Viererbob-Meisterschaften 1959 Bob-Katastrophe von Oberhof
Hauptinhalt
04. Januar 2016, 18:05 Uhr
Seit 1908 zog die Wadeberg-Bahn in Oberhof Bobsportler an. Die lang, steile und kurvenreiche Eisrinne war gefeiert und gefürchtet zugleich. Dann ereignete sich 1959 ein furchtbarer Unfall, als in einer der Kurven ein neues Kufen- und Lenksystem versagte. Drei Bobfahrer starben.
Vor mehr als 100 Jahren war die Wadeberg-Bobbahn in Oberhof die schnellste Bob-Bahn der Welt. Mit ihren mehr als 160 Metern Höhenunterschied, neun Prozent Gefälle und vier großen Kurven begründete sie Oberhofs Ruf als Bob-Mekka. 14 Tage lang formten Waldarbeiter mit Wasser und Schnee diese Natureisbahn. In kalten Winternächten gefror sie dann zu einer gefährlichen Eisrinne.
Wer diese Bahn beherrschen wollte, brauchte Mut und gutes Material. Die Brüder Helmut und Heinz Schuchardt aus Friedrichroda hatten beides und fuhren in den 1950er-Jahren hier von Sieg zu Sieg. "Wir sind immer vorneweg gefahren, waren immer etwas schneller als die anderen", erinnert sich Heinz Schuchardt. Die Besonderheit dieser Bahn, die das Können der Piloten forderte, war die sogenannte Schaukurve. "Das war eine riesengroße Kurve und eigentlich gut zu fahren. Aber man kam eben mit Höchstgeschwindigkeit da rein. Und die Höchstgeschwindigkeit war 140", beschreibt Heinz Schuchardt die Herausforderung.
Alle wollen gewinnen
Ende der 1950er-Jahre waren die Schuchardts beim Bobfahren das Maß aller Dinge. Die Deutschen Viererbob-Meisterschaften, die am 15. Februar 1959 auf der Wadeberg-Bobbahn ausgetragen wurden, traten die Brüder natürlich als Favoriten an. Aber sie hatten starke Konkurrenten: den ebenfalls aus Friedrichroda kommenden Heinz Allstädt und den Leipziger Siegfried Dathe. Keiner von ihnen ahnte, dass dieser Tag zum Schicksalstag für den Bobsport werden würde und dass Heinz Allstädt und zwei seiner Anschieber das Rennen nicht überleben würden.
Bob nach italienischem Rezept
Siegfried Dathe wollte endlich einmal schneller sein als die Schuchardts. Um gewinnen zu können, hatte er seinen neuen Schlitten nach dem Vorbild der schnellen italienischen Bobs gebaut. Die Pläne dafür hatten ihm Bekannte heimlich über Westdeutschland beschafft. Monatelang bauten er und sein Team in der Lehrwerkstatt des Kohlewerks in Espenhain bei Leipzig an ihrem Bob. An Material mangelte es nicht. Und so entstand ein Rennbob "mit allem Drum und Dran, etwa mit einer Vollhaube, die vorher noch gar nicht üblich war", erzählt Dathe noch heute voller Stolz. Außerdem versah er den Bob mit einem revolutionären Kufensystem mit einzeln aufgehängten Kufen. Damit sollte der Sieg gelingen.
Fatale Entscheidung
Dieses Ziel hatte natürlich auch Heinz Allstädt, der wie Dathe ebenfalls über die italienischen Pläne verfügte. Aber Allstädt ging noch einen Schritt weiter: Um die Schläge des Eises beim Lenken zu vermindern, wollte er zwischen Lenkung und Kufe eine Feder einbauen. Um das Risiko zu beurteilen, suchte er sogar den Rat von Helmut Schuchardt. Der riet ihm ab. "Mein Bruder Helmut hat zu ihm gesagt: 'Macht das nicht. Wenn du in die Kurve gehst, dehnt sich die Feder und die Kufen bleiben stehen'", erinnert sich Heinz Schuchardt. Doch Heinz Allstädt blieb davon überzeugt, dass er mit der gefederten Lenkung schneller ist und baut sie ein. Eine fatale Entscheidung.
Bestzeit!
Am 15. Februar 1959 gingen die Gebrüder Schuchardt mit ihrer Mannschaft als erste der drei Rivalen auf die Bahn. Der neue Silberpfeil, den sie im Fahrzeugwerk Waltershausen gebaut haben, erwies sich als schnell. Sie fahren die beste Zeit, die jemals auf der Wadebergbahn gefahren worden ist.
Siegfried Dathe hört auf sein Gefühl
Siegfried Dathe ging als Neunter an den Start. Weil sich im Natureis inzwischen tiefe Furchen und Eislöcher gebildet hatten, war die Bahn schwerer zu fahren. Dathe musste sich entscheiden, ob er mit dem neuen Bob oder lieber mit dem alten fahren will. Er ging auf Nummer sicher und entschied sich gegen seinen neuen Bob. Das Risiko, mit dem neuen Kufensystem in die Eislöcher zu geraten, war ihm zu groß: "Bei dem alten Bob wussten wir, der ist schnell. Wir hatten ein sehr gutes Kufenmaterial. Das Gefühl, das wir immer gebraucht haben, war da eben vorhanden. Bei dem neuen hatten wir gar keine Ahnung. Darum haben wir gesagt: 'Das Risiko gehen wir nicht ein.'" Trotzdem war Siegfried Dathe schnell. Er erreichte die zweitbeste Zeit auf der Bahn und kam mit nur wenigen Zehntelsekunden hinter den Schuchardts auf den zweiten Platz.
Allstädts Bob bricht aus
Dann kamen Heinz Allstädt und sein Team an die Reihe. Allstädt entschied sich für den neuen Bob, obwohl auch er noch keine Erfahrung damit hatte. Er wollte gewinnen. Tatsächlich war er sehr schnell. Seine Rechnung schien aufzugehen, als er auf die Schaukurve zusteuerte. Doch in der Kurve versagte das neue Kufen- und Lenkungssystem. Heinz Allstädt konnte den Bob nicht mehr in der Bahn halten. Der Bob raste über den oberen Rand hinaus, prallte im Flug gegen Bäume, die von der Wucht umknickten, und stürzte auf den Waldhang. Anschieber Otto Ritter war sofort tot. Sofort ebbte der Wettkampftrubel ab. "Da war erst einmal Ruhe, Totenstille auf der Bahn. Kein Murmeln, gar nichts", sagt Siegfried Dathe.
Trauer und Abschied
Als Siegfried Dathe an die Unfallstelle kam, versuchten die Sanitäter die anderen zu retten. Doch nur einer überlebte. Heinz Allstädt und der zweite Anschieber Werner Fuchs starben wenige Tage später. Bis heute geht Siegfried Dathe dieses Ereignis sehr nahe: "Es war ein schlimmer Tag. So etwas geht ja an die Nieren, wenn man die alten Kumpels so sieht, und dann sind sie plötzlich nicht mehr." In Friedrichroda erwiesen Hunderte Bobsportfreunde der Mannschaft von Heinz Allstädt die letzte Ehre. Die Gebrüder Schuchardt gaben nach dem Unfall das Bobfahren auf. Auf dem Wadeberg wurden Viererrennen verboten. Und der Bobsport in der DDR stand fortan in einem Schatten, aus dem er erst Anfang der 1970er-Jahre wieder hervortreten sollte.