Fake News Wie die DDR gegen den imperialistischen Kartoffelkäfer kämpfte
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14. Dezember 2020, 09:16 Uhr
Von Mai bis August 1950 befällt die DDR eine Kartoffelkäfer-Plage. Fast 20 Prozent der Anbaufläche sind mit dem Kartoffelschädling befallen. Die Versorgung mit Kartoffeln ist dadurch ernsthaft bedroht. Längst hat sich herumgesprochen, wem die DDR-Bürger die plötzliche Plage mit dem Kartoffelschädling zu verdanken haben sollen: Dahinter stecke eine Verschwörung des Westens. Amerikanische Flugzeuge, die sich angeblich außerhalb der üblichen Flugkorridore bewegen, würden Kartoffelkäfer abwerfen.
Im Nachkriegs-Alltag der jungen DDR herrscht Mangel. Lebensmittel sind rationiert und die Regierung besitzt keine Kartoffelreserve. Pflanzen für den Anbau sind ebenfalls knapp.
In dieser ohnehin kritischen Situation fallen plötzlich massenhaft Kartoffelkäfer über die Felder her und die fressen ganze Äcker kahl. Probleme mit dem gefährlichen Schädling sind allerdings schon seit dem Ersten Weltkrieg bekannt. Der "Coloradokäfer" kommt aus Amerika und breitet sich in den 1930er-Jahren in Westeuropa aus. Bereits 1936 erreicht der Schädling die deutsche Grenze und befällt während des Krieges ganz Deutschland. Waren 1949 nur sechs Prozent der Kartoffelfelder befallen, sind es im Mai 1950 fast 20 Prozent.
Mit solchen Mitteln führen die Imperialisten ihren Kampf gegen die Aufwärtsentwicklung unserer Republik. Aber die internationalen Schädlinge werden überall aufgespürt, bekämpft und vernichtet. Die Regierung traf sämtliche Maßnahmen, um gemeinsam mit der Bevölkerung diesen Anschlag abzuwehren.
Der sprunghafte Anstieg der Schädlinge beunruhigt die Bürger. Die Versorgung mit dem Hauptnahrungsmittel ist jetzt ernsthaft bedroht. Merkwürdig sind drei Fakten: Die Käfer fallen schon im Mai statt im Juli massenweise über die Felder her. Es gibt eine unglaublich große Menge an Altkäfern und im Vergleich dazu wenig Eigelege oder Larven. Zudem findet man die Schädlinge plötzlich an ungewöhnlichen Orten: In Zwickau und Aue auf dem Marktplatz oder an der Ostseeküste. Die Bevölkerung sucht nach Ursachen für die extreme Plage. Einzelnen Bauern fällt auf, dass diese Masse an Käfern auf dem eigenen Feld immer nach ungewöhnlichen Fluggeräuschen auftritt. Kann das miteinander zusammenhängen?
Die "Amikäfer"-Propaganda
Die von den Bauern beschriebenen Fluggeräusche im Zusammenhang mit dem massenhaften Käferbefall sind ein idealer Nährboden für Propaganda. Das Amt für Information der DDR-Regierung greift diese Legende auf und verbreitet die Meldung: Amerikanische Flugzeuge werfen Kartoffelkäfer ab. Sofort reagiert die Presse und berichtet am Folgetag darüber. Das "Neue Deutschland" schreibt am 16. Juni 1950:
Außerordentliche Kommission stellt fest: USA-Flugzeuge warfen große Mengen Kartoffelkäfer ab.
Es sollte noch bedrohlicher werden. Die DDR-Nachrichtenagentur meldet nur einen Tag später: "Kartoffelkäfer-Geschwader in Stärke von 45 Flugzeugen". Auch diese Nachricht wird in den Medien schnell verbreitet.
Eine ausländische Pressedelegation besuchte auf der Rundfahrt durch die DDR den Ort Schönfels im Landkreis Zwickau. Die Journalisten überzeugten sich von den Folgen des Kartoffelkäferabwurfes durch USA-Flugzeuge.
