Flugsport in der DDR: "Jedes Jahr war das MfS da" Deutschlands älteste Fluglehrerin über das Fliegen in der DDR
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15. November 2021, 11:22 Uhr
Mit 81 Jahren sitzt Pilotin Ursula Wötzel aus Jena nach wie vor am Steuer ihrer Maschine. Statt Kaffeekränzchen gibt es bei ihr Headset und Höhenmeter. Auf dem Sitz ihres Motorseglers hat die wohl älteste Fluglehrerin Deutschlands so einiges erlebt. Dabei kann "Uschi", wie sie von den meisten gerufen wird, von Fluchtversuchen bei Meisterschaften, der Überwachung durch die Stasi und den Anfängen als Frau im männerdominierten Flugsport berichten.
Als Pilotin oder Pilot die DDR aus der Luft zu erkunden, ist fast nur über eine Mitgliedschaft in der "Gesellschaft für Sport und Technik" (GST) möglich gewesen. Die vormilitärische Ausbildung in der Massenorganisation sollte junge DDR-Bürger für eine Laufbahn in der NVA begeistern. Für nur 10 Mark konnten sie kostengünstig Sportarten wie Fallschirmspringen oder Segelfliegen ausprobieren.
Frauen im Flugsport in der DDR
Auch die 1940 geborene Ursula Wötzel (geb. Heinicke) aus Jena gehörte zu den Jugendlichen, die ihre Wochenenden auf dem Flugplatz verbrachten. Zu ihrer Leidenschaft kam sie über einen Freund, der zum Umzug am Tag der Arbeit mit seinem Segelflieger über der Stadt kreiste. Einen Tag darauf besuchte Uschi selbst den Flugplatz und übte bereits ihre ersten Starts. Doch gerade die Anfangszeit war nicht leicht. Frauen und Mädchen auf dem Flugplatz? Auch wenn es das schon gegeben hatte, war es ungewohnt. So auch in Jena:
Es gab auch welche, die gesagt haben: 'Warum kommst du auf den Flugplatz? Wir brauchen keine Mädchen'.
"Doch mit der Zeit hat sich das gegeben", so Uschi. Aus dem Segelflug wurde mehr als nur ein Hobby und so ist sie zum Stammgast auf dem Flugplatze geworden. Auch ihre sportlichen Erfolge ließen Skeptiker und Sprücheklopfer allmählich verstummen.
Mein Mann und ich, damals waren wir noch nicht liiert, sind beide als Piloten bei einem Wettkampf angekommen. Da gab es so Bemerkungen wie: 'Was willst du blindes Huhn denn hier?'.
Von wegen blindes Huhn - 1964 flog sie bei einem Wettkampf als erste Frau in der DDR eine Strecke von 300 Kilometern und stellte damit den ersten DDR-Rekord für Frauen auf. Unlängst nach diesem Rekord wurden fünfzehn junge Pilotinnen zu einem Vergleichsfliegen nach Schönhagen bei Berlin eingeladen. Mit den drei Siegerinnen gründete die DDR 1965 ihre erste eigene Frauen-Nationalmannschaft im Flugsport. Gemeinsam mit Irmgard Morgner und Monika Warstat (geb. Gribat) vertrat Ursula Wötzel die DDR seitdem bei internationalen Meisterschaften. Da es nicht genügend Geld für eine unabhängige Förderung gab, wurden die Frauen an das Training der Männer-Nationalmannschaft angedockt.
Republikflucht: Mit dem Flieger über die Grenze
Bei einer Meisterschaft war es auch, als ein Pilot kurzer Hand entschied nach Westdeutschland zu fliegen. "Mit einmal fehlte ein Pilot. Und wir haben gedacht, es wäre etwas passiert und haben ihn gesucht", so Wötzel. Später erfuhr sie, dass er den für den Wettkampf genehmigten Luftraum verlassen hatte und in Richtung Westen abgedreht ist.
Einen Tag später hat es jemand im Radio gehört, auf dem Bayerischen, dass er in den Westen gegangen ist.
Insgesamt gelang es drei Segelfliegern und acht Motorfliegern der GST die DDR auf dem Luftweg zu verlassen. Die Republikfluchten führten dazu, dass der Flugbetrieb in der DDR immer strenger von der Stasi bewacht und kontrolliert wurde. Zu groß war die Angst des DDR-Regimes vor der Blamage im kapitalistischen Ausland. "Immer wenn jemand in den Westen geflogen war, war das für alle anderen schwierig", erinnert sich Uschi. Nur wenigen GST-Piloten war es ab 1979 erlaubt zu starten. Die umfassende Jugendförderung wurde heruntergefahren, die Hälfte aller Flugplätze mussten schließen und die übrig gebliebenen Schulen sollten sich auf die Ausbildung des linientreuen NVA-Nachwuchses konzentrieren. Jedes Jahr wurden die Fluglehrer und Fluglehrerinnen erneut von der Stasi durchleuchtet und jedes Mal bangte Ursula Wötzel um ihre Genehmigung.
Mein Mann und ich hatten beide Schwierigkeiten, weil ich eine Schwester und einen Vater im Westen hatte und wir mussten jedes Jahr immer bestätigt werden.
Da sie Westverwandtschaft hatte, hätte sie laut Protokoll nicht fliegen dürfen. Zu ihrem Glück setzte sich ihr Flugplatzchef, der sie schon als junge Frau gefördert hatte, für sie ein. Nur durch seine Bürgschaft war es für Uschi möglich weiter als Fluglehrerin zu arbeiten. Ihre Zuverlässigkeitsbescheinigung bekam sie daher jährlich ausgestellt. Über eine Flucht nachgedacht hatte sie ohnehin nie.
Der Gedanke kam uns eigentlich nicht. Ich muss ehrlich sagen: Ich hab eine gute Ausbildung gemacht, ich hatte einen Lehrerberuf, wir hatten unsere Wohnung, wir hatten die Fliegerei ...
Ursula Wötzel: Die älteste Fluglehrerin Deutschlands
Bis heute fliegt Uschi wöchentlich mit ihrem Motorsegler über Thüringen und bewundert die Landschaft aus der Luft. Ihre Heimat ist nach wie vor der Flugplatz. Gemeinsam mit ihrem Mann und ihrer Tochter fühlt sich die Seniorin bei Höhe und Geschwindigkeit am wohlsten. Aufhören? Das kommt für Uschi nicht infrage. Solang es geht und sie die Tauglichkeitsprüfung besteht, will sie weitermachen. Wie sie selbst sagt: "Die meisten Leute stehen früh auf, gehen einkaufen, kochen Mittagessen, trinken Kaffee und machen einen Spaziergang. Das ist nicht das Leben, das ich führen möchte".