Interview mit Historiker Dr. Jens Schöne Landwirtschaft in der DDR: Verfall in den 1980er-Jahren
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29. Januar 2021, 20:30 Uhr
Die Landwirtschaft in der DDR galt als erfolgsversprechend. Hecken, Feldwege, Tümpel, Bäume und sogar Hügel wurden beseitigt, um große zusammenhängende Felder zu schaffen. Die weiten Flure prägen die Landwirtschaft im Osten bis heute. Sie sind das Resultat der Kollektivierung in der DDR. Doch das System kam 1980 an seine Grenzen und der Verfall der Landwirtschaft begann. Ein Interview mit Historiker Dr. Jens Schöne über den Niedergang der Landwirtschaft.
Herr Schöne, wie waren die Voraussetzungen für die ostdeutsche Landwirtschaft nach dem II. Weltkrieg?
Die Ausgangslage war hochgradig schwierig – die Böden waren erschöpft, die Felder vermint, viele Personen auf der Flucht. Niemand wusste, wie es weitergeht – insofern war die Situation auf der einen Seite sehr offen, auf der anderen Seite aber sehr, sehr schwierig und es gab eine ganze Menge, was es zu klären galt.
Inwiefern war in der Folge die Agrarpolitik beim Aufbau der DDR immer (auch) eine ideologische Frage?
Natürlich war die Agrarpolitik immer eine ökonomische Frage, aber typisch für die DDR ist, dass sie auch eine ideologische Frage war. Es gab zwei Bezugsgrößen: das Eine war die Entwicklung in der Sowjetunion und das Andere waren die grundlegenden Ideen des Marximus-Leninismus – also es war klar, unabhängig von allen ökonomischen Bedingungen, dass es in der DDR irgendwann eine kollektivierte Landwirtschaft geben würde und das kam eben mehr aus der Ideologie als aus der Ökonomie.
Die SED verstand sich zwar als Avantgarde der Arbeiter und Bauern, wollte die Zweiteren aber letztlich an die Vorgaben der Ideologie anpassen.
Wie verlief auf dieser Grundlage die Entwicklung der DDR-Landwirtschaft?
Es fällt auf, dass es dabei Phasen gab, die sich in etwa auf jeweils ein Jahrzehnt beziehen. In den 40er Jahren gab es die Bodenreform, in den 50ern folgte die Kollektivierung, die 60er brachten eine Industrialisierung und die 70er eine Spezialisierung und dann kamen die 80er, in denen verschiedene Fehlentwicklungen, die es gab, zusammenliefen und eine Art Niedergang begann.
Welche Besonderheiten prägten das DDR-Agrarwesen dabei?
Angestrebt wurde einerseits eine Großflächigkeit und andererseits sollten, neben der autarken Versorgung der eigenen Bevölkerung, möglichst Devisen erwirtschaftet werden – und je schlechter es der DDR ging, in den 80er Jahren, umso mehr musste exportiert werden. Dazu kam im Zuge der Spezialisierung eine Trennung von Tier- und Pflanzenproduktion, die es nirgendwo anders gab.
Dr. Jens Schöne wurde 1970 in Staßfurt in Sachsen-Anhalt geboren. Er ist Historiker, Leiter der Abteilung Historisch-politische Bildung und Stellvertreter des Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur im Land Berlin an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Sein Arbeitsschwerpunkt ist die Geschichte der DDR und des geteilten Berlins und die Deutsche Agrargeschichte des 20. Jahrhunderts. Seit 2019 ist Dr. Jens Schöne assoziierter Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neueste und Zeitgeschichte der HU Berlin.
Wie erfolgreich waren die Bemühungen letzten Endes?
Insgesamt gab es über die gut 40 Jahre DDR hinweg schon einen Aufwuchs – die Produktionsziffern stiegen, allerdings weitaus weniger deutlich als etwa in der Bundesrepublik. Also der Produktivitätsrückstand zum anderen Deutschland wurde mit den Jahren immer größer. Es gab zwar Betriebe in der DDR, die auf Weltmarktniveau arbeiteten, aber spätestens in den 80er Jahren waren dann Stagnation und Verfall deutlich zu sehen und die Produktionsziffern brechen ein – durch fehlende Innovationen, Renovierungsarbeiten und Ähnliches. Das hatte weniger damit zu tun, dass die Leute vor Ort nicht ordentlich gearbeitet hätten, sondern mehr mit einer insgesamt verfehlten Industriepolitik – die sich konzentrierte auf die Mikroelektronik und den Wohnungsbau und dafür alles andere vernachlässigte und gerade in der Landwirtschaft merkte man dann sehr deutlich die negativen Folgen davon.
Inwiefern war der chronische Arbeitskräftemangel der DDR auch für die Landwirtschaft ein Dauerthema?
Darunter hat sie dauerhaft gelitten – gerade auch weil eben durch den Wohnungsbau in den Städten attraktive Alternativen entstanden. Von daher war der Hunger nach Arbeitskräften in der Landwirtschaft sehr groß und einen Teil dieses Bedarfs hat man versucht aufzufangen durch Erntehelfer, die aus den verschiedensten Bevölkerungsgruppen kommen konnten – da waren Studenten im Einsatz, Schüler oder auch Soldaten. Wie effektiv das war, ist bis heute nicht wirklich untersucht worden – das könnte man wohl auch nur am einzelnen Fall feststellen.
Wenn Sie durch die alte Bundesrepublik fahren, haben Sie vergleichsweise kleine Felder und im Osten reichen die Felder oftmals bis zum Horizont.
Hat das DDR-Agrarsystem über die Wende 1989/90 hinaus nachgewirkt und welche Folgen lassen sich ggf. heute noch erkennen?
Tatsächlich wirkt es bis heute nach – die wohl offensichtlichste Folge ist die Größe der Felder. Wenn Sie durch die alte Bundesrepublik fahren, haben Sie vergleichsweise kleine Felder und im Osten reichen die Felder oftmals bis zum Horizont. Es gab aber noch andere Folgen – es ist insbesondere viel schief gelaufen bei der Umwandlung der Produktionsgenossenschaften in privatwirtschaftliche Einrichtungen. Da gibt es bis heute viel Streit und Unruhe in den Dörfern und es ist nach wie vor geboten, sich anzuschauen, was eigentlich passiert ist in den Jahren ab 1990. Da ist noch vieles unklar und da sollten wir rangehen.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Billigfleisch und Bio-Bauern – die unbekannten Seiten der DDR-Landwirtschaft | 30. August 2020 | 22:00 Uhr