Wirtschaft Kaffee gegen Waffen

06. August 2014, 09:40 Uhr

Anfangs ging es der DDR in Afrika noch um außenpolitischen Einfluss und ideologische Ziele, durch die Wirtschaftskrise Ende der 1970er-Jahre traten mehr und mehr ökonomische Interessen in den Vordergrund.

Die komplizierte Beziehung zwischen den beiden Ländern wurde von einem einzigen DDR-Politiker praktisch im Alleingang bestimmt. "Dieser Ausnahmegenosse, der in der Hierarchie des Zentralkomitees der SED weder für Außenpolitik noch für Wirtschaft zuständig war, hatte im ersten Halbjahr 1977 die politischen Kontakte zu Afrika auf eine neue Stufe gehoben (…) und wichtige ökonomische Verträge für die DDR eingeholt." So blickt Historiker Hans-Joachim Döring auf Werner Lamberz zurück. Zur ostdeutschen Afrikapolitik war Lamberz wie die Jungfrau zum Kinde gekommen, zumal er bei außenpolitischen Themen als "fachfremd" galt. Als überzeugter Marxist begleitete er schon in der FDJ den aufstrebenden Erich Honecker und half ihm 1971 bei der Absetzung des früheren Staatschefs Walter Ulbricht. Der enge Vertraute und treue Erfüllungsgehilfe galt er schon als Honeckers "Kronprinz" und Nachfolger. Mit seiner Einstellung und seiner überzeugenden Art stieg er ins Politbüro und zum ZK-Sekretär für Agitation und Propaganda auf.

Erste Schritte der DDR-Außenpolitik

Im Dezember 1976 unternahm DDR-Außenminister Oskar Fischer eine erste Reise nach Ostafrika, um seine Verbundenheit mit Ländern wie Äthiopien, Madagaskar und Mosambik zu zeigen. Sie alle erlangten gerade ihre Unabhängigkeit von den alten Kolonialmächten und schienen sozialistische Wege einzuschlagen. Politbüromitglied Werner Lamberz folgte mit einer SED-Delegation im Februar 1977 und wollte die jungen sozialistischen Bewegungen beim Thema Propaganda unterstützen. In Somalia und Mosambik ging es zunächst um ideologische Fragen und die Einbindung der Staaten in die marxistisch-leninistische Weltbewegung. Doch die jungen Revolutionsführer suchten auch Hilfe in Sicherheitsfragen – vor allem bei der Machtsicherung. Lamberz bot zunächst nur ideellen Beistand für die "sozialistische Sache" in Afrika und begegnete allen mit einer solchen Offenheit, die letztlich auch das Bild von der DDR in den afrikanischen Staaten prägte.

Eigentlich sah Lamberz Reiseplan gar keinen Abstecher nach Äthiopien vor. Doch bei einem Propaganda-Kongress in Mosambik lud ihn der äthiopische Abgesandte nach Addis Abeba ein und Lamberz sagte spontan zu. In Äthiopien selbst überschlugen sich inzwischen die Ereignisse und Mengistu Haile Mariam konnte in einem blutigen Putsch die Macht an sich reißen. Dabei wurden nicht nur seine beiden Vorgänger getötet, sondern auch der Mann, der Lamberz ursprünglich eingeladen hatte.

Ein kleines Stück Weltpolitik

Werner Lamberz und Mengistu Haile Mariam (1977)
Werner Lamberz besucht 1977 Mengistu Haile Mariam (re.) Bildrechte: DRA

Mengistu empfing den ostdeutschen Gesandten am 11. Februar 1977 mit allen Ehren und beide kamen sich schnell näher. Der junge Revolutionsführer übernahm am selben Tag die drei wichtigsten Ämter des Landes als Staatsoberhaupt, Ministerpräsident und Oberkommandierender der Streitkräfte – Werner Lamberz war immer dabei. Da Mengistu um jeden Preis seine Macht erhalten und nicht gleich Opfer des nächsten Putsches sein wollte, brauchte er schnell politische Verbündete und Waffen. Der Gast aus der DDR kam gerade recht. Und auch Lamberz sah die Gunst der Stunde für eine sozialistische Entwicklung in Äthiopien und sagte militärischen Beistand zu. Außerdem bot sich für die DDR die einmalige Chance, als erster Staat einen Fuß in die Tür zu kriegen und ein kleines Stück "Weltpolitik" zu machen.

Hans-Joachim Döring im Interview 2 min
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2 min

DDR-Chef-Agitator Werner Lamberz organisiert 1977 Personalschutz für Mengistu Haile Mariam, den Anführer der äthiopischen Freiheitsbewegung, und begründet den guten Ruf der DDR.

