Der Historiker Sebastian Lindner im Interview "Die Frauen wurden kriminalisiert"
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04. Februar 2022, 12:22 Uhr
Der Historiker Sebastian Lindner beschäftigt sich aktuell mit einer Forschungsarbeit über das Frauengefängnis Hoheneck. DAMALS IM OSTEN hat ihn näher dazu befragt. (Dieses Interview wurde am 07.11.2011 erstmals veröffentlicht.)
Herr Lindner, Sie arbeiten derzeit an einer Doktorarbeit über das Frauenzuchthaus Hoheneck zwischen 1950 und 1989/90. Warum ist diese Forschung notwendig?
Lindner: Es gibt eine sogenannte Erinnerungsliteratur von ehemaligen politischen Gefangenen, aber auf wissenschaftlicher Basis ist bisher noch keine umfangreiche Darstellung erfolgt. Mein Ansatz ist es auch, die gesamte Zeit von 1950 bis 1989/90 darzulegen, nicht nur die in einigen Büchern reflektierte Zeit der SMT-Gefangenen.
SMT meint die sowjetischen Militärtribunale, die ab 1945 stattfanden?
Lindner: Ganz genau. Da muss man wissen, dass die erste Generation von Gefangenen, die nach Hoheneck gekommen sind, 1.119 Frauen und 30 Kleinkinder und Babys waren, die im Februar 1950 von Sachsenhausen mit dem Zug nach Hoheneck verbracht wurden …
Als die sowjetischen Internierungslager aufgelöst wurden …
Lindner: … die ja teilweise auf dem Gelände ehemaliger Konzentrationslager eingerichtet waren. 1950 wurden diese Häftlinge, die von den Sowjets verurteilt worden waren, in die Obhut der deutschen Volkspolizei übergeben.
Hoheneck ist heute vor allem ein Synonym für politische Verfolgung von Frauen in der DDR. Wie hoch war denn der Anteil der politischen unter den Häftlingen?
Lindner: Es gab fast von Anfang an auch immer kriminelle Häftlinge in Hoheneck. Mit der ersten Generation waren es natürlich erstmal per se politische Gefangene, die durch die Sowjets verurteilt worden sind. Darunter waren auch Naziverbrecherinnen, zum Beispiel Aufseherinnen aus Ravensbrück. Wenn man die 40 Jahre Strafvollzug in Hoheneck zu Grunde legt, hat man im Schnitt ungefähr 30 Prozent politischer Gefangener.
Die SED-Führung hat immer behauptet, politische Gefangene gäbe es nicht in der DDR.
Lindner: Die offizielle Sprache war nach außen und vor allem in den Westen gerichtet, es gibt in der DDR keine politischen Gefangenen. Der Alltag war, dass es politische Gefangene gab und dass auch die Wärterinnen in Hoheneck - das zeigen z.B. die Stasi-Unterlagen - von den "politischen Gefangenen" sprachen. Tatsächlich wurden die Frauen kriminalisiert, weil man ihnen unterstellte, dass sie gegen diese Staatsform, gegen die DDR handeln würden und damit Verbrecher gegen den Staat, gegen das Volk wären. Somit würden sie rechtmäßig im Gefängnis sitzen.
In den 80er-Jahren sind vor allem Frauen kriminalisiert worden, weil sie das Verlangen hatten, das Land zu verlassen. Die Stasi hat da viel Aufwand betrieben, um diesen Menschen Verfehlungen und Gesetzesverstöße anzuhängen. Es reichte ja schon "unerlaubte Kontaktaufnahme" mit westlichen Dienststellen, um straffällig zu werden.
Bis heute ist es umstritten, ob es in Hoheneck zur besonderen Bestrafung von aufmüpfigen Gefangenen Wasserzellen gegeben hat, also dunkle Einzelzellen, in denen die Frauen stunden- oder gar tagelang bis zum Knie im kalten Wasser stehen mussten. Lässt sich das wissenschaftlich belegen?
Lindner: Auch ich habe davon gehört, dass es diese Wasserzellen gegeben haben soll. Ich drücke mich sehr vorsichtig aus, weil ich bisher in den Akten noch keinen Hinweis gefunden habe, dass es eine solche Wasserzelle gegeben hat. Mir ist aber bekannt, dass es diese "Gerüchteküche" gibt, dass es durchaus Berichte gibt, dass jemand in der Wasserzelle gewesen sei. Eine Dunkelzelle gab es, das ist unumstritten, aber die Existenz der Wasserzelle wird weiterhin von ehemaligen Bediensteten immer noch abgestritten ...
Aber von ehemaligen Gefangenen behauptet …
Lindner: Von ehemaligen Gefangenen wird das behauptet, aber auch da habe ich noch mit keiner Frau bisher sprechen können, die in Hoheneck in einer solchen Wasserzelle eingesessen hat.
In den letzten Jahren gibt es immer wieder Streit um das angemessene Gedenken in Hoheneck – die Burganlage gehört inzwischen einem Privatmann, der nicht immer so sensibel mit dem Thema Frauenzuchthaus umgegangen ist, wie sich das die Opferverbände gewünscht hätten. Was kann die Wissenschaft oder speziell Ihre Studie beitragen, um ein angemessenes Erinnern zu ermöglichen?
Lindner: Zunächst muss man sagen, es gibt bereits eine kleine Ausstellung in der Stadtbibliothek Stollberg, die sich dem Schicksal der SMT–Verurteilten widmet. Ansonsten ist es natürlich schwierig, bei so vielen Involvierten auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, der für alle erträglich ist. Die Immobilie Hoheneck ist eine riesige Anlage und die allein mit einer Gedenkstätte zu bespielen, ist aus ökonomischer Sicht völlig unmöglich. Gedenkstätten tragen sich ohnehin nicht von allein, dort muss man einen Kompromiss finden, dass der Besitzer der Immobilie als auch die Opferverbände und die Opfer vernünftig damit leben können.
Inwieweit dort eine Studie helfen kann? Man kann natürlich eine künftige Ausstellung wissenschaftlich unterfüttern. Man kann also breit die Geschichte Hohenecks abbilden und auch Bildungsarbeit leisten. Es gibt mittlerweile verschiedene Planspiele, die noch nicht ganz spruchreif sind. Gut ist zumindest, dass mittlerweile alle Parteien an einem Tisch sitzen und sich ernsthaft Gedanken darüber machen, dieses Objekt zufriedenstellend für alle tragen zu können.
Anmerkung: Die Forschungsarbeit von Sebastian Lindner an der TU Dresden wird unterstützt von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.