"Das wird eingestampft!" Die "Umschau" unter politischer Beobachtung
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26. November 2021, 13:16 Uhr
So neu und spannend die Sendung "Umschau" in der DDR auch war: Sie stand selbstverständlich unter der Kontrolle der Politik. Lesen Sie hier, wie weit die SED bisweilen ins Programm eingriff.
Wenn Margot Honecker persönlich einen Auftrag erteilte, wurden beim Fernsehen der DDR alle Hebel in Bewegung gesetzt: Viel Geld stand zur Verfügung, alle Abteilungen wurden einbezogen. Intendant Hans Adamek betraute die "Umschau"-Redaktion 1983 mit der Federführung eines solchen Projekts.
Im Auftrag der Ministerin
"Ihr seid verrückt, aber es ist machbar!". Das entgegneten die Professoren der Akademie der Wissenschaften der DDR, als ihnen die "Umschau"-Redakteure ihre Idee präsentierten: "Wir machen so etwas wie eine Wissenschafts-Show, mit lockeren Moderationen, viel zum Gucken. Am besten mit dem Fernsehballett!"
Der Auftrag des Ministeriums für Volksbildung war eine Herausforderung. Thema dieser ersten Probesendung sollten die "bahnbrechenden Entwicklungen der DDR bei der Veredelung von Metallen sein." Wissenschaftler hatten gerade eine neue Methode entwickelt, mit der Stahl allein durch das rechtzeitige Absenken der Temperatur beim Walzvorgang erheblich fester gemacht werden konnte. Auf teure importierte Zusatzstoffe konnte man nun verzichten.
Ein Fall für das Fernsehballett
Hier war das Fernsehballett gefragt. Die Tänzer sollten Moleküle darstellen. Mit einer speziellen Choreographie sollten sie für jeden verständlich machen, welche Prozesse sich im Innern von Metallen abspielen. "Wie soll sich sonst jemand bildhaft vorstellen können, warum ein Stahl härter wird? Oder wie sich im Hochofen verschiedene Elemente zu neuen Verbindungen zusammenfügen?", argumentierten die Fernsehmacher. Das leuchtete ein. Jedes Kind musste das verstehen, denn die Sendereihe sollte später auch im Schulunterricht eingesetzt werden. Außerdem war sie für den 20:00-Uhr-Sendeplatz geplant, also in Konkurrenz zu Spielfilmen oder Fernsehshows. Da musste man sich schon etwas Besonderes einfallen lassen!
Tanz der Moleküle
"Wir haben uns da voll reingekniet", erinnert sich Manfred Vieweg, der auch einer der Moderatoren war: "Ich glaube, in vierzehn Tagen haben wir das ganze Konzept mit allem drum und dran auf die Beine gestellt. Das ist eine ganz schöne Schufterei gewesen, aber wir haben es mit Freude gemacht. Wir haben mit den Wissenschaftlern geprobt, damit sie in einer verständlichen Sprache redeten. Das Studio musste gestaltet werden. Das Ballett musste eingekleidet werden, es musste inszeniert werden. Das kostete sehr viel Geld. Für eine Wissenschaftsredaktion sonst aus dem eigenen Budget kaum bezahlbar."
Titel der Wissenschaftsshow: "Das nackte Eisen"
Ein großer Produktionsstab wurde beschäftigt, einschließlich Bühnenbildnern, Requisiteuren, Choreographen. In mehreren Stahlwerken wurden Aufnahmen gemacht. Später kombinierte man die Realbilder eines Walzvorgangs geschickt mit Ballett-Szenen, so dass dieses an sich trockene Thema unterhaltsam und verständlich wurde. Zum ersten Mal konnte jeder Zuschauer begreifen, was die Forscher der DDR eigentlich machten und warum ihre neuen Methoden so bedeutsam für die Volkswirtschaft waren. Dann war "alles im Kasten", wie Fernsehleute sagen: Ein 90-minütiges informatives Show-Programm mit dem eingängigen Titel: "Das nackte Eisen".
"Das wird eingestampft!"
Der Termin für die Vorführung bei Margot Honecker war gekommen. Sie empfing die Abordnung aus Adlershof mit einem sauren Gesicht. Ihre Mitarbeiter hatten bereits Ausschnitte gesehen und ihr mitgeteilt: "Mädchen in Glitzerkostümen werfen die Beine hoch." Drei Minuten lang schaute die Ministerin für Volksbildung das Programm an. Dann brach sie ab: "So nicht! Das wird eingestampft! Keine Moderatoren, die alles vereinfachen! Seriös und sachlich soll es sein. Deswegen geht das Ballett gar nicht. Die Wissenschaftler allein sollen vor der Kamera erzählen, was sie entwickelt haben."
