1956 Gründung der NVA Der Mythos Schwedt - über das Militärgefängnis der NVA
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27. Mai 2011, 16:22 Uhr
"Das kann dich nach Schwedt bringen." Wer bei der Nationalen Volksarmee war, kannte dies als wirksamste aller Drohungen. Schwedt, ein Ort nahe der polnischen Grenze und am Ende der Druschba-Öltrasse gelegen, war zum Synonym geworden für Militärgefängnis und klang nach Arbeitslager, Folter und Unmenschlichkeit.
Ein paar verfallende Gebäude, Stacheldraht und Wildwuchs – mehr ist nicht übrig vom Militärgefängnis Schwedt. Doch selbst während des fast 30-jährigen Bestehens standen auf dem Gelände nie mehr als ein paar Baracken und Wachtürme, später noch ein viergeschossiger Plattenbau. Seit 1964 saßen hier NVA-Angehörige wegen Vergehen wie Diebstahl, Körperverletzung, Befehlsverweigerung oder Alkohol im Dienst ein.
Das Wichtigste für die Armee war immer, die Kampfkraft und die Gefechtsbereitschaft zu erhalten und jegliche Störung zu unterbinden, die eben durch Disziplinlosigkeiten oder Straftaten entstehen konnten. Diesen Straftaten und Disziplinlosigkeiten wurde mit aller Macht entgegengetreten.
Nicht mehr als ein paar Baracken
In den Anfangszeiten der 1956 gegründeten DDR-Armee wurden die Aufmüpfigen und Kriminellen zunächst in das Haftarbeitslager Nitzow geschickt. Ganz optimal waren die Bedingungen für die militärische Erziehungsarbeit dort wohl nicht, denn in den 1960er-Jahren suchte die Armeespitze einen neuen Ort. Ob Zufall oder Mangel an Baustoffen, lässt sich im Nachgang schwer sagen, jedenfalls eigneten sich die leerstehenden Baracken in Schwedt als neue Strafvollzugsanstalt. Bislang hatten darin die Arbeiter der Erdölraffinerie gehaust. Mit einem Zaun darum wurde daraus nun das erste und einzige Militärgefängnis der DDR.
Ein eigentlicher "Armeeknast" war Schwedt in dieser Zeit noch nicht, denn die Verantwortlichkeit für die Baracken lag beim Ministerium des Inneren. Erst 1982 übernahm offiziell das Ministerium für Nationale Verteidigung den Standort. In dieser Zeit kam zu den Baracken auch noch ein vierstöckiger Neubau in der üblichen Plattenbauweise dazu.
Der Mythos Schwedt
Von einem Militärgericht verurteilte Soldaten und Unteroffiziere verbüßten in Schwedt bis zu sechsmonatigen Arreststrafen oder Freiheitsstrafen bis zwei Jahre. Wer sich der militärischen Disziplin in der Truppe hartnäckig widersetzte, konnte direkt vom Kommandanten für bis zu zwei Monate nach Schwedt geschickt werden - ohne Militärgericht, ohne die Rechte, die Gefangenen laut Strafgesetzbuch der DDR zu standen und deshalb teilweise mit wesentlich härteren Haftbedingungen erlebten als die regulären Militärgefangenen.
Der Mythos Schwedt besteht aus meiner Sicht darin, dass ein Abschreckungsgebilde aufgebaut wurde, was nichts mit der Wirklichkeit gemein hatte, aber eben für die Disziplinierung der Soldaten da war.
In der NVA geisterten Gerüchte über mittelalterliche Methoden herum, mit denen Gefangene bestraft und gefoltert wurden. Wer aus Schwedt zurückkam, war ein gebrochener Mann, hieß es. Tatsächlich soll in den 1960er-Jahren in Schwedt noch gefoltert worden sein. Später gab es entgegen aller Gerüchte andere Methoden, die ihre Wirkung allerdings auch nicht verfehlten. Nach dem Wecken um vier – zwei Stunden früher als in der Truppe – begann ein mit schwerer Arbeit und militärischem Drill vollgestopfter Tag. Wenig Freizeit und das allgegenwärtige Bewusstsein, zu den Ausgestoßenen zu gehören, sollte die Gefangenen zurück in Reih und Glied, in ihre Rolle als "gute Soldaten" bringen.
Im Wesentlichen haben sich diejenigen Unteroffiziere und Soldaten, die in ihre Truppe zurückkamen, sehr vorbildlich verhalten aus verschiedenen Gründen. Der Hauptgrund war: Sie wollten dort nie wieder hin.
Im April 1990 verließ im Zuge der politischen Umstürze der letzte Gefangene Schwedt. Das einzige Militärgefängnis der DDR wurde geschlossen, die Überreste verfallen. Rund 6.000 NVA-Angehörige saßen bis zum Ende der DDR ein. Viele von ihnen haben bis heute kaum über ihre Zeit in Schwedt gesprochen.
Buchtipp
Rüdiger Wenzke:
"Ab nach Schwedt! Die Geschichte des DDR-Militärstrafvollzugs"
492 Seiten,
Berlin: Links Verlag 2011,
ISBN: ISBN: 978-3-86153-638-3