Di 29.07.2014 22:05Uhr 02:13 min

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Schon am 12. Februar 1977 legte Lamberz im SED-Blatt "Neues Deutschland" die neue außenpolitische Linie fest: "Die äthiopische Revolution braucht und verdient unsere volle Solidarität und Unterstützung." Nach der Heimkehr der Delegation schien die Euphorie über die erfolgreiche Reise alles andere zu überwiegen. Die Hintergründe des Konflikts und die blutige Rolle Mengistus beim Putsch verschwammen hinter der gewonnen internationalen Bedeutung. Nur wenige Wochen später starteten vier Transportflugzeuge mit leichten Waffen und dem Ziel Addis Abeba. Dass Mengistu diese gegen die eigene Bevölkerung und gegen politische Gegner einsetzte, schien nebensächlich.

DDR-Wirtschaftskrise verdrängt ideologische Ziele

Gerade hatte die DDR gewisse politische Freiheiten gewonnen, da tauchten wirtschaftliche Zwänge auf. Mit der ersten Ölkrise 1973 explodierten die Preise für Rohstoffe, von denen die DDR stark abhängig war. Nachdem selbst die Sowjetunion ihre Lieferungen zurückschraubte, drohte der DDR spätestens ab März 1977 ein hohes Staatsdefizit. Die Wirtschaftslenker im Politbüro sahen nur einen Ausweg: noch mehr Waren exportieren, aber nur solche, die die Versorgung der eigenen Bevölkerung nicht noch verschlimmerten. Dazu gehörten auch militärische Güter und hier hatte man die neuen Freunde in Afrika im Sinn. Von nun an standen in der Afrikapolitik ökonomische Interessen über den ideologischen Zielen.

Lamberz geht auf "Kaffee-Fahrt"

Es sollte aber noch schlimmer für die SED-Spitze kommen: Die Machtbasis der SED drohte zu bröckeln. Denn die Versorgung der Bevölkerung mit Kaffee wurde immer schwieriger, weil sich die Weltmarktpreise in den 1970er-Jahren vervierfacht hatten. Der Vorschlag, den Import zu verringern und die Kaffeeproduktion in der DDR ganz einzustellen, wurde von Honecker strikt abgelehnt. Die Kaffeekrise und die Sorge um den Machterhalt ließ letzte Skrupel verschwinden: Schon im März 1977 bot der DDR-Botschafter in Addis Abeba offensiv technische und militärische Lieferungen gegen Kaffee an. Das Mengistu-Regime zeigte sich grundsätzlich bereit, zierte sich jedoch. Denn auf dem Weltmarkt bekam Äthiopien harte Dollar für sein wichtigstes Exportgut.

Aber die SED-Führung wurde im Laufe des Sommers immer ungeduldiger und hatte große Angst vor einem zweiten 17. Juni in der DDR. Man befürchtete Proteste, wenn dem Volk der Kaffee ausgehen sollte. Werner Lamberz ergriff schließlich die Initiative. Er holte sich Honeckers Erlaubnis und flog am 11. Juni 1977 mit einer Wirtschaftsdelegationen in verschiedene Kaffeeländer wie Angola, Sambia und natürlich Äthiopien. Auf seiner sogenannten "Kaffee-Fahrt" nutzte er seine guten Kontakte zu Mengistu und bot verschiedene DDR-Produkte an. Doch Mengistu stand kurz vor einem Krieg mit Somalia und brauchte vor allem eins, militärische Unterstützung. Und so handelten Lamberz und Mengistu das "Kaffeeabkommen" aus: Waffen für Kaffee oder eben "blaue gegen braune Bohnen". Für die ersten 5.000 Tonnen des "schwarzen Goldes" sicherte Lamberz umgehend Feuerwaffen im Wert von 53 Millionen Mark zu. Zusätzlich rang er Mengistu die Zusage ab, auch in den nächsten Jahren diese Größenordnung an Kaffeesäcken zu liefern.

Entwicklungshilfe oder Völkermord?

Für die DDR bedeutete der Deal mehr Engagement und eine weitreichende "Exportoffensive Süd" in Afrika. Im Laufe des Jahres 1977 besuchte eine äthiopische Delegation Ost-Berlin und auf der Leipziger Herbstmesse standen die Gäste afrikanischer Länder ganz oben auf der Prioritätenliste. Für die äthiopische Bevölkerung hingegen bedeutete das Abkommen Mord und Totschlag. Denn Mengistu setzte die Waffen nicht nur im Ogaden-Krieg gegen Somalia ein, sondern immer mehr gegen die Zivilbevölkerung. Der sogenannte "Rote Terror" forderte in den folgenden Jahren über 100.000 Todesopfer. Auf dem Höhepunkt des Ogaden-Krieges, Ende Oktober 1977, besuchte Mengistu die DDR. Vor Werner Lamberz und Erich Honecker zog er stolz Bilanz: "Dank der DDR-Hilfe war es innerhalb eines Monats möglich, 100.000 Mann der Volksmilizen auszurüsten und zu ernähren. In diesem Sinn hat die DDR wesentlichen Anteil an der revolutionären Entwicklung Äthiopiens" – und an der Tötung tausender Menschen

