Tom Pauls: Schauspieler und Sprachchamäleon
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19. April 2022, 15:47 Uhr
Tom Pauls kennt man als Schauspieler, Kabarettisten und auch als seine Kunstfigur "Ilse Bähnert", eine ur-sächsische Dame. Schon als Junge will Pauls Schauspieler werden - doch auf dem Weg dahin muss er zwei DDR-typische Stopps einlegen: Eine Lehre zum Säureschutzfacharbeiter und die Einberufung zur NVA. Für Tom Pauls ist das das Ende aller Illusionen über das Wesen des Sozialismus.
Im Trödlerparadies: Tom Pauls liebt alte Dinge
Im so genannten Zeughaus in Leipzig ist Tom Pauls in seinem Element. Das Trödelparadies ist voller Relikte aus der Vergangenheit: Stühle, Radios, Lampen und andere Fundstücke wie Blechschilder und Globen. Die Liebe dafür ist in den letzten 25 Jahren seit dem Mauerfall bei Tom Pauls nicht weniger geworden, solche Schätze hat der Kabarettist seit frühester Jugend erbeutet, gehortet und gekaupelt - also "getauscht". Angefangen hat alles mit Sperrmülltouren Ende der 1960er-Jahre, bei denen der kleine Tom Biedermeierstühle oder Gewehre inklusive Munition findet. Erinnerungsorte wie das Völkerschlachtdenkmal oder den Südfriedhof in Leipzig faszinieren ihn.
Im Singeklub: Tom Pauls erinnert sich an die NVA
Doch die Aussicht, selbst zur Armee zu müssen, schrecken Tom Pauls. Wie jeder Junge seines Jahrgangs weiß er jedoch, dass er eines Tages eingezogen werden würde. In seiner Autobiografie "Das wird mir nicht nochmal passieren. Meine fabelhafte Jugend" beschreibt er, wie er als 18-Jähriger sehnlichst auf den Beginn seines Studiums an der Theaterhochschule "Hans Otto" in Leipzig wartet. Die Vorimmatrikulation hat er schon in der Tasche. Bei der Musterung wird Pauls von der fünfköpfigen Offizierskommission in die Zange genommen, soll sich drei Jahre verpflichten. Pauls wehrt sich, 18 Monate und keinen Tag länger wolle er zur Armee. Auf die Frage, ob er denn sein Vaterland nicht liebe, antwortet Pauls: "Doch, aber ich möchte so schnell wie möglich Schauspieler werden!" Am 1. November 1977 ist sein erster Tag bei der NVA in Weißenfels - und wie viele vor ihm ist er geschockt vom dort herrschenden Ton, von Umgangsformen, Hass und Herabwürdigung. Für ihn ist die Zeit das Ende aller Illusionen über das Wesen des Sozialismus.
Wie man miteinander umgegangen ist, das hätte nicht sein müssen. Das wurde aber sehr unterstützt und das ist, das denke ich mir, ähnlich dem Dritten Reich gewesen. Da werden jetzt viele stöhnen und sagen, der quatscht Mist. Aber das ist so, wenn du die Filme kennst und das erlebt hast, wie dort miteinander umgegangen wurde, das hat mit sozialistischem Menschenbild nichts zu tun. Das war grauenhaft. Da gibt’s nichts zu entschuldigen.
Doch Tom Pauls wird in den Singeklub "Thomas Müntzer" des Regiments aufgenommen, der zu den berühmtesten und besten der NVA gehört. Alle Sänger sind ehemalige Mitglieder des Leipziger Thomanerchores. Bei allen erdenklichen Festivitäten tritt der Singeklub auf, für Tom Pauls ist er "die leuchtende Sonne im Grau des fürchterlichen Armeealltags." Am 26. April 1979 endet dieser graue Alltag, Pauls radelt mit einem guten Freund im Sonnenschein auf einem Tandem aus der Weißenfelser Kaserne. Bis heute gehört dieser Tag für ihn zu einem der glücklichsten in seinem Leben.