Die DDR setzt eine Regierungskommission aus Fachpolitikern und Experten ein. Agrarstaatssekretär Paul Merker, damals federführend für die Kampagne, gibt dem Kartoffelkäfer schließlich den griffigen Namen "Amikäfer". Damit ist klar, wer hinter den vermeintlichen Anschlägen steckt: Der Kriegstreiber Amerika wolle den Frieden gefährden und die junge DDR schädigen. Parallel beginnt der Koreakrieg und das bestätigt nach Ansicht der DDR-Propagandisten obendrein, dass der Kriegstreiber Amerika hinter dem perfiden Kartoffelkäfer-Anschlag steckt. Eine große Kampagne beginnt: Motiviert durch Plakate in Schaukästen, Briefmarken, Broschüren und Losungen gegen den "Amikäfer", muss die Bevölkerung jetzt raus aufs Feld und dem Schädling zu Leibe rücken. Der Dramatiker Bertolt Brecht widmet dem Kartoffelkäfer sogar ein Gedicht.
Die Amikäfer fliegen silbrig im Himmelszelt, Kartoffelkäfer fliegen in deutschem Feld.
Nur bei den Bauern fallen diese Losungen nicht auf fruchtbaren Boden. Sie proben den zivilen Ungehorsam.
Die Bauern hätten auf den Kirchtürmen ihrer Dörfer Ausschau halten sollen - die Frauen am Tag, die Männer in Nacht. Da haben Bauern gesagt: 'Ihr habt sie wohl nicht alle, wir haben was anderes zu tun, als uns die halbe Nacht auf den Kirchturm zu stellen und in die Luft zu gucken, ob da ein Flugzeug kommt.'
Kartoffelkäfer als biologische Waffe
Abwegig ist die Idee vom Kartoffelkäfer als biologische Waffe keinesfalls.
Die auch 'Colorado-Käfer' genannten gefährlichen Kartoffelschädlinge sind typische 'Dual-Threat Agents', das heißt Lebewesen, die sowohl eine natürliche Bedrohung von Mensch, Tier und oder Pflanze darstellen als auch militärisch oder terroristisch eingesetzt werden können.
Briten und Franzosen erwägen bereits im Ersten Weltkrieg den Einsatz von Kartoffelkäfern zur Vernichtung der deutschen Kartoffelernte. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nehmen die Franzosen solche Überlegungen wieder auf, was den Deutschen nach der Eroberung Frankreichs bekannt wird. 1942 berichtet ein V-Mann fälschlicherweise, die Westalliierten bereiten einen Angriff mit den Käfern vor. Hitler verbietet auf Grund dieser Falschmeldung deutsche Biokriegsvorbereitungen. Ungeachtet dessen züchtet die Wehrmacht 1943 Kartoffelkäfer und wirft sogar probeweise 14.000 Insekten über der Pfalz ab. Es bleibt bei diesem Test. Die Käfer werden im Krieg niemals eingesetzt.
Die wahren Ursachen der Käferinvasion
Bei all der Propaganda über die Anschläge vom Klassenfeind fällt eine Unstimmigkeit auf. Nirgendwo in den Unterlagen der Abteilung Pflanzenschutz des Agrarministeriums ist dieses ungeheuerliche Verbrechen vermerkt.
Das muss stutzig machen. Wenn es so ein riesiges Problem war, muss es sich ja irgendwo niederschlagen. Aber kein Wort vom Verbrechen der Amerikaner.
Mit Amerikanern hat die Kartoffelkäferplage von 1950 in Wahrheit also nichts zu tun. Der noch von Nazideutschland geschaffene "Kartoffelkäferabwehrdienst" ist nach dem Krieg weitgehend zusammengebrochen. Pflanzenschutzmittel stehen wegen der Demontage von Produktionsstätten kaum zur Verfügung. Das Wetter trägt die Hauptschuld an der plötzlichen Insektenplage: 1949 ist ein trockenes und warmes Jahr. Die Kartoffelkäfer vermehren sich sprunghaft. Schließlich führt das dann ein Jahr später, 1950, zu einer regelrechten Käferinvasion. Die DDR-Führung versucht, das zu kaschieren und macht die Amerikaner durch gezielte Propaganda für die Käferinvasion verantwortlich. Nach nur vier Monaten enden die Berichte über Kartoffelkäferabwürfe im August 1950. Im Arbeiter- und Bauern-Staat verschwindet der Kartoffelkäfer von der politischen Bühne.
Westdeutsche und Amerikaner antworten auf die DDR-Propaganda übrigens mit einer eigenen Aktion und lassen im August 1950 Pappkäfer an Ballons über der DDR abwerfen.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | SACHSENSPIEGEL | 29. Januar 2019 | 19:00 Uhr