Letzte Reise unter neuen Vorzeichen

Die DDR hatte eigentlich einen eigenen Außenminister. Aber Werner Lamberz machte in nur einem Jahr mehr Außenpolitik als irgendein Minister der DDR. Nachdem er viele Verhandlungen ohne feste Funktion führte, reiste er im Dezember 1977 nun ganz offiziell als "Sonderbotschafter des Generalsekretärs" Erich Honecker über Libyen nach Äthiopien. Dort landete er aber nicht als Gönner, sondern vielmehr als Bittsteller von Mengistu. Denn der Warentausch hatte Schlagseite bekommen: Der Wert des gelieferten Kaffees überstieg den Wert der DDR-Exporte nach Äthiopien um Millionenbeträge. Lamberz war nun eher als Außenhändler gefragt und sollte die DDR-Schulden abbauen. Neben neuen LKW und Traktoren aus Eigenproduktion ging es aber in erster Linie um den fortgesetzten devisenfreien Kaffeebezug in die andere Richtung. Doch Mengistu hatte einerseits keinen Bedarf mehr an Fahrzeugen und Technik und andererseits kein Interesse mehr, ein Fünftel seiner Kaffeeproduktion an eine ungünstige Abmachung mit der DDR zu binden. Jetzt war auch der weltgewandte Diplomat Lamberz mit seinem Latein am Ende.

Es kam, wie es kommen musste: 1978 beendete Mengistu den Tauschhandel und erwartete zum 1. Januar 1979 nur noch harte Währung für seine Ware. Die fehlenden 60 Millionen Valuta-Mark durfte die DDR noch "liefern". Das langfristige Kaffeeabkommen, von Lamberz mühsam eingefädelt, scheiterte schon nach 14 Monaten und damit auch die aufgebaute enge Verbindung zwischen beiden Staaten. Bis zum Ende der DDR 1989 erreichten die Beziehungen nie wieder das Niveau von 1977. In dieser Zeit verschlechterte sich der Zustand des Landes zunehmend und Mengistu schlug immer stärkerer Gegenwind aus dem Volk entgegen. Ein Schicksal, das er mit Honecker teilte. Bei seinem letzten Besuch in der DDR im Mai 1989 konnte ein Putschversuch in Äthiopien gerade noch niedergeschlagen werden. Aber genau zwei Jahre später wurde auch Mengistu Haile Mariam gestürzt und ins Exil gezwungen, wo er noch heute lebt.

Der plötzliche Absturz nach dem schnellen Aufstieg

Lamberz hingegen verdiente sich Respekt und Anerkennung und das als Mann, der ursprünglich kein Außenpolitiker war, sondern lediglich aufgeschlossen und weltgewandt. Auf vielen Reisen durch die Welt holte er sich das Rüstzeug für seine Karriere in der DDR und für seinen kurzen aber markanten Auftritt in der Weltpolitik. Im Mai 1977 beschrieb er sich gegenüber Manfred Krug: "Ich bin nicht mit dem Fallschirm über dem Zentralkomitee abgesprungen. Das ist harte Arbeit gewesen. Es gibt 164 Länder auf der Erde, in 110 davon bin ich gewesen." In den 1980er-Jahren wurde DDR-Diplomaten bei ihrem Antritt in Afrika geraten, "es wie er zu machen". Mengistus Dolmetscher Girma Beshah brachte es auf den Punkt: "Lamberz war einfach derjenige, der die positiven Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern symbolisierte."

Doch sein Leben sollte auf einer weiteren Auslandsreise in Libyen ein tragisches Ende finden. Auch das aufstrebende und antiamerikanische Land unter Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi  gehörte zu den Ländern, die Lamberz bereiste. Bei seinem letzten Besuch im Dezember 1977 zeigte er nochmal all sein Fingerspitzengefühl und Verhandlungsgeschick. Er wurde von Gaddafi in seine private Jurte eingeladen und erreichte schließlich Kreditzusagen von 100 Millionen US-Dollar. Kurz nach dem Gespräch kam Werner Lamberz bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben. Die genauen Umstände sind bis heute ungeklärt. Seine außenpolitische Karriere endete so schnell, wie sie begonnen hatte.

Buchtipp Klaus Storkmann: "Geheime Solidarität - Militärbeziehungen und Militärhilfen der DDR in die 'Dritte Welt'"
erschienen: 06.2012 im Ch. Links-Verlag
Gebundene Ausgabe, 704 Seiten, 39,90 Euro, ISBN 978-3-86153-676-5