Auf der Bühne: Tom Pauls ist ein wandlungsfähiger Schauspieler
Die Ironie der Geschichte: Ausgerechnet Jungschauspieler Tom Pauls wird 1988/89 in der DEFA-Komödie "Zum Teufel mit Harbolla" die Hauptrolle eines Leutnants übernehmen. Gezwungenermaßen, denn sonst hätte er als Reservist eingezogen werden können. Dies ist aber nicht sein einziges Standbein: Seit 1982 existiert das Dresdner Zwingertrio mit Tom Pauls, das mit einer Mischung aus Schauspielkunst und Musikalität ein unverwechselbares Programm aus Kabarett, Clownerie und Slapstick bietet. Neben dem Dresdner Zwingertrio ist Pauls vor allem bekannt für "Ilse Bähnert": Die rüstige Rentnerin hatte 1991 ihren ersten Auftritt im Dresdner Kabarett Brett’l. Seither erklärt "die Bähnerten" den Zuschauern die Welt, mit Hut und Handtasche und ursächsischer Mundart.
In der Rückschau: Tom Pauls hat seine Biografie geschrieben
Daneben gibt es noch mehr Figuren, die Tom Pauls zum Leben erweckt, und Geschichten, die er erzählt hat. In diversen Comedy-Shows im Fernsehen stellt Pauls sein Talent ebenso unter Beweis, wie bei seinen Bühnen-Shows oder den Auftritten mit seinen Kollegen vom Zwingertrio. Ob als Arbeitloser, der plötzlich als weibliche Politesse Karriere macht, in der Comedy-Western-Show "Ich denk’ mich tritt ein Pferd" oder von 2004 bis 2006 in seiner Rolle als Hausmeister in der ARD-Serie "In aller Freundschaft" - er bringt die Zuschauer zum Lachen. Seit 1999 tritt er gemeinsam mit Katrin Weber und Detlef Rothe in "Schwarze Augen - Eine Nacht im Russenpuff" auf. In der Rolle des Semjon Alexandrowitsch sorgt er mit seinen Co-Star regelmäßig für ausverkaufte Ränge in den Schauspielhäusern. Seine "Ilse Bähnert Stiftung" kümmert sich um die Pflege der sächsischen Kultur und Sprache. Und jetzt stehen auch noch Lesungen aus seiner Biografie an - die Buchpremiere war am 1. März im "Tom Pauls Theater" in Pirna. In seinem eigenen Theater spielt Pauls was und wen er will - das hat sich in den vergangenen 25 Jahren definitiv für ihn verändert.
Tom Pauls - Kurzbiografie Tom Pauls wurde am 26. April 1959 in Leipzig geboren. Seine musische Begabung zeigte sich schon sehr früh. So sang er bereits mit sieben Jahren im Rundfunkkinderchor Leipzig und erhielt Klavier- und Gitarrenunterricht. Nach Beendigung einer Berufsausbildung diente er 1977/78 bei der NVA und studierte von 1979 bis 1983 an der Theaterhochschule Leipzig. Bereits während seiner Studienzeit stand er im Dresdner Staatsschauspiel auf der Bühne. 1983 wurde er ins Ensemble aufgenommen. Schon seit 1982 existiert das Dresdner Zwingertrio mit Tom Pauls, das mit einer Mischung aus Schauspielkunst und Musikalität ein unverwechselbares Programm aus Kabarett, Clownerie und Slapstick bietet. Neben dem Dresdner Zwingertrio ist Pauls vor allem bekannt für seine Darstellung der rüstigen Rentnerin "Ilse Bähnert".
Buchtipp
Pauls, Tom: "Das wird mir nicht nochmal passieren. Meine fabelhafte Jugend",
235 Seiten,
Berlin: Aufbau Verlag 2015,
ISBN: 978-3-351-03600-3,
Preis: 18,95 Euro.