17. Juni 1953 Tag der deutschen Zweiheit: Der Volksaufstand als nationales Symbol
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19. Juni 2023, 11:14 Uhr
"Wir wollen freie Menschen sein!" Unter diesem Motto protestierten am 17. Juni 1953 Hunderttausende Menschen überall in der DDR. Doch ihr Aufbegehren gegen den SED-Staat wurde brutal beendet. Der 17. Juni aber war danach lange das zentrale Datum für das deutsch-deutsche Verhältnis – bis seine Bedeutung allmählich vom Zeitgeist abgetragen wurde.
Es war kein Akt schierer Verzweiflung, was sich im Juni 1953 auf den Straßen der DDR Bahn brach – auf den Fotos vom Volksaufstand des 17. Juni sind auch fröhliche Gesichter zu sehen. Ein zunächst eher spontanes Aufbegehren gegen die Politik der Staatspartei SED wuchs sich schnell aus zu dem ansteckenden Gefühl, es "denen da oben" jetzt einmal zeigen zu wollen. Dabei blieb der weitgehend gewaltlose Aufstand aber ohne einheitliches Programm und letztlich auch ohne Gesicht.
Das SED-Regime geht gestärkt aus der Krise
Als die Proteste in den ostdeutschen Städten und Ortschaften von der Sowjetarmee und der Kasernierten Volkspolizei erstickt wurden, war es nicht nur das Ende einer Auflehnung gegen den autoritären Sozialismus – mit mehreren Dutzend Toten und einigen Tausend Verhaftungen. Die vollständige Niederlage des Aufstands stabilisierte letztlich auch das vorübergehend ins Wanken geratene SED-Regime und zementierte somit langfristig die deutsche Teilung.
Der 17. Juni 1953 als "faschistischer Putschversuch"
Obwohl die SED also von dem Aufstand letztlich sogar profitierte, würdigte sie diesen in ihrer Propaganda herab und bezeichnete ihn als "faschistischen Putschversuch" oder als "versuchte Konterrevolution". Dass die Volkserhebung möglicherweise berechtigt war, wurde, zumindest öffentlich, nie wirklich diskutiert. Dementsprechend sollte auch später keine neutrale Aufarbeitung oder gar irgendeine Würdigung des Aufstands in der DDR stattfinden – wodurch ohnehin nur das bestenfalls überdeckte Legitimitätsproblem der SED-Herrschaft wieder offen zutage getreten wäre.
Auf der anderen Seite der innerdeutschen Grenze löste die Niederschlagung des Aufstands freilich einen Sturm der Entrüstung und viel Anteilnahme für die Opfer aus. Schon am Nachmittag des 17. Juni hatte Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) im Bundestag erklärt, dass seine Regierung "in innigster Verbundenheit" zu den Aufständischen stehe. Nach dem Aufstand schwor er bei einer der zahlreichen Trauerfeiern, nicht zu ruhen, "bis ganz Deutschland wieder vereint ist in Frieden und Freiheit".
Vorstoß der Arbeiterklasse oder ein Fanal für die Wiedervereinigung?
Adenauer vertrat also schnell eine nationale Perspektive auf das Geschehene, die allerdings nicht im Gegensatz zur Westorientierung "seiner" bürgerlichen Bundesrepublik stehen sollte. Seine politischen Gegner aus der SPD wie Herbert Wehner und Willy Brandt verstanden das Aufbegehren im Osten zwar auch als Fanal für eine Wiedervereinigung – sie sahen darin aber als Sozialdemokraten auch einen wichtigen Vorstoß der Arbeiterklasse, dem es aus ihrer Sicht entgegenzukommen galt.
Insofern zeigte sich durch den Aufstand vom 17. Juni besonders deutlich, wo die beiden westdeutschen Volksparteien in Sachen Deutschlandpolitik seinerzeit auseinanderlagen – vor allem im herbstlichen Wahlkampf zur Bundestagswahl 1953, die die CDU letztlich mit deutlich größerem Vorsprung vor der SPD gewann als den Urnengang vier Jahre zuvor.
Einig wurde man sich hingegen bei der zeitnahen Einführung eines gesetzlichen Feiertags am 17. Juni, die schon Anfang Juli 1953 im Bundestag beschlossen wurde. Der Vorstoß hierzu kam von der SPD. Herbert Wehner schlug die Bezeichnung "Tag der deutschen Einheit" vor. Bis zur Wiedervereinigung 1990 sollte der Tag eine wechselhafte Bedeutung haben.
Erinnerung an den Volksaufstand in der Bundesrepublik
Gerade in den ersten Jahren wurde der Feiertag noch intensiv zur Erinnerung an den Volksaufstand genutzt. Als Bundespräsident Heinrich Lübke ihn 1963 zusätzlich zum nationalen Gedenktag erklärte, sagte er: "Der Schrei nach Gerechtigkeit und Freiheit ist nicht verhallt." Jahrelang hielten Politiker aller bundesdeutschen Parteien am 17. Juni traditionell emotionale Reden an die Nation.
Besonders geprägt wurde der 17. Juni aber vom "Kuratorium Unteilbares Deutschland" (KUD) – einer überparteilichen Organisation mit nationaler Ausrichtung. Dem KUD war daran gelegen, jährlich eine "unveränderte Einmütigkeit des ganzen Volkes" zu demonstrieren. In diesem Sinne wurden unter anderem bundesweit Fackel- und Fahnenzüge organisiert, an denen Hunderttausende teilnahmen.
"Tag der Verlegenheit"
Im Verlauf der 1960er-Jahre nahm das betont nationale Prozedere am 17. Juni allmählich ab, nachdem durch den Bau der Berliner Mauer eine Wiedervereinigung in noch weitere Ferne gerückt war und besonders seit die "Neue Ostpolitik" unter Kanzler Brandt ab 1969 auf Provokationen in Richtung DDR verzichtete. Der 17. Juni war zunehmend umstritten. Aus dem feierlich-mahnenden Gedenken wurde mehr und mehr ein Vorwand für einen arbeitsfreien Tag und schließlich – durch die andauernde deutsche Teilung - ein fast schon bizarrer "Tag der Verlegenheit".
So bedurfte es 1990 keiner großen Debatten darüber, den 17. Juni als Feiertag abzuschaffen und den "Tag der Deutschen Einheit" (nun mit großem D) anlässlich der Wiedervereinigung fortan am 3. Oktober zu feiern. Der 17. Juni blieb aber Gedenktag und wird bis heute mit Veranstaltungen zur Erinnerung an den DDR-Volksaufstand begangen – eine der wenigen großen Volkserhebungen der deutschen Geschichte, die sich an einer Hand abzählen lassen.
Dieser Artikel erschien erstmals im Juni 2018 und wurde im Juni 2023 aktualisiert.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Zeitreise | Aufstand und Protest - Für welche Ideale lohnt es sich zu kämpfen | 11. Juni 2023 | 22:00 Uhr