Geschichte einer Underground-Band "The Plastic People of the Universe": Wie ein Prozess Mut statt Angst befeuert
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07. Oktober 2021, 12:50 Uhr
Junge Männer mit Mittelscheitel und Haaren, die weit über den Rücken fallen, spielen Songs zu denen andere junge Leute mit Mittelscheitel ihre ebenso langen Haare schwingen lassen: Das sind "The Plastic People oft the Universe". Die Band gründet sich in Prag im September 1968, im Monat nach der Niederschlagung des "Prager Frühlings“ und nennt sich nach dem gleichnamigen Frank-Zappa Song vom Album "Absolutely Free". Eine Band, benannt nach einem textlich, rhythmisch und musikalisch unangepassten Titel aus dem musikalischen Orkan der späten 1960er-Jahre - wie passte das in ein kommunistisches Land, aus dessen Aufbruchstimmung der Bruderstaat gerade die Luft gelassen hatte?
Es passte gar nicht. Anfangs covern die "Plastic people of the Universe", kurz "PPU", noch US-Gruppen wie die "Doors" und "Velvet Underground". Unterstützt werden sie dabei von Paul Wilson, der in Prag die "Praxis des Kommunismus“ studieren will. Er hilft den langhaarigen Musikern mit ihren englischen Liedtexten, und übersetzt ihnen ihre tschechischen Texte. Von 1970 bis 1972 ist er Sänger der Band, die musikalische Happenings inszeniert, in Verkleidungen oder mit Masken auftritt und mit psychedelischen Licht- und Toneffekten spielt.
Das Normalisierungsprogramm gegen Big Beat und Hippietreiben
Doch dann schwappt das aus Moskau verordnete "Normalisierungsprogramm" über die laute Welle des "Big Beat", den Rock´n´Roll und das Hippietreiben in der Tschechoslowakei. "Normalisierung" - das klingt nicht nach dem, was es tatsächlich bedeutet: Strikte Unterdrückung aller politisch nicht genehmer Ideen, Lebensweisen und Auffassungen. Ordentliches Aussehen wird verordnet, englische Lieder und Bandnamen verboten. Die "Plastic People oft the Universe" ficht das nicht an, sie bleiben ihrem Stil treu. Die Plastic People sollen in die staatliche Schablone gezwungen werden - 1970 verlieren sie nach einem Vorspiel vor staatlichen Gremien ihre Lizenz als Profimusiker. Sie müssen die Instrumente der staatlichen Leihagentur zurückgeben, verlieren Proberäume und dürfen mit Musik kein Geld verdienen. Bandmanager Ivan Jirous lehnte jede Anpassung ab:
Es ist besser, überhaupt keine Musik zu machen, als eine, die nicht die wahre Überzeugung des Musikers ausdrückt. Es ist besser, überhaupt nicht zu spielen, als das zu spielen, was das Establishment verlangt.
Alibi-Vorträge für Bandauftritte
Die fehlenden staatlichen Instrumente ersetzen die "PPU" durch gebrauchte, Gitarrist Janicek, gelernter Automechaniker, improvisiert aus alten Transistorradios Verstärker. Bandmanager Jirous, genannt auch "Magor", "der Verrückte" nennt, gehört als Kunstkritiker einem offiziellen Verband an und besorgt Veranstaltungsorte: Nach kurzen Vorträgen über Andy Warhol und dessen Beziehung zur Band "Velvet Underground" zeigt er einige Dias und die "Plastic People" spielen akustische "Live-Hörbeispiele" - zwei Stunden lang Titel von Velvet Underground.
Die Underground-Band und ihr (unfreiwilliges) Landleben
1972 prügeln sich nach einem PPU-Konzert in Prag betrunkene Soldaten mit Fans - die Plastic People bekommen Auftrittsverbot für die Stadt und ziehen sich aufs Land zurück.
Unter dem Einfluss von Ivan Jirous und dem von ihm nun in die Band gebrachten Saxofonisten Vratislav Brabenec entwickeln sie ihren eigenen, eigentümlich schwermütigen Sound mit Jazz- und Avantgarde-Anklängen. Sie schreiben und singen ab 1973 auf tschechisch – Texte von Egon Bondy, einem tschechischen, beim Staat in Ungnade gefallenen Philosophen, der eigentlich Zbyněk Fišer heißt. Ein gemeinsames Ergebnis ist das Album "Egon Bondy's Happy Hearts Club Banned", das Jahre später in Frankreich veröffentlicht wird.
