Mangel ... macht erfinderisch!
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16. Februar 2010, 11:55 Uhr
Nicht nur Not, auch Mangel macht erfinderisch. Das Mangelreich DDR war ein Land der Tüftler und Erfinder – privat und im sozialistischen Wettbewerb.
Heinrich Mauersberger war ein Mann ganz nach dem Geschmack von SED-Chef Walter Ulbricht: Ein Arbeiter, der sich auch nach Feierabend noch Gedanken darüber macht, wie die Produktivität in seinem Betrieb zu steigern sei. 1947 hatte der Färbereitechniker Mauersberger die kühne Idee gehabt, Textilien nicht wie bisher mit Webtechnik, sondern mittels Nähtechnik herzustellen. In seinem Schlafzimmer bastelte er zwei Jahre lang am Urmodell der Nähwirktechnik und nannte es "Malimo" (Mauersberger Limbach-Oberfrohna). Der Vorteil seiner Erfindung: Die Wolle musste nicht erst zu Garn gesponnen, sondern konnte sofort genäht werden. Das ging zwanzigmal schneller als das herkömmliche Weben oder Stricken.
Walter Ulbricht war begeistert
Zunächst gab es einige Vorbehalte gegen Mauersbergers Technik, aber Walter Ulbricht war von ihr begeistert. Und das war der Durchbruch. 1957 ging "Malimo" in Serienfertigung und trat nur wenige Jahre später seinen Siegeszug durch die Welt an – in mehr als achtzig Länder verkaufte Mauersberger sein Patent. "Der Meister sprach von Malimo, denn Malimo hat Weltniveau!", warb das DDR-Fernsehen damals.
Die DDR – Land der Tüftler und Erfinder
Auch wenn natürlich nicht alle Erfindungen derart spektakulär und erfolgreich waren wie Mauersbergers "Malimo" – die DDR war ein Land der Bastler, Tüftler und Erfinder. Not macht erfinderisch, heißt es gemeinhin, und auf die Verhältnisse in der DDR abgewandelt, könnte es heißen: Mangel macht erfinderisch. So mag es vielleicht nicht verwundern, dass 1990 in der DDR mehr als 130.000 Patente angemeldet waren, in der dreimal so großen Bundesrepublik hingegen nur 70.000.
Erfinder im "sozialistischen Wettbewerb"
Von Anbeginn versuchten Staat und Partei, die kreativen Potentiale der Menschen zu fördern und wo nur irgend möglich auch für die Wirtschaft nutzbar zu machen. "Neuererbewegung" nannte man das seit dem Jahr 1951. Arbeiter, Angestellte und Bauern wurden aufgerufen, Verbesserungsvorschläge, die zu einer höheren Produktivität, zu freundlicheren Arbeitsbedingungen oder zur Materialeinsparung führen, einzureichen. Die mitunter bis zur Patentreife weiterentwickelten Verbesserungsvorschläge wurden von den Betrieben und Kombinaten großzügig prämiert und galten als Teil des "sozialistischen Wettbewerbs".
"Tempo Erbsen und Kuko-Reis"
Die "Neuererbewegung" war aber keineswegs auf Industriebetriebe oder Landwirtschaft beschränkt. Mitte der 1960er-Jahre erging etwa an den Ernährungswissenschaftler Peter Kretschmer die Order der Staatsmacht: "Verkürzen Sie unseren Frauen die Zeit in der Küche!" Kretschmer machte sich an die Arbeit und erfand Produkte, die fortan in keinem DDR-Haushalt fehlten: "Tempo Erbsen" und "Kuko Reis" – Fertigprodukte gewissermaßen, die nur kurz aufgekocht werden mussten. Und weil die DDR kein Geld hatte, um Kaugummi zu importieren, erfand Kretschmer Anfang der 1970er-Jahre auch noch einen Kaugummi mit künstlichen Aromastoffen. In den Läden gab es jetzt Kaugummi wie im Westen, und der Staat musste keine Devisen dafür berappen.
Erfindungsgeist und Improvisationstalent
Die Tüftler und Bastler der DDR lebten sich vor allem in ihrer Freizeit aus. Es gab eigentlich nichts, was hier nicht erfunden oder wenigstens nachempfunden worden wäre, um der Mangelwirtschaft ein Schnippchen zu schlagen. Das begann mit der Konstruktion von Antennenanlagen, um einen ungetrübten Westempfang zu haben, und reichte über den Bau von Radioapparaten und Oszillographenfernsehern, bis hin zu Textilien, Fahrrädern, Autoersatzteilen und Küchengeräten. Dabei gelangen den Freizeit-Tüftlern ein ums andere Mal innovative Erfindungen: der kleinste Multifunktionstraktor der Welt, ein Tauchgerät, das ohne Druckluftflaschen auskommt und ein Autodachzelt, das sich binnen 55 Sekunden aufklappen lässt und noch heute zuverlässig seinen Dienst verrichtet.
Reich ist kein Erfinder geworden
Reich ist in der DDR kaum einer der Erfinder geworden. Auch Heinrich Mauersberger nicht. Wieviel die DDR am Export seiner "Malimo"-Maschinen verdiente, war "streng geheim", er hat es nie erfahren. Mauersberger lebte von einer kleinen Ehrenpension, die ihm der Ministerrat der DDR gewährte.