsenflugzeug, durch den rasanten Sinkflug wird der Tank beschädigt, der Schub durch die Turbinen erfolgt zu spät. Die Öffentlichkeit erfährt das nicht - der Untersuchungsbericht bleibt fast 40 Jahre unter Verschluss! Zur Rechenschaft gezogen wird niemand.
Der erhoffte Wirtschaftsaufschwung dank Düsenjets "made in GDR" bleibt ein Traum – Moskau ordert nicht, sondern schickt eigene Flieger in die Lüfte. In Dresden wird weitergebaut und 16 Monate nach dem Absturz rollt ein neues Modell aus Dresden, die V4, auf die Startbahn. Trotz Flugfähigkeit sorgen bei Bodentests Probleme mit der Kraftstoffanlage für den Entzug der Flugerlaubnis aller 152-Flugzeuge. Das Flugzeugentwicklungs-Programm wird am 28. Februar 1961 endgültig eingestellt. Alle bereits gefertigten Flugzeuge müssen zerstört werden und den beteiligten Betrieben der DDR-Luftfahrtindustrie werden neuen Aufgaben zugewiesen.
Dieser Artikel erschien erstmals im November 2016 und wurde um ein paar Informationen ergänzt.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Umschau: Baade 152 | 27. Februar 2019 | 01:40 Uhr