Erinnerungen 520 Stiere an Deck der MS Dresden
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18. Mai 2011, 15:49 Uhr
Tiere an Bord - keine Seltenheit bei der Seefahrt, aber die 520 Stiere an Deck der MS "Dresden" waren schon eine Sensation. Einer der Bullen blieb sogar auf dem Schiff. Gerd Tretbar erinnert sich an den "Stierkampf".
1965, die MS "Dresden" war auf dem Weg von Indien zurück nach Rostock. In Port Sudan, kurz vor dem Suezkanal, nahm der DDR-Frachter 520 Stiere an Bord. Sie sollten bis Ägypten gebracht werden. Das bedeutete, dass die Tiere zwei bis drei Tage an Bord bleiben würden. Da wurde kein großer Aufwand betrieben, sie standen einfach an Deck. Die Matrosen mussten sich zwischen den Tieren durchschlängeln, wenn sie das Essen in die Offiziersmesse zu bringen hatten.
Blinder Passagier im Windenhaus
Einige Tiere starben allerdings durch die Strapazen der Seereise und wurden "außenbords" entsorgt. "Man konnte die Haie sogar hören, als sie sich über die Kadaver hermachten", erinnert sich Gerd Tretbar. Er war damals technischer Offizier auf der "Dresden". Vor Port Suez wurden die Stiere dann wieder entladen, und die "Dresden" stach wieder in See. Am nächsten Tag kam ein aufgeregter Offizier zur Wache. Er hatte das Windenhaus geöffnet, aus dem ihn zwei blutunterlaufene Augen anstarrten, die zu einem wütenden Stier gehörten. Das aufgebrachte Tier wurde erst mal aus dem Windenhaus befreit und durfte nun an Deck herumtoben. Die Matrosen, dankbar für jede Abwechslung an Bord, übten sich im Stierkampf, wedelten dem Tier mit roten Tüchern vor der Nase herum.
Notschlachtung an Bord
Jetzt wurde nach Rostock an die Reederei telegrafiert: "Stier an Bord, was soll damit geschehen?" Die knappe Antwort aus Rostock lautete: "Vernichten!" Über das "Wie" gab es keine Anweisungen. Ihn außenbords zu entsorgen, dafür war der quicklebendige Stier dann doch zu schade. Dass einige Matrosen den Bullen absichtlich -zur Ergänzung der Lebensmittelreserven (denn unsere Fleischvorräte waren bereits aufgebraucht und die Reise noch lange nicht zu Ende) - versteckt hatten, darüber sprach man an Bord lieber nicht. Ein bisschen leid tat es dann doch allen, als der Stier geschlachtet wurde. Später fand diese wahre Geschichte sogar noch Eingang in die DDR-Fernsehserie "Zur See", die 1977 entstand.