Die Fernsehleute waren konsterniert: "Mit solch einer Reaktion hatten wir nicht gerechnet. Dass dies oder jenes zu kürzen oder zu ergänzen wäre - vielleicht. Es wäre wirklich einfach gewesen, wenn sie nicht nur den Auftrag ans Fernsehen gegeben, sondern gleich gesagt hätte, wie sie sich das vorstellte. Aber sie verstand nichts von Strategien, mit denen man Fernsehen wirkungsvoll machen kann. Und so wie sie es sich vorstellte, konnte man es im Abendprogramm nicht bringen. Wir haben das mit bestem Gewissen gemacht.", fasst Manfred Vieweg zusammen. So genügte ein Wort von Margot Honecker und eine aufwändig und teuer produzierte Sendung verschwand im Archiv. Nur Teile daraus konnten nach und nach in den Umschau-Magazinen untergebracht werden.
"Stell Dir vor, Genosse Honecker sitzt beim Abendbrot vor dem Fernseher und ihm wird schlecht!"
Wenn die politische Führungsriege auch nur selten persönlich Einfluss nahm, präsent war sie immer: "Wenn aus irgend welchen Gründen etwas nicht gesendet werden sollte", erinnert sich Umschau-Redakteurin Eva Mühlberg, "dann hieß es immer: 'Stell Dir vor, Genosse Honecker sitzt beim Abendbrot vor dem Fernseher und ihm wird schlecht.' Das willst du doch nicht, oder?"
Kleinigkeiten mit großer Wirkung
Oft waren es Kleinigkeiten, die bei der Chefredaktion oder bei Parteifunktionären Anstoß erregten: "Ich hab eine Rolle Aluminiumfolie auf der Landstraße ausrollen lassen. Ich wollte zeigen, wie viel kostbaren Rohstoff wir einsparen, wenn wir ein neues Verfahren zur Herstellung der Kaffee-Tüten für "Mokka-fix" anwenden. Die Firma war in Markkleeberg bei Leipzig. Also habe ich im Text geschrieben: 'Wir sparen so viel ein, wie eine Alufolie, die von Markkleeberg, bis nach San Francisco reicht.' San Francisco musste raus. Vielleicht kommt noch einer auf die Idee und will da Mal hinfahren oder so was. Ich musste es ersetzen. Da habe ich 'Tokio' geschrieben. Das liegt zwar auch in einem Land des NSW, des Nicht- Sozialistischen Wirtschaftsgebietes, aber mit den Japanern hatten wir damals bessere Beziehungen, als mit den USA. Das ging durch."
Störche politisch-korrekt auf Ostroute
Mit vollkommen harmlosen Themen erging es Redakteurin Mühlberg ähnlich: "'Die Störche haben im Herbst einen gefahrvollen Weg auf der Westroute', hab ich geschrieben. Wer denkt sich denn dabei was? Die Parteileute! Es wurde einem sofort unterstellt, es könnte politisch gedacht sein. Oder zumindest wurde befürchtet, irgendein Zuschauer könne mit der "Westroute" vielleicht eine abenteuerliche oder begehrliche Vorstellung verbinden. Also mussten die Störche die Ostroute nehmen. Da kamen sie natürlich schön behütet an."
Kritiklos in die Marktwirtschaft?
Auch nach Auflösung der DDR war die Arbeit an Magazinbeiträgen nicht frei von Einschränkungen. Der Druck kam jetzt allerdings nicht mehr von oben. Eva Mühlberg erinnert sich: "Die Redaktion selbst ließ wenig Kritik am neuen System zu. So kam zum Beispiel Arbeitslosigkeit in der Umschau bis 1992 nicht vor."
Jetzt ging es um Optimismus, darum, nach vorn zu schauen, keine Probleme zu benennen, darum, möglichst in jedem Beitrag herüber zu bringen, wie übel das bisher in der DDR war und wie schön es jetzt sei!
"Das war eine Selbstzensur, ängstlich darauf bedacht, nur nichts Falsches zu sagen. So wie wir vorher aufpassen mussten bei Formulierungen, so war es jetzt wieder. Wenn du früher gegen eine Entscheidung von oben warst, wurdest Du kategorisch gefragt: 'Bist du für den Frieden oder nicht?' Da hast du natürlich ja gesagt. Wer ist nicht für den Frieden? Also, hieß es dann, musst du die Entscheidung der Partei akzeptieren. Jetzt wurdest du gefragt: Bist du für die Freiheit oder nicht? Klar, wer ist nicht für Freiheit? Also darfst du nichts gegen die Verhältnisse sagen, die wir jetzt haben."
Dieses Thema im Programm: Umschau | 18. Mai 2021 | 20:15 Uhr