Der Staat kartet nach: 1973 müssen Amateurmusikgruppen eine staatlich anerkannte Organisation als Konzertveranstalter nachweisen. Die "Plastic People“ ergattern über einen Turnverein eine "Lizenz als Berufskapelle der zweiten Qualifikationsstufe". Nur zwei Wochen verlieren sie die Erlaubnis wieder, ihre Musik "wirkt gesellschaftlich negativ". Sie spielen immer häufiger auf dem Land und geben Konzerte in kleinen Dörfern, die Termine sind kurzfristig festgelegt und werden mündlich weitergegeben. Die Fans der unangepassten Musiker pilgern zu Hunderten aufs Land und schwappen heuschreckenartig in abgelegenste Konzertorte. Das Treiben der "Plastic People" bleibt dem Geheimdienst nicht verborgen. 1974 pilgern mehr als mehr als tausend Fans nach České Budějovice zu einem vermeintlichen Konzert der Plastic People und treffen stattdessen auf die Polizei. Sie werden brutal zum Bahnhof zurückgescheucht und in einen bereitstehenden Zug nach Prag geschickt. Personalien werden aufgenommen, Studenten inhaftiert und Schüler von Schulen geworfen.
Auf "Hochzeits"-Festivals folgen Gefängnisstrafen
Bandmanager Jirous' kontert im September 1974 mit einem Musik-Festival der "Zweiten Kultur" namens "Hannibals Hochzeit“ - es wird zu einer eine Art Underground Woodstock der Tschechoslowakei. Die Bandmitglieder zahlen ihren Preis für den Spaß - allein Saxofonist Brabenec wird nach eigenen Angaben mehr als 80 Mal verhört. Jirous organisiert das nächste Festival dieser neuen Reihe, "Magors Hochzeit", am 21. Februar 1976. Der Staat revanchiert sich – am 17. März werden 27 Musiker, unter ihnen die "Plastic People", festgenommen. Ihre und Wohnungen ihrer Freunde werden durchsucht, Aufnahmen, Filme, Notizbücher und Musikaufnahmen beschlagnahmt. Paul Wilson, Ex-Sänger und nur noch Band-Freund, wird aus dem Land geworfen und kehrt nach Kanada zurück. Die Gerichtsverhandlung gegen die Musiker sechs Monate später dauert nur zwei Tage; zwei Mitglieder der PPU müssen ins Gefängnis - Vratislav Brabenec acht und Ivan Jirous 18 Monate. Er kommt bis zum Ende des Regimes nicht mehr frei, wird wegen andere Vorwürfe über Jahre hinweg eingesperrt.
Falsche Rechnung - wie der Staat Mut statt Angst entfacht
Die Rechnung der Regierung, die mit ihrem Durchgreifen auf Abschreckung hofft, erfüllt sich dadurch jedoch nicht. Im Gegenteil: Der Prozess gegen die Musiker trägt staatlich ungewollte Früchte: Bandaufnahmen, vom Anfang der 70er-Jahre für Freunde und Fans, werden außer Landes geschmuggelt und in Frankreich veröffentlicht. Vor dem Prozess hatten sich Ivan Jirous und der Dramatiker Vaclav Havel kennengelernt, der wie viele andere Unterstützer der unerschrockenen Musiker zur Gerichtsverhandlung kommt.
Havel berührt der Prozess, in seinen Prozessbeobachtungen hält er fest:
dass unter uns noch Menschen leben, die für ihre Wahrheit existenziell haften und nicht zögern für ihre Lebensvorstellungen auch hart zu bezahlen
Er ist nicht der einzige, den diese Gedanken bewegen. Anstelle von Angst und Anpassung befeuert der Staat mit seinem Vorgehen einen lang schon schwelenden Funken: Die Idee und den Mut für eine Bürgerrechtsbewegung, die zur "Charta 77" führt und das Ende des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei einläutet.
Abgesang: Der sichere Band-Hafen, Bandzerfall und Revival
Die Plastic People spielen weiter; Saxofonist Brabenec ist dem Regime noch immer ein Dorn im Auge und wird 1982 zur Ausreise nach Österreich gezwungen. Bandmanager Jirous sitzt wegen erneut im Gefängnis. Vaclav Havel hatte der Band nach dem Prozess sein Landhaus für Auftritte und ein Festival zur Verfügung gestellt und bietet ihnen so einen vergleichsweise sicheren Hafen, wenn auch polizeilich bewacht.
1988 zerfällt die Band im Streit. Den Boden für den Zerfall legt der Staat – im Gegenzug für eine Spiel-Lizenz soll die Band ihren Namen ändern. Gründer Hlavsa sagt zu, obwohl nicht alle einverstanden sind und die PPU werden zu "Pulsnocni" - "Mitternacht" – symbolischer Zeitpunkt eines Neubeginns. - Zu einer Wiedervereinigung der PPU kommt es 1997 zum 30. Geburtstag der Charta 77 auf Einladung von Vaclav Havel. Die Band spielt bis heute.