Erinnerungsstücke: 800 Dias Eine DDR-Familie in Marokko
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14. Februar 2018, 14:18 Uhr
In einer Schublade bewahren Roland und Elisabeth Schmidt aus Berlin ihren wichtigsten "Erinnerungsschatz" auf: Vier Jahre Auslandseinsatz in Marokko - gebannt auf 800 Dias in Farbe. Die schönste Zeit ihres Lebens. Die Jahre in Marokko waren für den Außenhändler und die Dolmetscherin das Kontrasprogramm zur Heimat. Und fast hätte ihnen die große Politik einen Strich durch das Abenteuer im Orient gemacht.
1973 bekommt der Außenhändler Roland Schmidt den Job seines Lebens: An der DDR-Handelsvertretung in Casablanca soll er den Handel mit dem Königreich Marokko in Schwung bringen. Seine Ehefrau Elisabeth und die Söhne, damals zwei und sechs Jahre alt, dürfen mit.
Mähdrescher und Mopeds gegen Orangen und Sardinen
Marokko ist seit Anfang der 1960er-Jahre ein wichtiger Handelspartner der DDR: Aus dem nordafrikanischen Land kommen Phosphat für die Düngemittelindustrie, Apfelsinen, Kapern und Sardinen. Im Tausch liefert die DDR Förderbänder für den Phosphatabbau, Mähdrescher und Simson-Mopeds.
Berührungsängste haben die Schmidts bei ihrer ersten Begegnung mit dem Orient nicht. Das Leben in Marokko ist eine willkommene Abwechslung zum Alltagsleben in der DDR:
Es gab keine Probleme mit Anstehen. Es war ständig alles zu haben: frisches Obst, frisches Gemüse, frisches Fleisch. Einschließlich Getränke. Cola, Fanta. Das gab es ja alles hier nicht. Das war ja für uns purer Westen.
Nur an eine Gepflogenheit müssen sich die Schmidts erst gewöhnen. In Marokko werden beim Einkaufen die Mengen und Preise verhandelt.
Familienalltag und Ausflüge
Am ersten September 1973 wird ihr Sohn Eckehard in Marokko eigeschult. An der Handelsvertretung unterrichtet eine ausgebildete Unterstufenlehrerin zwei Schüler, einer von ihnen ist "Ecki" Schmidt.
Als Händler muss Roland Schmidt durchs Land fahren und Kunden besuchen. Auf Antrag beim Botschafter darf er seine Frau und die Kinder bei seinen Fahrten mitnehmen. Angst haben sie nicht. Neugierig erkunden sie das orientalische Land vom Atlantik über den Hohen Atlas bis zur Wüste Sahara.
West-Sahara-Krise: Nur die Außenhändler dürfen bleiben
Völlig überraschend bricht Ende 1975 ihre heile Welt auseinander.
Am 6. November 1975 annektiert der marokkanische König Hassan II. die ehemals spanische Kolonie West-Sahara. Marokko hat handfeste wirtschaftliche Interessen im Blick, denn unter dem Wüstensand lagern riesige Mengen des weltweit gefragten Phosphat.
Nach einem kritischen Artikel im Zentralorgan "Neues Deutschland" bricht Marokko die diplomatischen Beziehungen zur DDR ab. Innerhalb von 72 Stunden müssen alle Diplomaten das Land verlassen. Die Außenhändler dürfen bleiben.
Mutter und Kinder müssen zurück
Trotzdem muss Elisabeth Schmidt mit den Kindern, auf Anordnung der DDR-Behörden, zurück nach Berlin fliegen. Die Familie wird auf unbestimmte Zeit auseinandergerissen.
Auf einmal hieß es packen, packen. Ihr müsst auch weg ... Und das war für mich der Schlag ins Kontor.
Einen Monat später könnten Elisabeth Schmidt die beiden Kinder zurück nach Marokko. Aber dann stellt sich heraus, dass die Lehrerin der Botschaftsschule von Casablanca in der DDR bleiben wird. Eine Hiobsbotschaft für die Schmidts, denn ohne Schulunterricht darf der älteste Sohn Eckehard nicht mit nach Marokko. Doch dann erfährt Elisabeth Schmidt, dass in Ausnahmefällen eine sogenannte Selbstunterrichtsgenehmigung vom Ministerium für Volksbildung erteilt wird.
Voller Hoffnung tippt Elisabeth Schmidt den Antrag, ihren Sohn selbst unterrichten zu dürfen, in die Schreibmaschine. Nach drei Tagen liegt die Antwort im Briefkasten. Es ist die Zusage! Doch die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam. Noch zwei Monate sitzen sie in der DDR auf gepackten Koffern, bevor es endlich zurück nach Marokko geht.
Mutter Elisabeth wird Hauslehrerin
Elisabeth Schmidt unterrichtet ihren Ältesten also selbst: Deutsch, Mathematik, Zeichnen und Musik nach den Vorgaben des DDR-Lehrplanes erst für die dritte, dann für die vierte Klasse. Am Nachmittag sind die Hausaufgaben an der Reihe. Zensuren darf die Mutter ihrem Sohn nicht geben. Damit er in die vierte Klasse versetzt werden kann, muss Eckehard einen Monat vor Schuljahresende eine Schule in der DDR besuchen.
Anfang Juni 1977 kehren die Schmidts nach vier Jahren Auslandseinsatz in die DDR zurück. Die Zeit war besonders und hat sie nachhaltig geprägt. Bis heute.
Das hat uns sehr weltoffen gemacht. Es ist immer interessant, woanders hin zu kommen. Und das hat uns beflügelt, weiterhin die Welt zu erforschen. Nicht nur geografisch, sondern eben auch intellektuell.
Über dieses Thema berichtet der MDR auch im TV: MDR ZEITREISE - das Geschichtsmagazin mit Mirko Drotschmann | 13.02.2018 | 21:15 Uhr